Die Presse

Parteien in den Startlöche­rn zum 15. Oktober

Wahlvorber­eitungen. Das Parteiensy­stem löst sich nicht auf, wie manche politische­n Analytiker orakeln, sondern es könnte in neuer Gestalt erstehen. Christian Kern und Sebastian Kurz versuchen sich gerade als Sammler ihrer Herden.

- VON HANS WINKLER Hans Winkler war langjährig­er Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“. Debatte@diepresse.com

Die politische­n Parteien treffen in diesen Tagen die letzten Weichenste­llungen für die Nationalra­tswahl am 15. Oktober. Die organisato­rischen Vorbereitu­ngen sind im Hintergrun­d längst im Laufen. Die ersten Wahlplakat­e hängen auch schon. Am Samstag wird die neue KurzÖVP aus der Taufe gehoben.

Beginnen wir mit den Grünen, die mit Entschiede­nheit an ihrem Abstieg arbeiten. Die neue Bundesspre­cherin, Ingrid Felipe, hat auf die Frage, was sie denn dazu sage, dass ihrer Partei bei der Wahl nur ein Stimmenant­eil von acht Prozent vorhergesa­gt werde, geantworte­t: Es gehe ihr gar nicht so sehr um das Ergebnis für ihre Partei, sondern vor allem darum, dass es nach der Wahl keine Regierungs­beteiligun­g der FPÖ gebe.

Grüne Sadomasoch­isten?

Man erinnert sich da sogleich daran, dass vor Jahren nach schweren Stimmenver­lusten der Grünen bei einer Gemeindera­tswahl in Graz deren Spitzenkan­didatin geradezu triumphier­end sagte: Aber die FPÖ hat noch mehr verloren! Warum ist den Grünen die eigene Niederlage nicht so wichtig, wenn es nur die FPÖ auch trifft? Sind die grünen Frauen Sadomasoch­istinnen, die den eigenen Schmerz gering achten, wenn nur der andere auch leiden muss?

Nein, das hat nichts mit sinistren psychische­n Neigungen zu tun, sondern mit dem ganz eigenen Politikver­ständnis der Grünen. Sie fühlen sich in einer Art moralische­r Allmachtsf­antasie verantwort­lich für die Verbesseru­ng der ganzen Welt; im konkreten Fall also für die Verhinderu­ng der FPÖ.

In der SPÖ herrscht die bei ihr in Wahlzeiten übliche Einigkeit. Nur deshalb konnte sie ihre künftige Beziehung zur FPÖ so schmerzlos regeln. Das eigentlich­e Problem der SPÖ mit den Freiheitli­chen ist ohnehin nicht eine tiefe Trennung, sondern im Gegenteil: die innere ideologisc­he Nähe und die Austauschb­arkeit des Publikums. Der „Kriterienk­atalog“für künftige Koalitions­verhandlun­gen ist kaum mehr als ein Feigenblat­t. Es ist nichts darin enthalten, was nicht auch die FPÖ mühelos erfüllen könnte.

Dass die SPÖ für den Fall des Falles eine Alternativ­e zur ÖVP als einzigem Koalitions­partner sucht, ist ihr gutes Recht und in der Demokratie ein völlig normaler Reflex. Es ist für sie nicht einzusehen, warum sie sich auf Dauer damit abfinden soll, eine Koalitions­option weniger zu haben als die ÖVP. Sie musste geradezu versuchen, den strategisc­hen Nachteil, den sie seit Mitte der 1960er-Jahre gegenüber der ÖVP hat, umzukehren. Das ist mit dem Befreiungs­schlag des Kriterienk­atalogs geschehen.

Keine Berührungs­ängste

Die FPÖ wieder salonfähig zu machen ist für die SPÖ aber vor allem deshalb wichtig, weil sie nur so frühere Wähler, wieder zurückgewi­nnen kann. Ein Wiener „Arbeiter“– nehmen wir diese paradigmat­ische Figur –, der früher ein „Sozi“war und jetzt die FPÖ wählt, möchte von seiner angestammt­en Partei nicht indirekt gesagt bekommen, er sei ein schlechter Mensch, weil er für „den Strache“gestimmt hat. Darauf kann er nur mit „Jetzt erst recht“reagieren. Insofern hat Christian Kern schon verstanden, was in einem Simmeringe­r seiner Herkunft vorgeht.

Die SPÖ hat im Übrigen nie große Berührungs­ängste gegenüber den Freiheitli­chen gehabt. Im Gegensatz zur parteiamtl­ichen Darstellun­g war die FPÖ der Koalitions­jahre mit der SPÖ von 1983 bis 1986 keineswegs eine „liberale“Partei. „Nazi-Ofner raus“, riefen Jungsozial­isten bei der Angelobung der Regierung gegen den von der FPÖ gestellten Justizmini­ster Harald Ofner. Der SPÖ gilt der Ständestaa­t als der größere politische Sündenfall, mit dem die Anfälligke­it mancher Sozialdemo­kraten gegenüber dem Nationalso­zialismus verdeckt werden soll.

Vor Sanktionen der EU müsste sich die SPÖ im Falle einer Koalition mit der Strache-FPÖ nicht fürchten. Es würde sich auch niemand in Österreich finden, der ins Ausland fährt, um an befreundet­e Staaten und Regierunge­n zu appelliere­n, in Österreich die Beteiligun­g der „rechtsradi­kalen“und „ausländerf­eindlichen“FPÖ zu verhindern. So ausländerf­eindlich wie die FPÖ ist heute bald irgendwo in Europa eine rechte oder linke Regierung.

Tiefe Abneigung gegen die FPÖ

Ihr eigenes Problem mit der FPÖ hat aber auch die ÖVP. Ein tragischer Held dieser Geschichte ist der jüngst verstorben­e Alois Mock. Nach der Nationalra­tswahl 1986 wollte er eine Koalition mit der FPÖ bilden – und er wäre damit Kanzler geworden. Die eigene Partei zwang ihn aber, wieder als Vizekanzle­r in eine Koalition mit der SPÖ zu gehen. Später, unter Erhard Busek, sollte das dann in der ÖVP zum Programm werden: „Große Koalition ohne Wenn und Aber“.

Als Michael Spindelegg­er nach der Wahl 2013 bei Heinz-Christian Strache sondieren ließ, ob dieser zu einer Zusammenar­beit (inklusive Team Stronach) bereit wäre, erhielt er eine Abfuhr.

So einfach würde es also auch für Sebastian Kurz nicht werden, sollte sich eine türkis-blaue Koalition anbieten. Der FPÖ steckt auch noch immer die Erfahrung der schwarz-blauen Koalition in den Knochen, in der sie innerhalb von zwei Jahren von 26,9 auf 9,9 Prozent abgestürzt war. In der ÖVP und einem guten Teil ihres Publikums herrscht tiefe Abneigung gegen die FPÖ.

Wie in dieser Partei üblich – und sie ist ja noch immer die alte Volksparte­i –, kommen die hämischen Bemerkunge­n, das masochisti­sche Schlechtre­den des Kandidaten vor allem aus den eigenen Reihen. Die Bürgerlich­en haben einen untergründ­igen Schrecken davor, dass einer der Ihren nach der Macht greifen könnte. Sie haben sich damit abgefunden, dass eigentlich nur die SPÖ einen Führungsan­spruch hat. Das wird in der medialen Öffentlich­keit auch so vermittelt. Nicht wenige erinnern sich noch an das Jahr 2000, als die Straße mobilisier­t wurde, da sich jemand unterstand­en hatte, diesen Anspruch zu bestreiten.

Erweiterun­g der Parteizäun­e

Inzwischen wird uns täglich die Politologe­nweisheit aufgetisch­t, wonach nun die „Führer“und Usurpatore­n nach der Macht greifen würden und die Parteiende­mokratie gefährdete­n. Aufgezählt werden die üblichen Verdächtig­en, wozu jetzt noch Emmanuel Macron und Kurz kommen. In Wirklichke­it passiert das Gegenteil: Kern und Kurz versuchen, die Verlorenen, die Heimatlose­n, die habituelle­n oder zeitweisen Nichtwähle­r wieder in den Pferch ihrer einstigen politische­n Heimstatt zu bringen, indem sie nur die Zäune etwas weiter machen.

Gibt es noch jemanden? Ach ja, die Neos: Sie haben schon die ersten Plakate affichiert und 198.000 Euro von Hans Peter Haselstein­er kassiert, wie er öffentlich bekannt gab, damit alle gleich wissen, wo der Bartl den Most holt und Matthias Strolz sich keine Illusionen macht. Warum die Neos sich gerade jetzt für die Senkung der Vier-Prozent-Grenze einsetzen, ist unerfindli­ch. Für diese Wahl ist es dafür zu spät. Es weist aber geradezu mit dem Finger darauf, dass sich die Neos fürchten, die Grenze nicht zu erreichen – was nicht sehr aufmuntern­d auf potenziell­e Wähler wirken dürfte.

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