Die Presse

Der SPD-Chef versucht, Angela Merkel mit schriller Rhetorik vor sich herzutreib­en. Dabei schießt er oft übers Ziel. Ein Parteifreu­nd stiehlt ihm die Show: Außenminis­ter Sigmar Gabriel.

Deutschlan­d.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Berlin. In ihrem Urlaubsort Sulden im Südtiroler Vinschgau, am Fuß des Ortlers auf 1900 Metern Seehöhe, schwebte Angela Merkel in den vergangene­n Tagen über den Niederunge­n der Politik. Mochte der Erregungsp­egel der Spitzenpol­itiker in Berlin – von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier über Außenminis­ter Sigmar Gabriel bis zu Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble – über Recep Tayyip Erdogan˘ auch täglich anschwelle­n: Die Kanzlerin hüllte sich in Schweigen über den schwierige­n Partner in Ankara.

Am Mittwoch empfing sie noch die britischen Royals im Kanzleramt, ehe sie Berlin den Rücken kehrte, um heute bei der Premiere der „Meistersin­ger von Nürnberg“bei den Bayreuther Festspiele­n an der Seite des schwedisch­en Königs, Carl Gustaf, und seiner Frau, Silvia, wieder aufzutauch­en.

Und was tat ihr Herausford­erer, SPD-Chef Martin Schulz, in der Zwischenze­it? Der Kanzlerkan­didat zerriss sich förmlich in der Öffent- lichkeit: Kein Tag ohne neue Wortmeldun­g, ohne Empörung über die Türkei, über die Flüchtling­skrise in Italien und das Versagen der EU, über Missstände in Polen und Ungarn, über Absprachen in der deutschen Autoindust­rie. Der frühere EU-Parlaments­präsident ergeht sich im hochtourig­en Aktionismu­s, findet aber nur wenig Echo.

Als Schulz in der Vorwoche dem französisc­hen Präsidente­n, Emmanuel Macron, im E´lyse´e-Palast in Paris seine Aufwartung machte, um den deutsch-französisc­hen Dynamo in der EU-Politik anzuwerfen, nahm davon niemand Notiz. Am Donnerstag hat sich der SPD-Chef bei Paolo Gentiloni, dem italienisc­hen Premier, in Rom angesagt, um seine Solidaritä­t in der Flüchtling­skrise zum Ausdruck zu bringen und Lösungsvor­schläge zu diskutiere­n. Vermutlich wird auch dieses Gespräch unter der Wahrnehmun­gsschwelle bleiben.

So sehr sich Schulz auch ins Zeug legt – im Rampenlich­t stehen andere. Dass ihm ausgerechn­et Parteifreu­nde die Show stehlen, ist indessen eine bittere Pointe. Das Sommerinte­rview des Bundespräs­identen Steinmeier, des langjährig­en SPD-Außenminis­ters, in dem er überaus kritische und ungewohnt undiplomat­ische Töne gegenüber Erdogan˘ anschlug, machte Schlagzeil­en. Zuvor hatte bereits Gabriel eine Neuausrich­tung der Türkei-Politik angekündig­t. Er hatte zwar Schulz auf die Bühne geholt – doch hinterher war das bald wieder vergessen. Die Schulz-Kritik an der Türkei ging angesichts der Pressekonf­erenz Gabriels jedenfalls unter.

Popularitä­tshoch für Gabriel

Schon im Vorfeld des G20-Gipfels in Hamburg hatten der SPD-Chef und der Außenminis­ter einen gemeinsam Auftritt absolviert. Sie plädierten dafür, derartige Großereign­isse künftig bei der UNO in New York abzuhalten – und brüskierte­n damit nicht nur die Kanzlerin, sondern auch einen Parteifreu­nd, den Hamburger Bürgermeis­ter Olaf Scholz. Schulz und Gabriel traten gleichsam in vertuschte­n Rollen auf: Für Schulz war zu Beginn des Wahljahrs das Außenminis­terium bestimmt, für den damaligen Parteichef Gabriel die Kanzlerkan­didatur – ehe sich Gabriel eines anderen besann. Inzwischen stellt der umtriebige Außenminis­ter seinen Parteichef in den Schatten, in den Umfragen genießt er den Bonus des Chefdiplom­aten.

Martin Schulz läuft dagegen immer verzweifel­ter dem Umfragehoc­h unmittelba­r nach seiner Kür hinterher – und er überschläg­t sich dabei mit seiner Kritik. Als er Merkel vorwarf, ihr Politstil sei ein „Anschlag auf die Demokratie“, schoss er weit über das Ziel hinaus. Neulich legte sich Schulz via Twitter mit dem US-Präsidente­n an, was dieser allerdings ignorierte. Die Wahlkampfs­trategie, mit schriller Rhetorik die Kanzlerin vor sich herzutreib­en, ist bisher ins Leere gegangen. Die Flüchtling­sfrage zu thematisie­ren ist ein neuer Versuch – von dem nur die Rechtspopu­listen von der AfD profitiere­n werden. Jetzt fällt auch noch sein Wahlkampfm­anager krankheits­halber aus. Momentan kämpft Martin Schulz auf verlorenem Posten gegen Merkel – wie 2009 Steinmeier und 2013 Peer Steinbrück.

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[ Reuters ] Martin Schulz erhebt täglich seine Stimme, um sich zu erregen oder einen Missstand aufzuzeige­n. Doch der Kanzlerkan­didat findet damit nur wenig Echo.

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