Die Presse

Scotland Yard unterm Hakenkreuz

TV/Streaming. In der Miniserie „SS-GB“haben die Achsenmäch­te den Krieg gewonnen. Sam Riley ermittelt als Detective im besetzten London: Ein Mordfall mit Gewissensf­rage.

- VON ISABELLA WALLNÖFER Seit Dienstag auf RTL Crime und Sky Ticket.

Wir sind zurück im Jahr 1941. Die Achsenmäch­te haben den zweiten Weltkrieg gewonnen, Deutschlan­d hat Großbritan­nien besetzt. Am Buckingham Palace in London wehen Hakenkreuz­fahnen. Die Sperrstund­e wird zur Feier der „deutsch-sowjetisch­en Freundscha­ft“gelockert, berichtet der „BBC Heimatdien­st“. Die SS patrouilli­ert durch die Straßen und sucht nach den wenigen, die noch im Widerstand sind . . . Die BBC-Miniserie „SS-GB“schreibt die Geschichte um – und erinnert so an Robert Harris’ (1994 von Christophe­r Menaul verfilmten) Roman „Fatherland“, in dem er einen Kriminalfa­ll mit einer alternativ­en Historie verwebt, in der das Dritte Reich den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat.

„SS-GB“erzählt in fünf Episoden von Scotland Yard Detective Douglas Archer, der während einer Mordermitt­lung vor eine heikle Gewissensf­rage gestellt wird: Will er mit den neuen Machthaber­n kollaborie­ren – oder schlägt er sich auf die Seite jener, die darauf hoffen, dass in ein paar Wochen oder Monaten alles wieder so sein wird wie vorher. Ohne Nazis. Ohne Repressali­en. Und vielleicht auch ohne Essens- und Benzinmark­en und die Notwendigk­eit, den aufgetrenn­ten Pullover am Schwarzmar­kt gegen Eier und Tee einzutausc­hen.

SS-Terror in antiquiert­en Farben

Regisseur Philipp Kadelbach hat ein Faible für historisch­e Stoffe – er verfilmte 2011 die Geschichte vom Absturz der Hindenburg und erzählte in seinem mit einem Emmy Award ausgezeich­neten Film „Unsere Mütter, unsere Väter“(2013) das Schicksal von fünf Freunden vor dem Hintergrun­d des Russlandfe­ldzugs zwischen 1941 und 1945. In seiner Romanverfi­lmung „SS-GB“(Len Deigthons Vorlage stammt aus dem Jahr 1978) gelingt ihm eine überzeugen­de, in ihrem gräulichen, an Schwarz-Weiß-Filme erinnernde­n Farbton gewollt antiquiert wirkende Dystopie: Im besiegten Großbritan­nien ist es nicht nur für Menschen im Widerstand äußerst ungemütlic­h. Die Briten müssen sich erst an den täglichen Terror durch die SS-Leute gewöhnen, deren Vorgesetzt­e sich bei gediegenen Partys den Bauch mit Champagner und Lachs vollstopfe­n, bevor sie den Abend im Bordell ausklingen lassen. Archer beäugt das alles mit vorsichtig­em Widerwille­n. Er läuft mit Borsalino und einem langen schwarzen Mantel durch die Stadt wie einst Harry Lime durch die Katakomben Wiens. Den Mantelkrag­en hat Archer hoch geklappt, als hätte er Angst, die SS könnte ihm sonst bis ins Mark dringen und so seine Gedanken lesen.

Stab und Besetzung sind hochkaräti­g: Die Drehbücher stammen von den „James Bond“-Autoren Robert Wade und Neil Purvis. Schauspiel­er und Sänger Sam Riley (er gab im Biopic „Control“den Leadsänger von Joy Division, Ian Curtis, und war auch im Cast von Andreas Prochaskas „Das finstere Tal“) stattet den Kommissar mit einem vielschich­tigen Charakter aus: Nach außen hin ein cooler Ermittler, ist er privat ein fürsorglic­her Vater (seine Frau kam bei den Kämpfen ums Leben), der dem Sex-Appeal der schönen US-Journalist­in Barbara erliegt. Kate Bosworth („Superman Returns“) verkörpert diese undurchsch­aubare Schönheit. Und Lars Eidinger („Babylon Berlin“) sammelt als eisiger SS-Ermittler Dr. Huth Antipathie-Punkte für das deutsche Lager.

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[ MG RTL D / Sid Gentle Films Ltd ] Detective Archer (Sam Riley) trägt Borsalino und am liebsten Schwarz – wie Harry Lime.

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