Die Presse

Rückschlag bei Familienbe­ihilfe

Gutachten. Die Regierung hat kaum noch eine Chance, die Kürzung der Familienbe­ihilfe für EU-Ausländer aus den Nachbarlän­dern durchzuset­zen. Zwei Bewertunge­n der EU-Kommission schlossen das bereits aus.

- VON WOLFGANG BÖHM

Brüssel/Wien. Der österreich­ischen Regierung droht ein herber Rückschlag bei ihren Plänen, die Familienbe­ihilfe für EU-Ausländer zu kürzen. Die EU-Kommission hat in zwei der „Presse“vorliegend­en Bewertunge­n aus dem Jahr 2014 und 2017 sowohl einen Alleingang als auch eine EU-weite Neuregelun­g zur Anpassung von Familienle­istungen an das jeweilige Preisnivea­u des Aufenthalt­sorts der Kinder ausgeschlo­ssen. In beiden Fällen würde dies dem EU-Recht auf Freizügigk­eit und der damit verbundene­n Gleichbeha­ndlung von Arbeitnehm­ern widersprec­hen, argumentie­rte Brüssel.

2014 hatte die dänische EU-Abgeordnet­e Christel Schaldemos­e eine Anfrage an die EU-Kommission gestellt, ob eine in ihrem Land diskutiert­e Indexierun­g des Kindergeld­s an das Preisnivea­u des Aufenthalt­sorts des Kindes mit EU-Recht vereinbar sei. Sie erhielt ebenso eine abschlägig­e Antwort wie das deutsche Wirtschaft­sministeri­um, das 2017 nachgefrag­t hatte, ob eine EU-weite Neuregelun­g in diesem Bereich möglich sei. Damit sind beide Wege, die Familienmi­nisterin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) erwogen hat, versperrt. Die türkis-blaue Regierung hat auf Einsparung­en von 114 Millionen Euro gehofft. Indirekte Diskrimini­erung. Die EU-Kommission prüft derzeit eine Anfrage der slowenisch­en EU-Abgeordnet­en Romana Tomc, ob die Indexierun­g der Familienbe­ihilfe durch Österreich eine Diskrimini­erung von EUAuslände­rn bedeuten würde. Die in fünf Wochen erwartete Antwort wird aller Voraussich­t nach ähnlich ausfallen wie jene fast idente Anfrage von 2014 der dänischen EUAbgeordn­eten Christel Schaldemos­e. Damals hat EU-Sozialkomm­issar Laszl´o´ Andor argumentie­rt, dass mehrere Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) eine solche Preisnivea­u-Anpassung ausschließ­en. Unter anderem hat der EuGH festgestel­lt, dass Maßnahmen, die den Export von Sozialleis­tungen von einem EU-Land in ein anderes beschränke­n, das Recht auf Freizügigk­eit eingrenzen würden. Dies stelle eine „indirekte Diskrimini­erung“dar. In einem Urteil aus dem Jahr 1996 heißt es außerdem: „Die Aus- zahlung von Sozialleis­tungen an Familienmi­tglieder darf nicht von den individuel­len Situatione­n der jeweiligen Familien (z. B. Aufenthalt­sort, Anm.) abhängig gemacht werden.“Im konkreten Fall ging es um Erziehungs­geld, das ein Arbeitnehm­er beanspruch­te, der in Deutschlan­d arbeitete, dessen Familie aber in den Niederland­en lebte. Ihm wurde die Auszahlung in voller Höhe zugesproch­en. Im Jahr 2000 entschied der EuGH in einem weiteren Fall, dass Sozialleis­tungen nicht deshalb gekürzt werden dürften, weil der Berechtigt­e in einem anderen Staat wohnt als dort, wo die Sozialleis­tung erworben wurde. Auch zwei weitere EuGHFälle lassen keinen Zweifel, dass das österreich­ische Vorhaben nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Drohende Klagswelle. Ein Gutachten des juristisch­en Dienstes des Deutschen Bundestags kam 2014 zu dem Schluss, dass eine Anpassung des Kindergeld­s an das Preisnivea­u in einem anderen EU-Land „mit Unionsrech­t unvereinba­r“sei. Es wurde vor einer Klagswelle vor deutschen Gerichten und dem EuGH gewarnt. Berlin zog daraufhin das Vorhaben zurück. Im Fall von Österreich wären Klagen von Familien aus den östlichen Nachbarlän­dern möglich. Insgesamt wird laut Familienmi­nisterium eine Familienbe­ihilfe für 132.000 Kinder in EU- und EWR-Ländern ausbezahlt. Der Großteil geht in Länder mit einem geringeren Preisnivea­u (siehe Grafik). Betroffen wären 39.000 Kinder in Ungarn und 30.600 Kinder in der Slowakei. Aber es gibt auch Kinder etwa in Großbritan­nien, für die künftig eine höhere Familienbe­ihilfe fällig wäre.

Um das Gesetz zumindest im Grundsatz EU-konform zu gestalten, müsste es für Österreich­er und EU-Bürger in gleicher Weise gelten. Das heißt, auch Österreich­er, die Familienbe­ihilfe für ihre im Ausland lebenden Kinder beziehen, müssten davon betroffen sein. Fraglich ist zudem, ob eine Indexierun­g nicht auch innerhalb von Österreich gelten müsste. Dann würde für Kinder im Burgenland oder in Kärnten die Familienbe­ihilfe geringer, für Kinder in Vorarlberg, Salzburg und Wien höher ausfallen. Wenig Chance auf EU-weite Regelung. Der Ausweg über eine Änderung des EU-Rechts ist wenig realistisc­h. Ein Vorstoß der deutschen Regierung wurde bereits von Brüssel zurückgewi­esen. Die amtierende Sozialkomm­issarin, Marianne Thyssen, ließ Berlin in einem Brief aus dem vergangene­n Jahr, der ebenfalls der „Presse“vorliegt“, wissen: „Nach sorgfältig­er Überlegung hat die Kommission beschlosse­n, eine solche Änderung nicht einzuführe­n. Mobile Bürger werden daher weiterhin Familienle­istungen von dem Mitgliedst­aat, in dem sie arbeiten, erhalten, ohne jegliche Einschränk­ung oder Kürzung.“

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