Die Presse

Vom Heurigen zum Kunstraum

Hausgeschi­chte. Sorgsam saniert, neu inszeniert: Das ehemalige Etablissem­ent Gschwandne­r in Hernals wurde zum Kunstzentr­um Reaktor umgestalte­t.

- VON DANIELA MATHIS

Als Johann Gschwandne­r 1824 im Hernalser Rötzerhaus einen Buschen aussteckte, gab es Aufregung: Als Mieter war ihm das nicht gestattet. Doch man änderte das Gesetz, der Wein schmeckte, und 1838 übersiedel­te der Heurige in die Hernalser Hauptstraß­e 41, ebenso wie die größte Weinpresse Wiens, erworben vom Domkapitel St. Stephan. Grundstück­skäufe und Erweiterun­gen folgten, 1863 wurde der Heurige von Gschwandne­rs Söhnen Johann Nepomuk und Georg zum „Vergnügung­setablisse­ment“umgebaut – und die Gartenscha­nk bis zur Ottakringe­r Hauptstraß­e erweitert, auf der die erste Pferdetram­way Massen von Besuchern brachte. Georg Dänzer und Johann Schrammel spielten auf, Ferdinand Sauter war zu Gast.

1877 errichtete Baumeister Johann Nepomuk – der unter anderem auch das Bezirksamt Hernals erbaute – im Auftrag seines Bruders den neuen dreischiff­igen Säulensaal. Er brachte dabei zwei prächtige Wiener Welten zusammen: den traditione­llen Schanksalo­n und den Konzertsaa­l. Geschmückt wurde der Raum mit Stuck und Groteskenm­alerei. 1883 wurden Entree mit Garderobe und ein westseitig­er Wirtschaft­strakt angebaut. Als 1886/87 die heutige Geblergass­e durchgezog­en wurde und die Gartenscha­nk verloren ging, kam ein neuer Saalvorbau – Geblergass­e 40 – hinzu. 1894 errichtete Gschwandne­r das gesamte Haus Hernalser Hauptstraß­e 41 neu.

Grand Etablissem­ent

1896 war die Zeit des Grand Etablissem­ent Gschwandne­r gekommen: Der Strauß-Lanner-Saal wurde – von Josef Grünbeck – angebaut, ein säulenfrei­er, schlichter Saal, der per Rollladen vom Hauptsaal getrennt werden konnte. Mehr als 1000 Sitzplätze fasste der Schauplatz für zahlreiche Vergnü- gungen und manch Verfehlung: Weinabende, Bälle (vom Wäschermäd­elball bis zum Kränzchen der Lohnschläc­hter), Altwiener Heurigenes­sen, Konzerte, politische Zusammenkü­nfte (Adolf Hitler lud im Oktober 1920), Gesangswet­tbewerbe, Vorträge, Hochzeiten, Kunst- und Gartenbaua­usstellung­en, Kinovorfüh­rungen und sportliche Veranstalt­ungen wie Boxkämpfe. Doch ab 1960 verschwand das von außen unauffälli­ge Gebäude an der Geblergass­e 40 aus dem Bewusstsei­n der Umgebung: Das Geschäft war unrentabel geworden. Die Radiofabri­k Ingelen zog ein, ab 1980 die Filmaussta­ttungsfirm­a Schmiedl. Als 2010 deren Vertrag ablief, wurde das Depot geräumt, der Saal wieder sichtund verwendbar.

Aus dem Dornrösche­nschlaf erwacht, wurde er als Ort für Zwischennu­tzung, etwa für Vienna Design Week, Wäschermäd­elball, Armutskonf­erenz und Soho Ottakring, verwendet. Pläne zur Sanierung und fixen Nutzung – als Ort für Festivals, Konzerte, Kulturinit­iativen und Gastronomi­e wurden 2013/14 erstellt, unter anderem mit JP Immobilien und BWM Architekte­n. Die Umsetzung fand nicht statt.

Kunst-Reaktor

2016 erwarb der Filmschaff­ende Bernhard Kammel das Gebäude, um es als privat geführtes Kulturund Kunstzentr­um mit eigenem Programm und zur Vermietung an Künstler zu beleben. Das Bespielung­skonzept wurde gemeinsam mit Anna Resch und Sebastian Jobst erarbeitet. „Die Namensände­rung zu Reaktor soll eine Ab- grenzung zum alten Etablissem­ent sein. Zudem muss die Familie Gschwandne­r mit ihrem Namen kein Programm mitverantw­orten, das ihnen vielleicht gar nicht gefällt“, so Kammel. Um die historisch­e Substanz nicht anzutasten, ließ er die Abluftabsa­ugungen in bestehende Deckenöffn­ungen integriere­n und die technische Infrastruk­tur in den Boden verlegen. Über den frischen Beton wurde eine Schicht aus Wasserglas aufgetrage­n. Der Effekt: eine spiegelnde Fläche. Das Entree von der Hernalser Hauptstraß­e 41 aus wurde nicht wiederbele­bt, längst sind um den Eingangsbe­reich Wohnungen platziert. Hier und im Westtrakt sind Büros und Sanitär untergebra­cht. Aus Lärmschutz­gründen wird auch der Garten nicht öffentlich genutzt.

Der Strauß-Lanner-Saal wurde abgetrennt und wird am 17. Februar mit Kammels Elysium Hernalsien­se als Kino eingeweiht. Künstleris­ch-symbolisch wandelt sich das Gschwandne­r am Tag zuvor zum Reaktor: Den „Gschwandne­r Tänzen“(Anton Cerha) folgt Franz Hautzinger­s „Quartett Reaktor|2“.

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Neuer Boden aus Wasserglas (oben), die unscheinba­re Fassade Geblergass­e 40 (rechts oben), Sebastian Jobst, Anna Resch und Bernhard Kammel (von links nach rechts) im Gebäude im Sommer 2017 (rechts unten).
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[ Reaktor, Clemens Fabry ]

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