Die Presse

Im Herzen ist das Feuer blau

El Salvador. Das kleinste Land in Zentralame­rika rettet altes Maya-Kunsthandw­erk und imposante Meeresschi­ldkröten. Der Besucher darf dabei manchmal mit angreifen.

- VON CARSTEN HEINKE

Die ersten Morgenstun­den sind vorbei. Den meisten Vögeln ist es zum Singen schon zu heiß. Nur die Insekten stört die Hitze nicht. Wie ein unsichtbar­er Nebel wabert ihr milliarden­faches Summen, Brummen, Zirpen durch die Tropenluft im Südosten von El Salvador. In der Lodge am Segelhafen klappern flüchtig die Kaffeetass­en. Für ein ausgedehnt­es Frühstück ist heute keine Zeit.

„Vorsicht, Alligatore­n!“, warnt ein Schild am Bootssteg. Von Echsen keine Spur. Stattdesse­n gibt es gleich ein Stelldiche­in mit anderen Reptilien. Die Tierärztin Melissa Valle, Biologe Aldo Sanchez und ihr Team gehen für die internatio­nale Tierschutz­initiative Icapo auf tägliche Kontrollfa­hrt zu den Meeresschi­ldkröten. An diesem Vormittag sind auch Gäste des Hotels an Bord.

Der Palmenwuch­s zu beiden Ufern des Kanals wird dünner und geht über in Mangrovenw­ald, den größten landesweit. Der schmale Wasserlauf verbreiter­t sich zu einer Fläche wie ein See, gespickt mit kleinen Inseln. Im fernen Hintergrun­d verschmelz­en bläulich schimmernd­e Vulkane – da der San Miguel, dort der San Vicente – im tiefen Himmelsbla­u. Das Forscherbo­ot hat die Bah´ıa de Jiquilisco erreicht.

„Die Bucht ist einer der zwei Hauptnistp­lätze Echter Karettschi­ldkröten im Ostpazifik“, erklärt Aldo, 22. Früher massenhaft in allen Weltmeeren zu finden, stehen inzwischen alle sieben Arten von Meeresschi­ldkröten auf der Roten Liste. Die Hauptursac­hen dafür seien Klimawande­l, Plastikmül­l und Wilderei, so der junge Wissenscha­ftler.

„Da ist eine!“, ruft ein Crewmitgli­ed und springt in die Fluten. Ein Kollege folgt ihm sogleich. Nach wenigen Schwimmzüg­en ha- ben sie die große Grüne Meeresschi­ldkröte eingeholt, packen sie geschickt an ihrem Panzer und hieven sie an Bord. Um das Tier vor der Sonne zu schützen, legen ihr die Männer ein nasses Handtuch auf den Kopf und begießen sie mit Wasser – immer wieder. Zwei ihrer Artgenosse­n werden auf die gleiche Weise aus der Bucht ins Boot befördert, während der Steuermann Kurs auf eine Sandbank nimmt. Nach dem Ankern werden alle drei Probanden vorsichtig und rasch an Land getragen, gemessen, gewogen und fotografie­rt.

Die Gäste dürfen dabei mithelfen. Nur schnell muss es gehen, um die Tiere nicht unnötig zu strapazier­en. Zur Wiedererke­nnung zwickt Melissa am Ende jedem eine Nummer in die linke Vorderflos­se – und ab geht es wieder nach Hause ins Wasser.

„Ihre Schönheit wird den Schildkröt­en immer wieder zum Verhängnis“, weiß die 28-Jährige. Trotz strenger Strafen tötet man sie, um ihre begehrten, hübsch gemusterte­n Panzer zu teurem Schmuck und zu Kitsch zu verarbeite­n. Ebenso wie ihre Eier landen viele nach wie vor im Kochtopf. Nicht zuletzt dank Organisati­onen wie Icapo ging die Wilderei zurück – unter anderem durch Arbeitsplä­tze. „Wer mit Naturschut­z Geld verdienen kann, missbrauch­t die Tiere nicht für illegale Geschäfte“, glaubt Aldo. Auch in seinem Team bewähren sich ein paar ehemalige Wilderer als erfahrene und engagierte Helfer. Nach dem Ende des Bürgerkrie­gs und der Auflösung der Rebellenar­mee Anfang der 1990er-Jahre stand El Salvador vor einem Neuanfang. Bis heute hat sich viel getan in dem Land, das wirtschaft­lich vor allem von den USA abhängig ist. Doch immer noch gehören Armut und Gewalt, soziale Probleme und Arbeitslos­igkeit zum Alltag. Vielerorts zwischen Küste und Gebirgen verspricht der Fremdenver­kehr neue Chancen für die Zukunft.

Die Hacienda La Carrera an der Jiquilisco-Bucht verbindet Landwirtsc­haft mit sanftem Tourismus. Neben Agrarprodu­kten wie Kakao, Kaffee, Bananen, Mais und Zuckerrohr lebt die Farm von einer Lodge. Gäste profitiere­n sowohl von der Umgebung mit viel Wald und Wasser als auch von der Nähe zu Gärten und Plantagen. „Es gibt immer frische Produkte und jede Menge zu erleben“, sagt Elena Rivera von der Puerto Barillas Lodge über die Farm, zu der seit Jahren auch eine Klammeraff­enkolonie gehört.

Baumbewohn­ende Kletterakr­obaten hat Suchitoto nicht zu bieten. Dafür trumpft diese kleine Stadt am Rio-Lempa-Stausee mit toller Aussicht, Kunsthandw­erk und spanischer Kolonialar­chitektur. In engen Kopfsteinp­flastergas­sen und auf malerische­n Plätzen, zwischen alten Häusern, Läden und Lokalen, Kirche und Konvent herrscht rührige Betriebsam­keit – besonders früh und in den Abendstund­en – doch zugleich auch stets gemütliche Gelassenhe­it. Manchmal täuscht die Ruhe Suchitotos, denn vieles in der kleinen Stadt passiert in den Innenhöfen. Wie zum Beispiel auch im Freiluftat­elier von Irma Guadron.´

Mit beiden Armen steckt die lebensfroh­e Modemacher­in in einer Wanne voll von dicker tintenblau­er Flüssigkei­t. Immer wieder taucht sie ein Kleid in Indigo, bis dessen Baumwollst­off sich damit vollgesoge­n hat. Die blaue Farbe, die genau so heißt wie das rosa blühende Gewächs, aus dem man sie gewinnt, gehört zu El Salvador wie sein Kakao, seine Schildkröt­en und Vulkane, denn sie ist Teil der Maya-Kultur, die Zentralame­rika bis heute prägt. Guadron´ spült das Kleid, das nun durch ihre Batiktechn­ik ein blau-weißes Muster hat, und hängt es zum Trocknen neben ebensolche Blusen, Schals und Tücher.

Die Mayas nutzten Indigo zur Verehrung ihrer Götter. Die Amerikaner färbten damit später ihre Jeans – bis sie synthetisc­he Alternativ­en fanden. Im traditione­llen Anbaugebie­t um Suchitoto haben Bauern und einige Kreative wie Irma Guadron´ die „Blaue Blume“ihrer Vorfahren wiederentd­eckt. Für die Salvadoria­nerin symbolisie­rt die sehr spezielle Farbe sowohl den Himmel und das Wasser als auch das Feuer: „Indigo ist das, was du im Herzen einer Flamme sehen kannst.“

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