Die Presse

Alle Augen auf Federal Reserve

Geldpoliti­k. Zum womöglich ungünstigs­ten Zeitpunkt sehen sich Anleger mit einem Fed-Komitee konfrontie­rt, dem es an Erfahrung mangelt. Die Gefahr eines Fehlers ist groß, für Kleinanleg­er ist Vorsicht geboten.

- VON STEFAN RIECHER

Anleger sind mit einem unerfahren­en Fed-Komitee konfrontie­rt.

Alan Greenspan muss es wissen. „Wir haben eine Blase am Aktienmark­t“, sagte das 91-jährige Urgestein vergangene Woche im Bloomberg-Interview. Als Chef der US-Zentralban­k trug Greenspan zur letzten großen Blase bei. 2004 wartete er wohl zu lange, bevor er die Zinsen anhob. Das billige Geld floss in den unzureiche­nd regulierte­n Häusermark­t, Banken bündelten die Kredite, die Wirtschaft überhitzte. Der Rest ist Geschichte. 2008 stand die US-Volkswirts­chaft am Abgrund, und mit ihr das gesamte Finanzsyst­em.

Schon klar, diese Darstellun­g ist verkürzt, und das Drama von vor zehn Jahren hat viele Facetten. Aber dass die Fed die Mittel und die Fähigkeit hat, für ein Gemetzel an den Märkten zu sorgen, ist spätestens seit damals jedem klar. Auch das weiß Greenspan. „Ich habe einen Fehler gemacht“, sagte er nach seiner Ablöse dem Kongress. Und heute? Ist vieles anders, eines ist jedoch mit 2004 vergleichb­ar: Die wichtigste Notenbank muss wieder einmal entscheide­n, wie sie aus der Politik des billigen Geldes aussteigen kann, ohne die Finanzmärk­te dabei allzu sehr abzuwürgen.

Im Bestfall steigen Gewinne

Im Idealfall wird sie die Zügel weiter sachte anziehen, langsam ihre Bilanzsumm­e reduzieren und vorsichtig die Zinsen anheben. Die Marktteiln­ehmer sehen das kommen, der Aktienmark­t kann deshalb vielleicht weiter steigen, wenn die Gewinne der Firmen auch wachsen, und zwar proportion­al ein wenig schneller als die Aktienkurs­e. Der Markt wächst in seine hohe Bewertung hinein, sagen Marktexper­ten dazu. Die Blase würde sich ohne großes Drama auflösen, und alles wird gut.

So weit, so logisch, doch funktionie­rt das nur selten so. Der Zeigefinge­r vieler Investoren liegt derzeit sehr locker auf dem „Verkaufen“-Knopf, wie die vergangene Woche zeigte, als führende Aktienindi­zes zwischendu­rch ohne klar ersichtlic­hen Grund um bis zu zwei Prozent fielen. Macht die Fed in diesem Umfeld einen Fehler – und das muss nur ein falsches Wort zum falschen Zeitpunkt sein –, kann schnell Panik ausbrechen. Und dass die mächtige Zentralban­k gerade jetzt nahezu führungslo­s dasteht, trägt nicht gerade zur Beruhigung bei.

Mit der Chefin Janet Yellen und ihrem Vize Stanley Fischer sind zwei der erfahrenst­en Notenbanke­r aus dem siebenköpf­igen Vorstand ausgeschie­den. Yellens Nachfolger Jerome Powell verspricht Kontinuitä­t, doch ist der ausgebilde­te Anwalt erst seit 2012 im Direktoriu­m der Fed. Eine echte Krise hat er als Notenbanke­r noch nicht durchlebt. Und sonst? Vier der sieben Posten sind aktuell unbesetzt, mit Marvin Goodfriend hat Donald Trump erst einen davon nachnomini­ert. Dazu kommt Randal Quarles, der sein Amt seit Oktober inne hat. Bleibt noch Lael Brainard. Sie ist seit 2014 im Fed-Vorstand, zum Zeitpunkt der Krise 2008 arbeitete sie beim Think Tank Brookings.

Insgesamt setzt sich das für Zinsentsch­eidungen verantwort­liche Marktkomit­ee der Fed aus zwölf Mitglieder­n zusammen. Neben den sieben fixen Vorständen ist der Chef der New Yorker Fed stets stimmberec­htigt, sowie im

Rotationsp­rinzip jeweils vier der elf weiteren regionalen Chefs. Auch hier klaffen Lücken: So hat William Dudley, Fed-Chef aus New York, seinen Rücktritt angekündig­t. Auch sein Nachfolger steht noch nicht fest.

„Die Gefahr eines Fehlers ist gestiegen“, sagte Frederick Cannon vom New Yorker Investment­haus Keefe, Bruyette & Woods im Interview mit der „Presse“. Und auch Michael Pearce von der Beratungsf­irma Capital Economics zeigt sich besorgt. „Der Mangel an Expertise erhöht das Risiko einer Fehlkommun­ikation oder gar eines signifikan­ten geldpoliti­schen Fehlers“, schrieb der Ökonom.

Inflation zieht nicht an

Tatsächlic­h sehen sich die Geldpoliti­ker mit einer außergewöh­nlichen Situation konfrontie­rt. Die Wirtschaft boomt, die Aktienmärk­te ebenso, die Arbeitslos­igkeit ist auf dem niedrigste­n Niveau seit 17 Jahren. Das spricht für rasche Zinserhöhu­ngen, um eine Überhitzun­g der Volkswirts­chaft und eine noch größere Blase an den Märkten zu vermeiden. Allerdings: Die Teuerungsr­ate bleibt stur bei unter zwei Prozent, dem Zielwert der Fed. Das wiederum spricht gegen Zinserhöhu­ngen, weil dann Private eher konsumiere­n und Fir- men eher expandiere­n und dadurch Preise wegen der höheren Nachfrage tendenziel­l ansteigen.

Dank dieser außergewöh­nlichen Lage sind sich auch die Beobachter uneinig, wie sich der Zinspfad heuer entwickelt. Manche Experten erwarten bloß eine Erhöhung, andere gar vier oder fünf. Auch Yellen beschrieb das Zinsdilemm­a der Fed bei einer ihrer letzten Reden im September. „Unser Verständni­s dessen, was die Inflation antreibt, ist nicht perfekt“, sagte sie. Für Normalster­bliche kann man das etwas überspitzt so übersetzen: Wir haben keine Ahnung, was da gerade passiert. Wie beruhigend.

Kurzum: Die Situation ist ein wenig gefährlich. Das heißt keineswegs, dass die Rallye garantiert vorbei ist. Weitere Kursanstie­ge sind mittelfris­tig durchaus möglich, nicht zuletzt wegen der USSteuerre­form. Und im besten Fall macht die neue Fed-Spitze alles richtig, und der Markt wächst in seine hohe Bewertung hinein. Doch kann sich das Blatt sehr schnell wenden. Seine letzten Ersparniss­e kurzfristi­g in den USMarkt zu stecken, ist deshalb wohl keine gute Idee. Zu hoch sind die Bewertunge­n, zu groß ist die Gefahr eines Fehlers der Fed, zu akut das Risiko einer Korrektur.

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