Alle Augen auf Federal Reserve
Geldpolitik. Zum womöglich ungünstigsten Zeitpunkt sehen sich Anleger mit einem Fed-Komitee konfrontiert, dem es an Erfahrung mangelt. Die Gefahr eines Fehlers ist groß, für Kleinanleger ist Vorsicht geboten.
Anleger sind mit einem unerfahrenen Fed-Komitee konfrontiert.
Alan Greenspan muss es wissen. „Wir haben eine Blase am Aktienmarkt“, sagte das 91-jährige Urgestein vergangene Woche im Bloomberg-Interview. Als Chef der US-Zentralbank trug Greenspan zur letzten großen Blase bei. 2004 wartete er wohl zu lange, bevor er die Zinsen anhob. Das billige Geld floss in den unzureichend regulierten Häusermarkt, Banken bündelten die Kredite, die Wirtschaft überhitzte. Der Rest ist Geschichte. 2008 stand die US-Volkswirtschaft am Abgrund, und mit ihr das gesamte Finanzsystem.
Schon klar, diese Darstellung ist verkürzt, und das Drama von vor zehn Jahren hat viele Facetten. Aber dass die Fed die Mittel und die Fähigkeit hat, für ein Gemetzel an den Märkten zu sorgen, ist spätestens seit damals jedem klar. Auch das weiß Greenspan. „Ich habe einen Fehler gemacht“, sagte er nach seiner Ablöse dem Kongress. Und heute? Ist vieles anders, eines ist jedoch mit 2004 vergleichbar: Die wichtigste Notenbank muss wieder einmal entscheiden, wie sie aus der Politik des billigen Geldes aussteigen kann, ohne die Finanzmärkte dabei allzu sehr abzuwürgen.
Im Bestfall steigen Gewinne
Im Idealfall wird sie die Zügel weiter sachte anziehen, langsam ihre Bilanzsumme reduzieren und vorsichtig die Zinsen anheben. Die Marktteilnehmer sehen das kommen, der Aktienmarkt kann deshalb vielleicht weiter steigen, wenn die Gewinne der Firmen auch wachsen, und zwar proportional ein wenig schneller als die Aktienkurse. Der Markt wächst in seine hohe Bewertung hinein, sagen Marktexperten dazu. Die Blase würde sich ohne großes Drama auflösen, und alles wird gut.
So weit, so logisch, doch funktioniert das nur selten so. Der Zeigefinger vieler Investoren liegt derzeit sehr locker auf dem „Verkaufen“-Knopf, wie die vergangene Woche zeigte, als führende Aktienindizes zwischendurch ohne klar ersichtlichen Grund um bis zu zwei Prozent fielen. Macht die Fed in diesem Umfeld einen Fehler – und das muss nur ein falsches Wort zum falschen Zeitpunkt sein –, kann schnell Panik ausbrechen. Und dass die mächtige Zentralbank gerade jetzt nahezu führungslos dasteht, trägt nicht gerade zur Beruhigung bei.
Mit der Chefin Janet Yellen und ihrem Vize Stanley Fischer sind zwei der erfahrensten Notenbanker aus dem siebenköpfigen Vorstand ausgeschieden. Yellens Nachfolger Jerome Powell verspricht Kontinuität, doch ist der ausgebildete Anwalt erst seit 2012 im Direktorium der Fed. Eine echte Krise hat er als Notenbanker noch nicht durchlebt. Und sonst? Vier der sieben Posten sind aktuell unbesetzt, mit Marvin Goodfriend hat Donald Trump erst einen davon nachnominiert. Dazu kommt Randal Quarles, der sein Amt seit Oktober inne hat. Bleibt noch Lael Brainard. Sie ist seit 2014 im Fed-Vorstand, zum Zeitpunkt der Krise 2008 arbeitete sie beim Think Tank Brookings.
Insgesamt setzt sich das für Zinsentscheidungen verantwortliche Marktkomitee der Fed aus zwölf Mitgliedern zusammen. Neben den sieben fixen Vorständen ist der Chef der New Yorker Fed stets stimmberechtigt, sowie im
Rotationsprinzip jeweils vier der elf weiteren regionalen Chefs. Auch hier klaffen Lücken: So hat William Dudley, Fed-Chef aus New York, seinen Rücktritt angekündigt. Auch sein Nachfolger steht noch nicht fest.
„Die Gefahr eines Fehlers ist gestiegen“, sagte Frederick Cannon vom New Yorker Investmenthaus Keefe, Bruyette & Woods im Interview mit der „Presse“. Und auch Michael Pearce von der Beratungsfirma Capital Economics zeigt sich besorgt. „Der Mangel an Expertise erhöht das Risiko einer Fehlkommunikation oder gar eines signifikanten geldpolitischen Fehlers“, schrieb der Ökonom.
Inflation zieht nicht an
Tatsächlich sehen sich die Geldpolitiker mit einer außergewöhnlichen Situation konfrontiert. Die Wirtschaft boomt, die Aktienmärkte ebenso, die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Niveau seit 17 Jahren. Das spricht für rasche Zinserhöhungen, um eine Überhitzung der Volkswirtschaft und eine noch größere Blase an den Märkten zu vermeiden. Allerdings: Die Teuerungsrate bleibt stur bei unter zwei Prozent, dem Zielwert der Fed. Das wiederum spricht gegen Zinserhöhungen, weil dann Private eher konsumieren und Fir- men eher expandieren und dadurch Preise wegen der höheren Nachfrage tendenziell ansteigen.
Dank dieser außergewöhnlichen Lage sind sich auch die Beobachter uneinig, wie sich der Zinspfad heuer entwickelt. Manche Experten erwarten bloß eine Erhöhung, andere gar vier oder fünf. Auch Yellen beschrieb das Zinsdilemma der Fed bei einer ihrer letzten Reden im September. „Unser Verständnis dessen, was die Inflation antreibt, ist nicht perfekt“, sagte sie. Für Normalsterbliche kann man das etwas überspitzt so übersetzen: Wir haben keine Ahnung, was da gerade passiert. Wie beruhigend.
Kurzum: Die Situation ist ein wenig gefährlich. Das heißt keineswegs, dass die Rallye garantiert vorbei ist. Weitere Kursanstiege sind mittelfristig durchaus möglich, nicht zuletzt wegen der USSteuerreform. Und im besten Fall macht die neue Fed-Spitze alles richtig, und der Markt wächst in seine hohe Bewertung hinein. Doch kann sich das Blatt sehr schnell wenden. Seine letzten Ersparnisse kurzfristig in den USMarkt zu stecken, ist deshalb wohl keine gute Idee. Zu hoch sind die Bewertungen, zu groß ist die Gefahr eines Fehlers der Fed, zu akut das Risiko einer Korrektur.