Zwölf Rollen für Cate Blanchett
Im Kino. Im Konzeptfilm „Manifesto“werden künstlerische Streitschriften aus dem Kontext gerissen.
In Julian Rosefeldts „Manifesto“spielt Cate Blanchett alle Hauptrollen – und macht das sehr gut.
Berlin, Teufelsberg: Auf dem Dach der alten US-Abhöranlage steht ein Obdachloser und brüllt ins Megafon: „Wir appellieren an alle aufrechten Intellektuellen, Schriftsteller und Künstler, endlich die trügerische Vorstellung fahren zu lassen, Kunst könne um ihrer selbst Willen existieren!“Die Worte eines Wahnsinnigen? Nein: Ein Exzerpt aus einer kommunistischen Kulturkampfschrift von 1932. Und der Obdachlose? Cate Blanchett – mit Wollmütze, löchrigem Anzug und falschem Bart.
Dies ist nur eine von dreizehn TypenTrachten, die sich Blanchett in Julian Rosefeldts Film „Manifesto“überstülpt. Ihrem Identitätskarussell entspricht ein Defilee der Ideen: Wie die Meldungen eines Nachrichtentickers prasseln zusammengekleisterte Slogans markiger Thesenpapiere und Mission Statements aus dem Fundus der Kunstund Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts auf den Zuschauer ein. Weibliches Sprachrohr für meist männliche Autoren bleibt, in wechselnder Montur und Szenerie, die StarSchauspielerin selbst. Mal hält sie eine flammende Grabrede, dann kujoniert sie als russische Ballett-Diva untergebene Tänzerinnen. Die Quellen des Zitatenschwalls (Dadaisten, Vortizisten, Situationisten usw.) erkennt man nur, wenn man sie kennt – erst der Abspann schafft Abhilfe.
Die Dekontextualisierung hat unterschiedliche Wirkungen. Einerseits merkt man, wie sehr sich die Rhetorik vieler Manifeste ähnelt: Immer wieder geht es um radikale Neuanfänge, den Bruch mit dem Althergebrachten, Tabula Rasa. Gleichzeitig wird vieles in ein neues Licht gerückt: Die Geschwindigkeits-Elogen der Futuristen erscheinen aus dem Mund von BörsenmaklerBlanchett plötzlich wie Mantras des entfesselten Neoliberalismus.
Ursprünglich eine 12-Kanal-Installation, macht sich „Manifesto“auch als konzeptuelle Kino-Collage erstaunlich gut – nicht zuletzt aufgrund architektonisch unorthodoxer Drehorte und dem Spektakel Blanchett, die das Kostümfest mit Gusto und Humor über die Bühne bringt, als Leinwandchamäleon so faszinierend wie Denis Lavant in „Holy Motors“. Was dem Film abgeht, ist – ironischerweise – eine eigene Haltung. Er stopft Material, dessen Kraft Bewegungen in Gang setzte, in einen Bauchladen der Beliebigkeit, bietet Ideologien zur freien Entnahme. „Ich bin weder für noch gegen“, heißt es zu Beginn im Geiste des Dada-Mitbegründers Tristan Tzara. Damit macht man sich weder Freunde noch Feinde. Aber wofür, wenn nicht dafür, sind Manifeste eigentlich gut?
„Manifesto“. Der Filmladen-Verleih zeigt den Film am 8. Februar einmalig in ausgewählten österreichischen Kinos, etwa im Wiener Gartenbaukino.