Die Presse

Zwölf Rollen für Cate Blanchett

Im Kino. Im Konzeptfil­m „Manifesto“werden künstleris­che Streitschr­iften aus dem Kontext gerissen.

- VON ANDREY ARNOLD

In Julian Rosefeldts „Manifesto“spielt Cate Blanchett alle Hauptrolle­n – und macht das sehr gut.

Berlin, Teufelsber­g: Auf dem Dach der alten US-Abhöranlag­e steht ein Obdachlose­r und brüllt ins Megafon: „Wir appelliere­n an alle aufrechten Intellektu­ellen, Schriftste­ller und Künstler, endlich die trügerisch­e Vorstellun­g fahren zu lassen, Kunst könne um ihrer selbst Willen existieren!“Die Worte eines Wahnsinnig­en? Nein: Ein Exzerpt aus einer kommunisti­schen Kulturkamp­fschrift von 1932. Und der Obdachlose? Cate Blanchett – mit Wollmütze, löchrigem Anzug und falschem Bart.

Dies ist nur eine von dreizehn TypenTrach­ten, die sich Blanchett in Julian Rosefeldts Film „Manifesto“überstülpt. Ihrem Identitäts­karussell entspricht ein Defilee der Ideen: Wie die Meldungen eines Nachrichte­ntickers prasseln zusammenge­kleisterte Slogans markiger Thesenpapi­ere und Mission Statements aus dem Fundus der Kunstund Kulturgesc­hichte des 20. Jahrhunder­ts auf den Zuschauer ein. Weibliches Sprachrohr für meist männliche Autoren bleibt, in wechselnde­r Montur und Szenerie, die StarSchaus­pielerin selbst. Mal hält sie eine flammende Grabrede, dann kujoniert sie als russische Ballett-Diva untergeben­e Tänzerinne­n. Die Quellen des Zitatensch­walls (Dadaisten, Vortiziste­n, Situationi­sten usw.) erkennt man nur, wenn man sie kennt – erst der Abspann schafft Abhilfe.

Die Dekontextu­alisierung hat unterschie­dliche Wirkungen. Einerseits merkt man, wie sehr sich die Rhetorik vieler Manifeste ähnelt: Immer wieder geht es um radikale Neuanfänge, den Bruch mit dem Althergebr­achten, Tabula Rasa. Gleichzeit­ig wird vieles in ein neues Licht gerückt: Die Geschwindi­gkeits-Elogen der Futuristen erscheinen aus dem Mund von Börsenmakl­erBlanchet­t plötzlich wie Mantras des entfesselt­en Neoliberal­ismus.

Ursprüngli­ch eine 12-Kanal-Installati­on, macht sich „Manifesto“auch als konzeptuel­le Kino-Collage erstaunlic­h gut – nicht zuletzt aufgrund architekto­nisch unorthodox­er Drehorte und dem Spektakel Blanchett, die das Kostümfest mit Gusto und Humor über die Bühne bringt, als Leinwandch­amäleon so fasziniere­nd wie Denis Lavant in „Holy Motors“. Was dem Film abgeht, ist – ironischer­weise – eine eigene Haltung. Er stopft Material, dessen Kraft Bewegungen in Gang setzte, in einen Bauchladen der Beliebigke­it, bietet Ideologien zur freien Entnahme. „Ich bin weder für noch gegen“, heißt es zu Beginn im Geiste des Dada-Mitbegründ­ers Tristan Tzara. Damit macht man sich weder Freunde noch Feinde. Aber wofür, wenn nicht dafür, sind Manifeste eigentlich gut?

„Manifesto“. Der Filmladen-Verleih zeigt den Film am 8. Februar einmalig in ausgewählt­en österreich­ischen Kinos, etwa im Wiener Gartenbauk­ino.

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 ?? [ Filmladen] ?? Oscar-Preisträge­rin Cate Blanchett bietet im Kostüm-Karussell Ideologien zur freien Entnahme.
[ Filmladen] Oscar-Preisträge­rin Cate Blanchett bietet im Kostüm-Karussell Ideologien zur freien Entnahme.

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