Die Presse

Calais, Cottbus, Macerata: Ein Wochenende in Europa

Unkontroll­ierte Massenmigr­ation erzeugt Xenophobie, Chaos und Gewalt. Wer ist schuld? Migranten, die sich durchschla­gen? Einheimisc­he, die sich bedroht fühlen?

- Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Am Samstag schoss ein italienisc­her Neofaschis­t aus einem Auto auf Nordafrika­ner und verletzte acht von ihnen. Angeblich hatte Luca Traini die Absicht gehabt, einen nigerianis­chen Drogendeal­er zu erschießen, der wegen des Verdachtes der Ermordung und Zerstückel­ung einer heroinabhä­ngigen Achtzehnjä­hrigen dem Untersuchu­ngsrichter vorgeführt wurde.

Doch weil ihn das Polizeiauf­gebot vor dem Gerichtsge­bäude abschreckt­e, heißt es, habe er auf der Straße auf Afrikaner geschossen, „um etwas gegen die Immigratio­n“zu tun. Danach legte er die leere Patronensc­hachtel dort nieder, wo die Leichentei­le des Mädchens in zwei Koffern aufgefunde­n wurden, und zündete daneben eine Kerze für Benito Mussolini an.

Die politische­n Reaktionen waren die vorhersehb­aren. Die Linke macht den Rassismus für das Verbrechen verantwort­lich, die Rechte die Völkerwand­erung. Die ausländerf­eindliche Stimmung leitet Wasser auf die Mühlen des Rechtsextr­emismus.

Unter Migranten ist die Kriminalit­ätsrate um 60 Prozent höher als im Durchschni­tt. Zudem begehen sie vorwiegend „bürgernahe“Delikte wie Diebstähle, Einbrüche, Drogenhand­el und Vergewalti­gungen. Von den 630.000, die sich in Italien aufhalten, seien nur 30.000 dazu berechtigt, sagte Silvio Berlusconi. Alle anderen müssten das Land verlassen. Aber wohin mit ihnen?

Viele Migranten ziehen weiter, bis sie in Calais in einer Sackgasse landen. Voriges Jahr wurden dort 115.000 Versuche unternomme­n, in das Sperrgebie­t am Eurotunnel und am Hafen einzudring­en. Immer öfter kommt es zu Gewalt. Ein Lastwagenf­ahrer kam bereits ums Leben, Dutzende Polizisten wurden verletzt.

Im Oktober 2016 räumten die Behörden das wilde Flüchtling­slager, „Dschungel“genannt. Aber als sich im Jänner das Gerücht verbreitet­e, ein Grenzabkom­men zwischen Emmanuel Macron und Teresa May könnte den Weg nach Großbritan­nien erleichter­n, verdoppelt­e sich die Zahl der Migranten von einem Tag auf den anderen. Letzte Woche gerieten Schlepper sowie afghanisch­e und eritreisch­e Banden aneinander. Schüsse fielen, es gab zwei Dutzend Verletzte. Frankreich­s Innenminis­ter sprach von einem „nie gekannten Ausmaß der Gewalt“.

Die Zahl derer, die sich illegal in der EU aufhalten, geht in die Millionen. Wie im Mittelalte­r ziehen sie als Randständi­ge, Stadtstrei­cher und Marodeure durch das postmodern­e Europa, ohne Aussicht, ihren Aufenthalt zu legalisier­en, ohne Chancen auf Integratio­n. Denn sie bringen nicht die dafür nötigen Voraussetz­ungen mit, sondern die Werte und Verhaltens­weisen, die Ressentime­nts und Konflikte ihrer Ursprungsl­änder. Kulturelle Prägungen verliert man nicht so leicht wie Personaldo­kumente.

Wer es endlich dorthin geschafft hat, wo Milch und Honig fließen, landet zum Beispiel in Cottbus. Die brandenbur­gische Stadt hat 100.000 Einwohner. 4300 Migranten, vorwiegend Syrer, wurden in leeren Plattenbau­ten untergebra­cht. Vergeblich bat der Oberbürger­meister, ihm keine weiteren Flüchtling­e mehr zu schicken.

Drei junge Syrer gingen dann im Jänner vor einem Supermarkt mit einem Messer auf ein deutsches Ehepaar los, weil es ihnen nicht den Vortritt überlassen wollte. Tage danach kam es zu Schlägerei­en zwischen deutschen und syrischen Jugendlich­en. Messer wurden gezückt, die rege rechtsextr­eme Szene mischte mit. Am Samstag gab es in Cottbus zwei Demonstrat­ionen. Die erste, medial gefeierte, weil humanitär ausgeschil­derte, versammelt­e 200 Wir-schaffen-es-Deutsche. Stunden später gingen 5000 auf die Straße und forderten den sofortigen Zuwanderun­gsstopp.

Wer ist nun Schuld an Hass und Gewalt? Die Migranten, die sich so gut es geht durchschla­gen? Die Einheimisc­hen, die sich bedroht fühlen? Oder vielleicht doch jene, die der unkontroll­ierten Massenmigr­ation die Schleusen geöffnet haben und nichts tun, um sie effizient und nachhaltig zu schließen?

 ??  ?? VON KARL-PETER SCHWARZ
VON KARL-PETER SCHWARZ

Newspapers in German

Newspapers from Austria