Der Osten hinkt Kerneuropa hinterher
Studie. Das Wifo-Institut hat die Produktivitätsschere zwischen alten und neuen EUMitgliedern untersucht. Der Abstand hat sich in manchen Fällen sogar vergrößert.
Wie weit ist die Aufholjagd der mittelosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten zum (westeuropäischen) Kerneuropa vorangeschritten? Nicht weit genug, lautet der Befund des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo. Die Wiener Ökonomen haben im Auftrag der Europäischen Kommission untersucht, ob sich alte und neue EU bei der Produktivität im Lauf der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte nähergekommen sind. Die ernüchternde Antwort: Seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 holt Osteuropa nicht nur nicht auf, es fällt sogar teilweise zurück. Für die Studienautoren Klaus Friesenbichler und Christian Glocker war dieses Ergebnis so überraschend, dass sie ihre Kalkulationen wiederholten – um einen Rechenfehler auszuschließen.
Eines vorweg: Bei der WifoStudie ging es weder um das Wirtschaftswachstum noch um die Lebensstandards in der Region, denn in beiden Fällen waren bzw. sind die Zuwächse beachtlich. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Frage, wie effizient dieses Wachstum generiert wird und ob die Produktivität in Mittelosteuropa schneller wächst als im Kerneuropa.
Dass sich diese Schere nicht schließt, hat mehrere Gründe. Erstens: Je höher der Anteil an international handelbaren Waren und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft, desto besser die Produktivitätsbilanz – weil Wettbewerb erfinderisch macht. In der CEE-Region lässt sich diese Dynamik vor allem in Tschechien, der Slowakei und Estland beobachten – Länder mit vergleichsweise innovativer industrieller Basis, die als Zulieferer für westeuropäische Konzerne gefragt sind. Grund Nummer zwei: Die Unternehmer in Kerneuropa haben in den vergangenen Jahren nicht geschlafen und ebenfalls die Produktivität gesteigert.
Somit lässt sich die aus der Entwicklungsökonomie bekannte „Falle des mittleren Einkommens“auch innerhalb der EU beobachten – europäische „Schwellenländer“tun sich schwer damit, die Produktivitätsdecke zu durchstoßen und zur Spitzengruppe aufzuschließen. Am ehesten gelingt das dort, wo das Wachstum nicht durch Auslandsinvestitionen, sondern durch hausgemachte technologische Entwicklung getrieben ist.
Fazit: Wenn nationalpopulistische Regierungen in Polen und Ungarn davon sprechen, neue Wachstumsquellen im Inland zu erschließen, dann haben sie immerhin das Problem erkannt. Ob die von ihnen propagierten Lösungen, die in den allermeisten Fällen auf staatlichen Dirigismus hinauslaufen, das richtige Rezept sind, steht auf einem anderen Blatt. (la)