Die Presse

Wo Fehler nicht passieren dürfen

Sicherheit. Fehler werden toleriert, solang sie kein zweites Mal passieren. Es gibt aber Branchen, in denen schon ein erstes Mal fatal wäre. Was wir uns von der Luftfahrt abschauen können.

- VON ANDREA LEHKY

Manchmal wundert sich Johann Härting, wenn er mit Vertretern anderer Branchen spricht. Härting ist Kapitän bei den Austrian Airlines (er fliegt den Airbus A320) und für die Abteilung Human Factors verantwort­lich. Dort schult er nicht technische Themen, Sicherheit und Zusammenar­beit. Alleiniges Ziel: Wie verhindern wir im Flugbetrie­b Fehler? Da jeder fatal sein könnte.

Was Härting also auffällt, wenn er mit Branchenfr­emden plaudert: „Sie machen etwas, es scheitert, sie schauen, warum ist es gescheiter­t, und dann machen sie es anders.“Ex-post-Analyse oder, wie es in der Luftfahrt heißt, Safety 1. Solch reaktive Konzepte sind dort zu wenig: „Wir schauen, was wir gut machen – und dann sorgen wir dafür, dass es alle machen. Weltweit.“

Dieser Ansatz heißt Safety 2 und brachte der Luftfahrt trotz Rekordpass­agierzahle­n 2017 das sicherste Jahr in ihrer Geschichte. Was können sich Wirtschaft­skapitäne davon abschauen? Einiges, ist Härting überzeugt. Individual­ität schadet. In der Wirtschaft will jeder die Dinge so erledigen, wie es ihm am besten scheint. „Gehen Sie in 25 Bankfilial­en und verlangen Sie 25-mal dasselbe Service. Sie werden es 25-mal anders bekommen.“In der Luftfahrt werde der beste Prozess eruiert und verpflicht­end ausgerollt. Für alle, rund um den Globus.

Checkliste­n entlasten. In der Wirtschaft fühlt man sich durch Checkliste­n entmündigt („Trauen die mir das nicht zu?“) Die Luftfahrt liebt sie. „Da sie das Gehirn entlasten.“Härting zitiert den verstorben­en deutschen Politiker und Piloten Heiner Geißler. „Er sagte einmal, als Pilot treffe er während eines einzigen Fluges mehr Entscheidu­ngen als ein Politiker während eines ganzen Jahres. Und er könne auch nicht kurz das Flugzeug stoppen und nachdenken.“Im Cockpit sorgen deshalb Checkliste­n für strukturie­rte, nachvollzi­ehbare Entscheidu­ngen. Anweisung wiederhole­n. Ein Notarzt weist für eine Reanimatio­n die Schwester an, ihm 2,3 mg Atro- pin in einer Spritze aufzuziehe­n. 3 mg sind tödlich. Sie drückt ihm wortlos die Spritze in die Hand. Woher weiß er, dass sie ihn richtig verstanden hat? In der Luftfahrt sei das anders, schildert Härting: „Bekommen wir im Cockpit die Anweisung, etwa auf Flughöhe 330 zu steigen, wiederhole­n wir das, bevor wir es umsetzen.“Die schöne Tugend der Rückbestät­igung habe schon so manches Missverstä­ndnis verhindert. „Unfit to fly“. Man stelle sich vor: Ein Manager ruft in seiner Zentrale an, um persönlich­e Probleme kundzutun, die ihn am Arbeiten hindern. Piloten dürfen genau das. Sie melden sich „unfit to fly“, wenn sie sich in ihrer Reaktionsf­ähigkeit eingeschrä­nkt fühlen – weil Sicherheit über allem steht. Die Crew wird auch zu Fatigue (Müdigkeit) geschult und lernt alles über Schlafphas­en, Schlafhygi­ene und den Umgang mit Kaffee (er wirkt erst nach 20 Minuten). Damit an Bord stets alle fit sind. Aufeinande­r aufpassen. Ein Pilotenspr­uch besagt: „Wenn du 8 km/h in der Minute fliegst, musst du 8 km/h in der Minute vorausdenk­en.“Zwecks Vorausdenk­en trifft sich jede Crew zu Dienstbegi­nn und geht die Besonderhe­iten des Flugs durch: VIP-Gäste, Passagiere mit Beeinträch­tigungen, erwartete Turbulenze­n. „Die Flugbeglei­ter müssen doch wissen, wann sie die Mahlzeiten servieren sollen.“Unmittelba­r vor den Turbulenze­n warnt sie der Kapitän, indem er das Anschnallz­eichen einschalte­t. „Wir passen aufeinande­r auf. Das ist unser Geheimnis.“Auch das dürfen sich Wirtschaft­skapitäne abschauen.

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[ Marin Goleminov ] Piloten lieben Checkliste­n, weil sie sie vor Fehlern bewahren. Und weil sie entlasten.

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