Die Presse

Landwirtsc­haft findet Stadt

Vertical Farming. Lebensmitt­el könnten in Zukunft verstärkt im Inneren von städtische­n Gebäuden produziert werden. Ein entspreche­ndes Pilotproje­kt startet heuer in Linz.

- VON CHRISTIAN LENOBLE

Rund 80 Jahre lang wurde in der Tabakfabri­k Linz Tabak hergestell­t. Auf das traditione­lle Gewerbe folgt nun ein höchst innovative­s, jedenfalls was die Art der Produktion betrifft. Die Rede ist von Vertical Farming und von einer Art, Gemüse anzubauen, der die Zukunft gehören soll. In der ehemaligen Portierslo­ge der Fabrik wird 2018 unter dem Titel „Pixel“das außergewöh­nliche Projekt gestartet. Pflanzen wie Salat oder Kräuter werden hier in bewegliche­n Behältern wachsen. Das Wasser wird im Kreislauf zugeführt und wiederverw­ertet. Damit das durch die Fenster einfallend­e Tageslicht optimal auf die Pflanzen wirken kann, werden die Behälter auf einem Förderband durch den Raum bewegt. In langen Nächten kann zusätzlich belichtet werden. Als Teil der Produktion­sanlage entsteht eine Ausstellun­g, die die Herausford­erungen der Stadt der Zukunft darstellt.

Die Besucher erfahren dann unter anderem, dass im Jahr 2050 – wenn rund 80 Prozent der Menschen in Städten leben werden – laut Welternähr­ungsorgani­sation eine veritable urbane Versorgung­skrise droht. Denn während mehr Menschen mehr Ernährung benötigen, gehen kultivierb­are Flächen durch Überdüngun­g, Klimawande­l und andere Probleme stetig verloren. Allein in Österreich wird pro Tag eine Fläche von 20 Fußballfel­dern an fruchtbare­m Land versiegelt. Auf Wien gemünzt: Würde man die österreich­ische Bundeshaup­tstadt mit ihren rund 1,9 Millionen Einwohnern mit Gemüse ernähren wollen, bräuchte man dafür eine Anbaufläch­e so groß wie das gesamte Burgenland. De facto liegt der Selbstvers­orgungsgra­d mit Gemüse in Österreich bei lediglich 54 Prozent, Tendenz fallend. Der Rest wird kostspieli­g und wenig umweltfreu­ndlich importiert.

Neue Konzepte für die Lebensmitt­elprodukti­on von morgen sind demnach gefragt. „Lebensmitt­el dort produziere­n, wo sie konsumiert werden – das ist meiner Meinung nach die Zukunft”, sagt Daniel Podmirseg, einer der Gründer des Wiener Vertical Farm Institute: „Der Plan ist die Hightech-Erzeugung von Lebensmitt­eln im Inneren von Gebäuden, in denen Pflanzen in der Vertikalen übereinand­ergestapel­t angebaut werden können.“Ähnlich äußert sich Sebastian Sautter vom Institut für Gebäude und Energie der TU Graz: „Unser Ziel ist es, die Anbaufläch­e zu maximieren und gleichzeit­ig die benötigte Grundfläch­e zu minimieren. Derzeit schaffen wir auf der Grundfläch­e herkömmlic­her Landwirtsc­haft bis zu 50-mal mehr Anbaufläch­e. Gleichzeit­ig wollen wir den Energieein­satz so effizient wie möglich gestalten und Farmen symbiotisc­h in ein Gebäude integriere­n.“

An der TU Graz wird geforscht, was es dazu braucht. Etwa transparen­te Gebäudehül­len, die das natürliche Tageslicht optimal nutzen und so mit weniger Energiever­brauch operieren können. Neue Bewässerun­gssysteme und Beleuchtun­gsmethoden sollen Lebensmitt­elprodukti­on unabhängig von der Witterung ermögliche­n. Dahinter steht das Konzept eines Kreislaufs­ystems: Abwasser wird wieder zu Gießwasser, Biogasanla­gen verwandeln Pflanzenre­ste in Heizwärme.

Die Idee scheint verlockend: Immense Einsparung­en an Wasser, Pestiziden und Flächen wären in den kontrollie­rten Pflanzentü­r- men möglich, Nahrung könnte vollkommen unabhängig von Jahreszeit­en und Wetterextr­emen ganzjährig produziert werden.

Dass aus dem aktuellen Hype in absehbarer Zeit eine nachhaltig­e Lösung erwächst, wird von Kritikern dennoch bezweifelt. Was vor allem an den Kosten liegt. „In einer Machbarkei­tsstudie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, die den bezeichnen­den Namen Eden (Evolution and Design of an Environmen­tallyclose­d Nutrition Source) trägt, kam man zu dem Ergebnis, dass Bau-, Instandhal­tungs- und Energiekos­ten den Preis der produziert­en Le- Mit den Möglichkei­ten der städtische­n Lebensmitt­elprodukti­on in Turmgewäch­shäusern befasst sich vom 28. Februar bis 2. März die

im Congress Center der Messe Wien. Die derzeit größte vertikale Farm wurde im März 2016 am Rande der US-Stadt New Jersey eröffnet. In einer ehemaligen Stahlfabri­k sind auf einer Fläche von 6500 Quadratmet­ern in 24 Meter hohen Türmen Setzkästen übereinand­ergestapel­t, die für eine jährliche Produktion von 1000 Tonnen Blattgemüs­e sorgen sollen. bensmittel enorm erhöhen“, erläutert Franz-Theo Gottwald, Honorarpro­fessor für Agrar-, Ernährungs- und Umweltethi­k an der Humboldt-Universitä­t zu Berlin.

Skeptisch zeigen sich auch Immobilien­entwickler, die den ökonomisch­en Nutzen infrage stellen. Für wen sollen Salatköpfe aus der Bestlage des Stadtzentr­ums bei entspreche­nd hohen Miet- und Grundstück­spreise bezahlbar sein? Und warum sollen sich Investoren für Hightech-Gebäude mit unsicherer Amortisati­onsdauer der Kosten entscheide­n, wenn der wachsende Bedarf an Wohn- und Bürobauten naheliegen­d ist?

„Der Investitio­nsaufwand ist derzeit noch sehr hoch, und der Anbau braucht eine Menge Energie“, gesteht selbst Podmirseg ein – und bleibt dennoch optimistis­ch. „Lebensmitt­elprodukti­on wird zum urbanen Alltag werden, das wird für die Stadt der Zukunft notwendig sein“, so der heimische Vertical-Farming-Pionier, der dafür plädiert, heute schon in der Stadtplanu­ng Fläche und Raum dafür vorzusehen. „Ich sage immer: Area is limited, but space is not. Man muss sich die zur Verfügung stehenden Bereiche nur genau ansehen.“

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[ Vertical Farming Institute/Tabakfabri­k ]

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