Landwirtschaft findet Stadt
Vertical Farming. Lebensmittel könnten in Zukunft verstärkt im Inneren von städtischen Gebäuden produziert werden. Ein entsprechendes Pilotprojekt startet heuer in Linz.
Rund 80 Jahre lang wurde in der Tabakfabrik Linz Tabak hergestellt. Auf das traditionelle Gewerbe folgt nun ein höchst innovatives, jedenfalls was die Art der Produktion betrifft. Die Rede ist von Vertical Farming und von einer Art, Gemüse anzubauen, der die Zukunft gehören soll. In der ehemaligen Portiersloge der Fabrik wird 2018 unter dem Titel „Pixel“das außergewöhnliche Projekt gestartet. Pflanzen wie Salat oder Kräuter werden hier in beweglichen Behältern wachsen. Das Wasser wird im Kreislauf zugeführt und wiederverwertet. Damit das durch die Fenster einfallende Tageslicht optimal auf die Pflanzen wirken kann, werden die Behälter auf einem Förderband durch den Raum bewegt. In langen Nächten kann zusätzlich belichtet werden. Als Teil der Produktionsanlage entsteht eine Ausstellung, die die Herausforderungen der Stadt der Zukunft darstellt.
Die Besucher erfahren dann unter anderem, dass im Jahr 2050 – wenn rund 80 Prozent der Menschen in Städten leben werden – laut Welternährungsorganisation eine veritable urbane Versorgungskrise droht. Denn während mehr Menschen mehr Ernährung benötigen, gehen kultivierbare Flächen durch Überdüngung, Klimawandel und andere Probleme stetig verloren. Allein in Österreich wird pro Tag eine Fläche von 20 Fußballfeldern an fruchtbarem Land versiegelt. Auf Wien gemünzt: Würde man die österreichische Bundeshauptstadt mit ihren rund 1,9 Millionen Einwohnern mit Gemüse ernähren wollen, bräuchte man dafür eine Anbaufläche so groß wie das gesamte Burgenland. De facto liegt der Selbstversorgungsgrad mit Gemüse in Österreich bei lediglich 54 Prozent, Tendenz fallend. Der Rest wird kostspielig und wenig umweltfreundlich importiert.
Neue Konzepte für die Lebensmittelproduktion von morgen sind demnach gefragt. „Lebensmittel dort produzieren, wo sie konsumiert werden – das ist meiner Meinung nach die Zukunft”, sagt Daniel Podmirseg, einer der Gründer des Wiener Vertical Farm Institute: „Der Plan ist die Hightech-Erzeugung von Lebensmitteln im Inneren von Gebäuden, in denen Pflanzen in der Vertikalen übereinandergestapelt angebaut werden können.“Ähnlich äußert sich Sebastian Sautter vom Institut für Gebäude und Energie der TU Graz: „Unser Ziel ist es, die Anbaufläche zu maximieren und gleichzeitig die benötigte Grundfläche zu minimieren. Derzeit schaffen wir auf der Grundfläche herkömmlicher Landwirtschaft bis zu 50-mal mehr Anbaufläche. Gleichzeitig wollen wir den Energieeinsatz so effizient wie möglich gestalten und Farmen symbiotisch in ein Gebäude integrieren.“
An der TU Graz wird geforscht, was es dazu braucht. Etwa transparente Gebäudehüllen, die das natürliche Tageslicht optimal nutzen und so mit weniger Energieverbrauch operieren können. Neue Bewässerungssysteme und Beleuchtungsmethoden sollen Lebensmittelproduktion unabhängig von der Witterung ermöglichen. Dahinter steht das Konzept eines Kreislaufsystems: Abwasser wird wieder zu Gießwasser, Biogasanlagen verwandeln Pflanzenreste in Heizwärme.
Die Idee scheint verlockend: Immense Einsparungen an Wasser, Pestiziden und Flächen wären in den kontrollierten Pflanzentür- men möglich, Nahrung könnte vollkommen unabhängig von Jahreszeiten und Wetterextremen ganzjährig produziert werden.
Dass aus dem aktuellen Hype in absehbarer Zeit eine nachhaltige Lösung erwächst, wird von Kritikern dennoch bezweifelt. Was vor allem an den Kosten liegt. „In einer Machbarkeitsstudie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, die den bezeichnenden Namen Eden (Evolution and Design of an Environmentallyclosed Nutrition Source) trägt, kam man zu dem Ergebnis, dass Bau-, Instandhaltungs- und Energiekosten den Preis der produzierten Le- Mit den Möglichkeiten der städtischen Lebensmittelproduktion in Turmgewächshäusern befasst sich vom 28. Februar bis 2. März die
im Congress Center der Messe Wien. Die derzeit größte vertikale Farm wurde im März 2016 am Rande der US-Stadt New Jersey eröffnet. In einer ehemaligen Stahlfabrik sind auf einer Fläche von 6500 Quadratmetern in 24 Meter hohen Türmen Setzkästen übereinandergestapelt, die für eine jährliche Produktion von 1000 Tonnen Blattgemüse sorgen sollen. bensmittel enorm erhöhen“, erläutert Franz-Theo Gottwald, Honorarprofessor für Agrar-, Ernährungs- und Umweltethik an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Skeptisch zeigen sich auch Immobilienentwickler, die den ökonomischen Nutzen infrage stellen. Für wen sollen Salatköpfe aus der Bestlage des Stadtzentrums bei entsprechend hohen Miet- und Grundstückspreise bezahlbar sein? Und warum sollen sich Investoren für Hightech-Gebäude mit unsicherer Amortisationsdauer der Kosten entscheiden, wenn der wachsende Bedarf an Wohn- und Bürobauten naheliegend ist?
„Der Investitionsaufwand ist derzeit noch sehr hoch, und der Anbau braucht eine Menge Energie“, gesteht selbst Podmirseg ein – und bleibt dennoch optimistisch. „Lebensmittelproduktion wird zum urbanen Alltag werden, das wird für die Stadt der Zukunft notwendig sein“, so der heimische Vertical-Farming-Pionier, der dafür plädiert, heute schon in der Stadtplanung Fläche und Raum dafür vorzusehen. „Ich sage immer: Area is limited, but space is not. Man muss sich die zur Verfügung stehenden Bereiche nur genau ansehen.“