Brandstetter: Ich kam, sah und blieb
Preise und Auszeichnungen Kärntens entgegengenommen haben. Wie der hoch angesehene Objektkünstler Cornelius Kolig eine kunstvolle oder künstliche Greifzange oder Prothese erfunden und mit ihrer Hilfe sozusagen distanziert und aus der Entfernung und mit Abstand und Anstand den Scheck des Landes in Empfang genommen hat . . . Ja, viele zeitgenössische Autoren und Künstler, Autorinnen und Künstlerinnen „zürnen“dem Regiment? Ich könnte mit Walther jedoch sagen: Nein, ich nicht. Ich habe mich aber, gerade in jener Zeit, als ein umstrittener oberösterreichischer Landsmann hier Landeshauptmann war, sehr weit von den Mächtigen ferngehalten.
In einem Vortrag bei den „Pfingstgesprächen“im Stift Reichersberg am Inn – dies nebenbei, als Einschub – habe ich einmal meinen Schwiegervater, Teka Selman, einen gebürtigen Albaner, als Beispiel eines österreichischen Patrioten beschrieben. Nachdem man ihn in der Dag-Hammarskjöld-Siedlung lange auf die Staatsbürgerschaft hatte warten lassen – er war halt kein Eishockeyspieler oder Dirigent, sondern Hilfsarbeiter beim Schlägerungsunternehmer Kumar und zuletzt Hausmeister in der Firma Zimmer –, war er schließlich, als er die Staatsbürgerschaft bekommen hatte, stets der Erste bei Wahlen vor dem Wahllokal in der TheodorKörner-Schule.
Wolfgang Straub zitiert in seinem „Literarischen Führer Österreich“zum Artikel „Klagenfurt“einleitend Ingeborg Bachmann: „In diese Stadt ist man selten aus einer anderen Stadt gezogen, weil ihre Verlockungen zu gering waren, man ist aus den Dörfern gekommen, weil die Höfe zu klein wurden, und hat am Stadtrand eine Unterkunft gesucht, wo sie am billigsten war. Dort waren auch noch Felder und Schottergruben, die großen Gärtnereien und die Bauplätze, auf denen jahrelang Rüben, Kraut und Bohnen, das Brot der armen Siedler, geerntet wurden.“Bachmanns Verhältnis zu ihrer Geburtsstadt ist, milde ausgedrückt, ambivalent. Nicht alles, was sie in „Jugend in einer österreichischen Stadt“und in „Drei Wege zum See“geschrieben hat, etwa auch über die „albernen Denkmäler des Neuen Platzes“, das Lindwurmdenkmal also, das Wahrzeichen der Stadt, und das Maria-Theresia-Monument, lässt sich touristisch vermarkten. Bachmann hat das Land für immer verlassen; nein, post mortem hat man sie nach Annabichl in ein Ehrengrab der Geburtsstadt gebracht.
Wolfgang Straub bringt in seinem „Literarischen Führer“auch einen sehr konkreten Text Gert Jonkes, eine Litanei der Namen der Geschäftslokale des Alten Platzes: „Über den Alten Platz gehen, sich von den goldenen Hörnern auf der Spitze der Pestsäule blenden lassen, die Goldene Gans besichtigen, unter der ich, aus dem Landhaushof kommend, das sogenannte zwielichtige Gesindel aus dem Landhauscafe´ herauskommen sehe, Eisenzwick, Elektrosenekowitsch, Kurzwarendörfler, Farbenhübner Stoffestuller, Drogerieleist Seifenhatheyer, Fotostrauß hinter mir lassend.“
Möchte man heute wie Jonke Klagenfurt beschreiben anhand eines Ganges über den Alten Platz oder die Bahnhofstraße, dann müsste man wohl die vielen leer stehenden und angebotenen Geschäftslokale erwähnen, deren Inhaber durch die Konzentration auf die Shopping Mall der City-Arkaden und des Südparks, aber noch mehr durch die Möglichkeiten des Onlinehandels in wirtschaftliche Bedrängnis geraten sind und das Handtuch warfen.
An anderer Stelle bei Straub heißt es: „Dass Julien Green (Paris 1900–1998) auf einer seiner Österreich-Reisen beschloss, gerade in K. begraben sein zu wollen, liegt teilweise an den Geistlichen, die der begeisterte Katholik hier traf, und an der Landschaft (,die Hügel Kärntens, die mich verzaubert haben‘).“Man bot ihm ein Grabmal in der Klagenfurter „Hauptstadtpfarrkirche“St. Egid an. Er schrieb davon, eine Übereinstimmung „aus tiefster Seele mit dem Glauben eines Landes, das seinen religiösen Überzeugungen vollkommen treu geblieben ist“, zu spüren. So wie Paolo Santonino, der Privatsekretär des Patriarchen von Aquileja, in seinem berühmten Itinerar, als er den Bischof von Udine auf seiner Missionsreise durch Kärnten begleitete, der die von den Türken verwüsteten Kirchen neu einweihte, wie also Santonino dort die Villacher als besonders fromm lobt und seinen italienischen oder friulanischen Landsleuten als leuchtendes Vorbild hinstellt, so lobt Julien Green, 500 Jahre später in seinen Tagebüchern die Klagenfurter.
Und vielleicht spürt man bei den HeiligHaupt-Andachten vor der Karwoche, einer Novene, die, einem in der Pestzeit abgelegten Gelübde getreu, bis heute gehalten wird, wirklich noch etwas von einer solchen Frömmigkeit. Ein inhaltsreiches Buch, das Monsignore Markus Mairitsch anlässlich des 250-Jahr-Jubiläums herausgegeben hat, mit Texten von Kompetenten, wie etwa dem Theologen Joseph Aloisius Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., und Bildern von Kärntner Künstlern, Paraphrasen zum Gnadenbild, der Kopie eines GuidoReni-Bildes über dem Hauptaltar von St. Egid, beschreibt die Geschichte dieser Klagenfurter „Institution“, die einmal weit ins Land hinausgestrahlt hat. Die Bilder des Wiener Phantastischen Realismus des Ernst Fuchs zur Apokalypse in der ehemaligen Südsakristei sind auch für den Tourismus Kärntens zu einer wichtigen Destination geworden. Sie stellen ein Vermächtnis des Ernst Fuchs dar, wie immer man zu ihm und seiner Kunst stehen mag. Und sie sind auch durch die Darstellung des Spiritus Rector und Initiators des großen Unternehmens, des Kanonikus Mairitsch, in der Gestalt des Propheten Hosea ein Denkmal für den Auftraggeber.
Es ist noch nicht lange her, dass wir den 70. Geburtstag des Markus Mairitsch gefeiert haben. Und es ist auch nicht lange her, dass wir uns oft an Freitagen im Pfarrhof auf Einladung des Hausherrn zu einer Mahlgemeinschaft eingefunden haben. Wir, das waren Herbert Wochinz, Matthias Kralj, Elisabeth Reichmann-Endres, Andreas Mölzer und manchmal Ernst Fuchs. Memento Mortuorum: Elisabeth Reichmann Endres, Herbert Wochinz, Ernst Fuchs und nun Markus Mairitsch haben uns in den vergangenen Jahren für immer verlassen. Mit Elisabeth Reichmann-Endres, der langjährigen Leiterin des Denkmalamtes, ist auch eine der letzten Mitschülerinnen und Maturakolleginnen der Ingeborg Bachmann am Ursulinen-Gymnasium, oft als verlässliche Zeitzeugin zur Biografie der Dichterin befragt, verstummt. Mit großer Wehmut denke ich an sie.
Kärnten wird oft als ein Land der Künstler, der Schriftsteller und auch der Maler gerühmt, und das gar nicht zu Unrecht. Wenn man aus dem Bahnhof heraus auf den Walther-von-der-Vogelweide-Platz tritt, sieht man am gegenüberliegenden Haus, Musils Geburtshaus, drei große Graffiti-Köpfe vom bekannten französischen Sprayer Aerosol, darstellend das literarische, weltliterarische Kärntner Dreigestirn, Ingeborg Bachmann, Robert Musil und Christine Lavant. Eine der überregional populärsten Veranstaltungen ist das aus der „Woche der Begegnung“hervorgegangene „Wettlesen“des IngeborgBachmann-Preises, das jährlich großes mediales Echo findet. Der erste BachmannPreisträger war selbst ein Klagenfurter: Gert Jonke. Im Jahr 2011 hat die Kärntner Slowenin Maja Haderlap den Bachmann-Preis bekommen.
Wer die Bahnhofstraße stadteinwärts geht, sieht vor dem Gebäude der Kärntner Landesregierung eine Plastik, eine „Liegende“von Herbert Boeckl, im MMKK, dem „Museum moderner Kunst Kärnten“, wunderbare Bilder der Maler des sogenannten Nötscher Kreises, im Europapark Plastiken internationaler und Kärntner Größen, wie des Bildhauers Otto Eder.
Das alles sind gute Voraussetzungen, dass es gelingen könnte, entsprechend dem neu erarbeiteten „Stadtentwicklungsplan“den Ruf des 800-jährigen Klagenfurt, 500 Jahre nach dem „Gabbrief“Kaiser Maximilians, als einer Stadt der Künste und der Künstler und im Besonderen ihren Ruf als „Literaturstadt“zu festigen. Und weil eingangs von den Dichtern die Rede war, die ihre Geburtsstadt verlassen haben, zum Schluss die Hoffnung, dass Klagenfurt nicht nur für den „Stadtschreiber“oder die „Stadtschreiberin“, sondern auch für Dagebliebene und Zugezogene ein „Wohlfühlort“wird oder bleibt. Eine „Bleibe“. . .
Memento Mortuorum. Die Bachmann liegt in Annabichl. Julien Green wurde auf eigenen Wunsch in der Pfarrkirche St. Egid bestattet.