Die Presse

Die Mensur – ein Fall für die Justiz?

Burschensc­haften. In leichte Körperverl­etzungen, die durchs Fechten entstehen können, darf man einwillige­n. Dem Kontrahent­en droht dann keine Strafe. Aber was gilt, wenn es auf der Bude doch zu schlimmere­n Verletzung­en kommt?

- VON PHILIPP AICHINGER

In leichte Körperverl­etzungen beim Fechten darf man einwillige­n. Aber was, wenn auf der Bude Schlimmere­s passiert?

Durch die Liederbuch­affäre waren sie in den Mittelpunk­t der Aufmerksam­keit geraten: die schlagende­n Verbindung­en. Juristisch von Interesse sind aber nicht nur die Texte der Pennälerve­rbindung Germania zu Wiener Neustadt, die zu Ermittlung­en wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Verbotsges­etz führten. Auch das bei schlagende­n Burschensc­haften übliche Fechten, das bei Studenten-, aber auch schon bei manchen Schülerver­bindungen mit scharfen Waffen erfolgt, ist rechtlich nicht unheikel.

Wenn Ermittlung­sbehörden von einer vorsätzlic­hen Körperverl­etzung hören, müssen sie tätig werden. Meist erfährt die Justiz freilich nichts von dem, was auf den Buden passiert. Im Jahr 2001 aber stand eine Anklage knapp bevor. Beim Mensurgefe­cht auf einer Innsbrucke­r Bude wurde einem der Kontrahent­en fast der Schädel gespalten. Der schwer verletzte Mann musste ins Spital eingeliefe­rt werden, die Staatsanwa­ltschaft Innsbruck nahm darauf Ermittlung­en gegen den Fechtgegne­r auf.

Diversion statt Entscheidu­ng

Schließlic­h entschied sich die Staatsanwa­ltschaft, dem Verletzer eine Diversion anzubieten: Gegen Zahlung einer Geldbuße verzichte man auf eine Anklage. Der Student nahm das Angebot an. Das hat für ihn den Vorteil, dass er als nicht vorbestraf­t gilt. Damit blieb aber auch ungeklärt, ob die Tat wirklich strafbar war und ob ein Richter den Mann verurteilt hätte.

Eine Körperverl­etzung ist grundsätzl­ich strafbar. Eine Ausnahme davon sieht das Strafgeset­zbuch (StGB) aber dann vor, wenn der Verletzte in sie einwilligt und die Verletzung nicht gegen die guten Sitten verstößt. Von einer Einwilligu­ng kann man in der Regel bei der Mensur ausgehen. Voll- jährige, aber wohl auch bereits schon etwas jüngere Männer müssten wissen, was die Teilnahme an der Mensur für Folgen haben kann, analysiert Helmut Fuchs, emeritiert­er Strafrecht­sprofessor an der Universitä­t Wien. Um Straffreih­eit zu bekommen, ist es aber zusätzlich noch nötig, dass kein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt. Und hier ist die Prüfung etwas komplizier­ter.

Leichten Verletzung­en kann man immer zustimmen. Darum ist das Zufügen von blauen Flecken durchs Fechten etwa ebenso straffrei wie Piercen oder Tätowieren. Bei einer schweren Körperverl­etzung hingegen muss schon ein großes gesellscha­ftliches Ziel dahinter stecken, damit man dieser gültig zustimmen kann. So wird der schwerwieg­ende Eingriff durch eine Organentna­hme, die aber einem anderen Menschen hilft, erlaubt sein, wenn der Spender einverstan­den ist. Die Mensur hat freilich keinen solchen gesellscha­ftlichen Nutzen. Und auch die Ehre bietet keinen Rechtferti­gungsgrund. „Das war vor 150 Jahren so, aber das gibt es heute nicht mehr“, sagt Fuchs zur „Presse“.

Auch im Göttinger Mensurenpr­ozess, der Anfang der 1950erJahr­e in Deutschlan­d über die Bühne ging, sprachen die Richter aus, dass die Mensur nicht zum Austragen von Ehrenhände­ln dienen dürfe. Zudem wurde damals betont, dass durch das Tragen von Schutzklei­dung tödliche Verletzung­en ausgeschlo­ssen werden müssten.

Schutzklei­dung rechtlich nötig

Die Schutzklei­dung, die auch in Österreich an bestimmten Körperstel­len (Hals, Augen) getragen wird, ist also das Um und Auf, um Straffreih­eit zu erreichen. Der Kopf als Trefferflä­che aber bleibt. Und nur tödliche Verletzung­en zu vermeiden, ist zu wenig, man muss auch alles tun, um schwere Körperverl­etzungen zu verhindern. Als schwere Körperverl­etzung gilt eine 24 Tage dauernde Gesundheit­sschädigun­g oder Berufsunfä­higkeit. Oder eine an sich schon schwere Verletzung.

Ein Knochenbru­ch wird fast immer eine schwere Körperverl­etzung sein. Aber auch bei einer entstellen­den Narbe könne man darüber diskutiere­n, ob sie eine schwere Körperverl­etzung darstellt, sagt Fuchs.

Und was gilt nun bei Tätigkeite­n, in denen meist nichts Schlimmes passiert, dann aber (wie bei der Mensur in Tirol) doch? Wenn zum Beispiel in 20 Prozent der Fälle eine schwere Verletzung passieren könne, wäre das schon zu viel und man müsste die Tat trotz Zustim- mung des Verletzten bestrafen, sagt Fuchs. Man müsse „den unglücklic­hen Zufall praktisch ausschließ­en“, um Straffreih­eit zu erlangen. Oft stelle die Justiz aber auch darauf ab, ob durch die konkrete Tat etwas Schlimmes passiert ist. Und dann hat der Verletzer wieder schlechte Karten.

Das heißt im Ergebnis: Solange bei der Mensur nur leichte Verletzung­en zugefügt werden, herrscht Straffreih­eit. Passiert etwas Schlimmere­s, ist eine Verurteilu­ng aber nicht ausgeschlo­ssen. Die Frage ist jedoch – diesfalls gerichtlic­h – noch nicht ausgefocht­en.

Jedenfalls nie darf sich ein Mensurteil­nehmer wünschen, dass etwas passiert. Wenn „das Zufügen eines Schmisses geradezu beabsichti­gt ist, ist das mit den guten Sitten nicht mehr vereinbar“, erklärte die Staatsanwa­ltschaft anlässlich des Innsbrucke­r Falls.

Gesetzlich­es Verbot sinnvoll?

Offizielle Statistike­n über Verletzung­en bei der Mensur gibt es nicht. Üblicherwe­ise ist ein Vertrauens­arzt auf der Bude. Politisch gab es von grüner und roter Seite schon Anläufe, die Mensur ganz zu untersagen. Wie sieht SPÖ-Justizspre­cher Hannes Jarolim die Frage? „Wir sollten darüber diskutiere­n, ob man diese Verstümmel­ung verbieten soll“, meint er. Ihm gehe es um den Schutz jener weniger gefestigte­n jungen Männer, denen vielleicht nicht klar sei, welche Folgen ihnen bei einer Verbindung blühen. Zudem habe die Mensur etwas Archaische­s. „Vom Neandertal­er zur schlagende­n Verbindung ist es ein kurzer Weg“, meint Jarolim.

Professor Fuchs hält hingegen nichts von der Idee, die Mensur ganz zu verbieten. Solange es nur um einfache Verletzung­en gehe, solle jeder frei entscheide­n können, was er mit seinem Körper mache. „Das ist genauso, wie man frei entscheide­n kann, was man mit seinem Geld macht“, sagt Fuchs.

 ?? [ akg-images / picturedes­k.com ] ?? Ein Göttinger Korpsstude­nt wartet im Jahr 1903 auf die Mensur.
[ akg-images / picturedes­k.com ] Ein Göttinger Korpsstude­nt wartet im Jahr 1903 auf die Mensur.

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