Die Mensur – ein Fall für die Justiz?
Burschenschaften. In leichte Körperverletzungen, die durchs Fechten entstehen können, darf man einwilligen. Dem Kontrahenten droht dann keine Strafe. Aber was gilt, wenn es auf der Bude doch zu schlimmeren Verletzungen kommt?
In leichte Körperverletzungen beim Fechten darf man einwilligen. Aber was, wenn auf der Bude Schlimmeres passiert?
Durch die Liederbuchaffäre waren sie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geraten: die schlagenden Verbindungen. Juristisch von Interesse sind aber nicht nur die Texte der Pennälerverbindung Germania zu Wiener Neustadt, die zu Ermittlungen wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz führten. Auch das bei schlagenden Burschenschaften übliche Fechten, das bei Studenten-, aber auch schon bei manchen Schülerverbindungen mit scharfen Waffen erfolgt, ist rechtlich nicht unheikel.
Wenn Ermittlungsbehörden von einer vorsätzlichen Körperverletzung hören, müssen sie tätig werden. Meist erfährt die Justiz freilich nichts von dem, was auf den Buden passiert. Im Jahr 2001 aber stand eine Anklage knapp bevor. Beim Mensurgefecht auf einer Innsbrucker Bude wurde einem der Kontrahenten fast der Schädel gespalten. Der schwer verletzte Mann musste ins Spital eingeliefert werden, die Staatsanwaltschaft Innsbruck nahm darauf Ermittlungen gegen den Fechtgegner auf.
Diversion statt Entscheidung
Schließlich entschied sich die Staatsanwaltschaft, dem Verletzer eine Diversion anzubieten: Gegen Zahlung einer Geldbuße verzichte man auf eine Anklage. Der Student nahm das Angebot an. Das hat für ihn den Vorteil, dass er als nicht vorbestraft gilt. Damit blieb aber auch ungeklärt, ob die Tat wirklich strafbar war und ob ein Richter den Mann verurteilt hätte.
Eine Körperverletzung ist grundsätzlich strafbar. Eine Ausnahme davon sieht das Strafgesetzbuch (StGB) aber dann vor, wenn der Verletzte in sie einwilligt und die Verletzung nicht gegen die guten Sitten verstößt. Von einer Einwilligung kann man in der Regel bei der Mensur ausgehen. Voll- jährige, aber wohl auch bereits schon etwas jüngere Männer müssten wissen, was die Teilnahme an der Mensur für Folgen haben kann, analysiert Helmut Fuchs, emeritierter Strafrechtsprofessor an der Universität Wien. Um Straffreiheit zu bekommen, ist es aber zusätzlich noch nötig, dass kein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt. Und hier ist die Prüfung etwas komplizierter.
Leichten Verletzungen kann man immer zustimmen. Darum ist das Zufügen von blauen Flecken durchs Fechten etwa ebenso straffrei wie Piercen oder Tätowieren. Bei einer schweren Körperverletzung hingegen muss schon ein großes gesellschaftliches Ziel dahinter stecken, damit man dieser gültig zustimmen kann. So wird der schwerwiegende Eingriff durch eine Organentnahme, die aber einem anderen Menschen hilft, erlaubt sein, wenn der Spender einverstanden ist. Die Mensur hat freilich keinen solchen gesellschaftlichen Nutzen. Und auch die Ehre bietet keinen Rechtfertigungsgrund. „Das war vor 150 Jahren so, aber das gibt es heute nicht mehr“, sagt Fuchs zur „Presse“.
Auch im Göttinger Mensurenprozess, der Anfang der 1950erJahre in Deutschland über die Bühne ging, sprachen die Richter aus, dass die Mensur nicht zum Austragen von Ehrenhändeln dienen dürfe. Zudem wurde damals betont, dass durch das Tragen von Schutzkleidung tödliche Verletzungen ausgeschlossen werden müssten.
Schutzkleidung rechtlich nötig
Die Schutzkleidung, die auch in Österreich an bestimmten Körperstellen (Hals, Augen) getragen wird, ist also das Um und Auf, um Straffreiheit zu erreichen. Der Kopf als Trefferfläche aber bleibt. Und nur tödliche Verletzungen zu vermeiden, ist zu wenig, man muss auch alles tun, um schwere Körperverletzungen zu verhindern. Als schwere Körperverletzung gilt eine 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit. Oder eine an sich schon schwere Verletzung.
Ein Knochenbruch wird fast immer eine schwere Körperverletzung sein. Aber auch bei einer entstellenden Narbe könne man darüber diskutieren, ob sie eine schwere Körperverletzung darstellt, sagt Fuchs.
Und was gilt nun bei Tätigkeiten, in denen meist nichts Schlimmes passiert, dann aber (wie bei der Mensur in Tirol) doch? Wenn zum Beispiel in 20 Prozent der Fälle eine schwere Verletzung passieren könne, wäre das schon zu viel und man müsste die Tat trotz Zustim- mung des Verletzten bestrafen, sagt Fuchs. Man müsse „den unglücklichen Zufall praktisch ausschließen“, um Straffreiheit zu erlangen. Oft stelle die Justiz aber auch darauf ab, ob durch die konkrete Tat etwas Schlimmes passiert ist. Und dann hat der Verletzer wieder schlechte Karten.
Das heißt im Ergebnis: Solange bei der Mensur nur leichte Verletzungen zugefügt werden, herrscht Straffreiheit. Passiert etwas Schlimmeres, ist eine Verurteilung aber nicht ausgeschlossen. Die Frage ist jedoch – diesfalls gerichtlich – noch nicht ausgefochten.
Jedenfalls nie darf sich ein Mensurteilnehmer wünschen, dass etwas passiert. Wenn „das Zufügen eines Schmisses geradezu beabsichtigt ist, ist das mit den guten Sitten nicht mehr vereinbar“, erklärte die Staatsanwaltschaft anlässlich des Innsbrucker Falls.
Gesetzliches Verbot sinnvoll?
Offizielle Statistiken über Verletzungen bei der Mensur gibt es nicht. Üblicherweise ist ein Vertrauensarzt auf der Bude. Politisch gab es von grüner und roter Seite schon Anläufe, die Mensur ganz zu untersagen. Wie sieht SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim die Frage? „Wir sollten darüber diskutieren, ob man diese Verstümmelung verbieten soll“, meint er. Ihm gehe es um den Schutz jener weniger gefestigten jungen Männer, denen vielleicht nicht klar sei, welche Folgen ihnen bei einer Verbindung blühen. Zudem habe die Mensur etwas Archaisches. „Vom Neandertaler zur schlagenden Verbindung ist es ein kurzer Weg“, meint Jarolim.
Professor Fuchs hält hingegen nichts von der Idee, die Mensur ganz zu verbieten. Solange es nur um einfache Verletzungen gehe, solle jeder frei entscheiden können, was er mit seinem Körper mache. „Das ist genauso, wie man frei entscheiden kann, was man mit seinem Geld macht“, sagt Fuchs.