Entzauberte Liebesmysterien
Berlin. Die frisch renovierte Staatsoper Unter den Linden präsentierte mit Anja Kampe und Andreas Schager ein neues Wagner-Traumpaar in einer umstrittenen „Tristan“-Inszenierung.
Dmitri Tcherniakov entmystifiziert Wagners „Handlung in drei Aufzügen“radikal, verlegt sie in die Gegenwart und lässt alle drei Aufzüge in geschlossenen, hellen Räumen spielen, auf einer mondänen Jacht, in einem Ballsaal und zuletzt in einem heruntergekommenen Zimmer. Fast durchwegs fesselnd ist die Personenregie: Isolde, zu Beginn von Hass, Rachsucht und Aggressivität getrieben, scheint stets knapp davor, ihre große schwarze Handtasche (die schlichten Kostüme stammen von Elena Zaytseva) als Waffe gegen Kurwenal und Tristan zu benutzen. Anja Kampe gestaltet das umwerfend, während sich der Tristan Andreas Schagers den gesamten ersten Aufzug lang verschlossen, eloquent parlierend, aber demonstrativ desinteressiert gibt. Wenn das Paar bei Einsetzen der Wirkung des Liebestranks in ein fast hysterisches Lachen verfällt, harmoniert das erstaunlich mit der ekstatischen Musik. Ähnlich überraschend gelungen ist auch der zweite Aufzug, dessen zentrales Liebesduett mit einer Aufarbeitung des Konflikts beginnt und in eine sinnliche Beschwörung des gemeinsamen Liebestodes mündet.
Das Ambiente, in dem sich das Finale ereignet, spielt vielleicht auf ein biografisches Detail an, entstand der dritte Aufzug des „Tristan“doch nach dem Eklat mit dem Ehemann von Wagners Muse Mathilde Wesendonck in einem schäbigen Gasthaus in Luzern. Störend dabei ist freilich das Erscheinen von Tristans Eltern, das zwar aus dem Text abzulesen sein mag, aber in irritierender Weise von Schagers fulminant gesungenen und gestalteten Fiebervisionen ablenkt.
Vokal lassen Titelheld und -heldin keine Wünsche offen. Anja Kampe, die an diesem Abend ihr Bühnendebüt als Isolde feierte, überwältigte sowohl stimmlich als auch darstellerisch. Nicht der kleinste Anflug einer Anstrengung. Auftrumpfende Höhen und eine spürbare Lust am Spiel intensivierten die Leistung, die kongenial mit Schagers Tristan harmonierte: Der Tenor hat es offenbar nicht nötig, seine Potenzial angesichts der notorisch kräfteraubenden Partie ökonomisch einzuteilen. Im dritten Aufzug meistert Schager – wie es scheint mühelos in Umsetzung des ehrgeizig bewegungsreichen Regiekonzepts – die Gratwanderung zwischen körperlicher Hinfälligkeit und manischem Delirium, verbunden mit totalem Vokaleinsatz.
Als Brangäne überzeugte Ekaterina Gubanova, vor allem dank sicherer Höhen im Stimmregister, während Stephen Millings Marke, mit dem Isoldes Dienerin zuletzt Händchen hält (!), erst vor dem dritten Aufzug, also zu spät, von Jürgen Flimm als indisponiert entschuldigt wurde: Eine Ansage vor dem Mittelakt hätte vermieden, dass Musikfreunde sich über die stimmliche Verfassung des sonst so souveränen Künstlers Gedanken machten. Boaz Daniel machte als routinierter Kurwenal mit kräftiger Stimme im dritten Aufzug die kaum merkbaren Intonationstrübungen zu Beginn der Aufführung vergessen.
Daniel Barenboim agierte am Pult der Staatskapelle souverän und stets bedacht, nicht die Sänger in Orchesterwogen untergehen zu lassen. Warum auch ihm, nicht nur dem Regieteam, deutliche Ablehnung aus dem Publikum entgegenschlug, scheint nicht nachvollziehbar. Anja Kampe und Andreas Schager hingegen gelten nach dieser Berliner Premiere wohl vielen Opernfreunden als das neue Wagner-Traumpaar.