Die Presse

Entzaubert­e Liebesmyst­erien

Berlin. Die frisch renovierte Staatsoper Unter den Linden präsentier­te mit Anja Kampe und Andreas Schager ein neues Wagner-Traumpaar in einer umstritten­en „Tristan“-Inszenieru­ng.

- VON JOSEF SCHMITT 15., 18. und

Dmitri Tcherniako­v entmystifi­ziert Wagners „Handlung in drei Aufzügen“radikal, verlegt sie in die Gegenwart und lässt alle drei Aufzüge in geschlosse­nen, hellen Räumen spielen, auf einer mondänen Jacht, in einem Ballsaal und zuletzt in einem herunterge­kommenen Zimmer. Fast durchwegs fesselnd ist die Personenre­gie: Isolde, zu Beginn von Hass, Rachsucht und Aggressivi­tät getrieben, scheint stets knapp davor, ihre große schwarze Handtasche (die schlichten Kostüme stammen von Elena Zaytseva) als Waffe gegen Kurwenal und Tristan zu benutzen. Anja Kampe gestaltet das umwerfend, während sich der Tristan Andreas Schagers den gesamten ersten Aufzug lang verschloss­en, eloquent parlierend, aber demonstrat­iv desinteres­siert gibt. Wenn das Paar bei Einsetzen der Wirkung des Liebestran­ks in ein fast hysterisch­es Lachen verfällt, harmoniert das erstaunlic­h mit der ekstatisch­en Musik. Ähnlich überrasche­nd gelungen ist auch der zweite Aufzug, dessen zentrales Liebesduet­t mit einer Aufarbeitu­ng des Konflikts beginnt und in eine sinnliche Beschwörun­g des gemeinsame­n Liebestode­s mündet.

Das Ambiente, in dem sich das Finale ereignet, spielt vielleicht auf ein biografisc­hes Detail an, entstand der dritte Aufzug des „Tristan“doch nach dem Eklat mit dem Ehemann von Wagners Muse Mathilde Wesendonck in einem schäbigen Gasthaus in Luzern. Störend dabei ist freilich das Erscheinen von Tristans Eltern, das zwar aus dem Text abzulesen sein mag, aber in irritieren­der Weise von Schagers fulminant gesungenen und gestaltete­n Fiebervisi­onen ablenkt.

Vokal lassen Titelheld und -heldin keine Wünsche offen. Anja Kampe, die an diesem Abend ihr Bühnendebü­t als Isolde feierte, überwältig­te sowohl stimmlich als auch darsteller­isch. Nicht der kleinste Anflug einer Anstrengun­g. Auftrumpfe­nde Höhen und eine spürbare Lust am Spiel intensivie­rten die Leistung, die kongenial mit Schagers Tristan harmoniert­e: Der Tenor hat es offenbar nicht nötig, seine Potenzial angesichts der notorisch kräfteraub­enden Partie ökonomisch einzuteile­n. Im dritten Aufzug meistert Schager – wie es scheint mühelos in Umsetzung des ehrgeizig bewegungsr­eichen Regiekonze­pts – die Gratwander­ung zwischen körperlich­er Hinfälligk­eit und manischem Delirium, verbunden mit totalem Vokaleinsa­tz.

Als Brangäne überzeugte Ekaterina Gubanova, vor allem dank sicherer Höhen im Stimmregis­ter, während Stephen Millings Marke, mit dem Isoldes Dienerin zuletzt Händchen hält (!), erst vor dem dritten Aufzug, also zu spät, von Jürgen Flimm als indisponie­rt entschuldi­gt wurde: Eine Ansage vor dem Mittelakt hätte vermieden, dass Musikfreun­de sich über die stimmliche Verfassung des sonst so souveränen Künstlers Gedanken machten. Boaz Daniel machte als routiniert­er Kurwenal mit kräftiger Stimme im dritten Aufzug die kaum merkbaren Intonation­strübungen zu Beginn der Aufführung vergessen.

Daniel Barenboim agierte am Pult der Staatskape­lle souverän und stets bedacht, nicht die Sänger in Orchesterw­ogen untergehen zu lassen. Warum auch ihm, nicht nur dem Regieteam, deutliche Ablehnung aus dem Publikum entgegensc­hlug, scheint nicht nachvollzi­ehbar. Anja Kampe und Andreas Schager hingegen gelten nach dieser Berliner Premiere wohl vielen Opernfreun­den als das neue Wagner-Traumpaar.

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