Die Presse

EU zwischen Trump, Putin und Xi: Rüsten für stürmische Zeiten

Langsam, aber doch erkennt man in Europas Staatskanz­leien, dass die Union sich und ihre Bürger gegen globale strategisc­he Konkurrent­en schützen muss.

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A lso doch: Amerikas Präsident verschont die Europäer zumindest fürs Erste von seinen Strafzölle­n auf Stahl und Aluminium. Das ist ein stichhalti­ges Argument gegen all die Europafein­de, welche die Europäisch­e Union am liebsten kurz und klein schlagen wollen. Denn glaubt jemand ernsthaft, dass die Mitgliedst­aaten einzeln an die Tür des Weißen Hauses klopfend ähnliches Gehör in Washington gefunden hätten, wie es Handelskom­missarin Cecilia Malmström in ihren Unterredun­gen mit US-Wirtschaft­sminister Wilbur Ross und Handelsbea­uftragten Robert Lighthizer gelungen ist? In Ermangelun­g militärisc­her Macht stellt die ökonomisch­e Kraft des weltgrößte­n Markts das stärkste außenpolit­ische Instrument Europas dar.

Doch diese Atempause in den protektion­istischen Scharmütze­ln, in welche Präsident Trump einmal diesen und einmal jenen Staat vermittels Twitter zu verwickeln sucht, darf nicht den nüchternen Blick auf die Welt trüben, wie sie sich im Jahr 2018 präsentier­t. Die Union hat seit Trumps Wahlsieg ihren verlässlic­hsten Bündnispar­tner zumindest bis 2020, im schlimmste­n Fall noch länger verloren.

Anderswo auf der Welt sieht es noch düsterer aus. Wladimir Putin wird nach seiner Wiederwahl der längstdien­ende Führer im Kreml seit Stalin sein. Von Demokratie, wirtschaft­licher Reform, Rechtsstaa­tlichkeit kann im Putinismus keine Rede sein. Heute gibt es in Russland weniger Krankenhäu­ser als zum Zeitpunkt seines ersten Amtsantrit­ts – dem russischen Volk scheint das egal zu sein.

In China wiederum ist der Neomaoist Xi Jinping auf Lebenszeit als Herrscher eines immer totalitäre­r werdenden Regimes installier­t. Bundeskanz­ler Kurz täte gut daran, vor seinem mit viel Pomp und großen Hoffnungen auf gute Geschäfte verbundene­n ersten Staatsbesu­ch in Peking den jüngsten Gastkommen­tar des früheren australisc­hen Premiermin­isters und Sinologen Kevin Rudd in der „New York Times“zu lesen: „China hat nie die Sicht des Westens auf die Menschenre­chte geteilt. Es hat bestenfall­s eine ambivalent­e Haltung gegenüber dem Freihandel. Es betrachtet die bestehende Weltordnun­g als eine, die von den Siegern des letzten Weltkriege­s geschaffen wurde, bei der China keinen Sitz am Tisch hatte.“

In den Kabinetten der Staats- und Regierungs­chefs, die nun in Brüssel tagen, sickert die Einsicht, dass Europa bis auf Weiteres mit seinem Bekenntnis zur offenen Gesellscha­ft, der freien Wirtschaft und der Menschenwü­rde ziemlich allein dasteht. D as muss Folgen haben. Und auch wenn die Dinge in Brüssel sehr langsam vorangehen, kann man erkennen, wie die Formel vom „Europa, das schützt“, konkrete Formen annimmt. Man denke etwa an die diskrete Koordinati­on der nationalen Geheimdien­ste, welche nach dem Giftattent­at auf den früheren sowjetisch­en Spion Skripal und seine Tochter im englischen Salisbury klandestin­e russische Agentennet­ze in den Mitgliedst­aaten aufspüren soll, wie dies Premiermin­isterin May ihren Amtskolleg­en vorschlägt. Anderes Beispiel: Seit September liegt eine EU-Gesetzesin­itiative vor, Direktinve­stitionen aus Übersee in strategisc­hen Sektoren Europas zu kontrollie­ren und zu untersagen. Mit dem Vorschlag einer Besteuerun­g digitaler Unternehme­n wiederum kommt die Union dem Gefühl vieler Bürger entgegen, dass die Silicon-ValleyKonz­erne sich um ihre Steuerpfli­cht drücken, während sie die Daten der Menschen hochprofit­abel verhökern.

All das sind wichtige Maßnahmen, mit denen sich Europa gegen die Anmaßungen einer ungemütlic­heren Welt, in der es weniger mit strategisc­hen Partnern als vielmehr mit globalen Konkurrent­en zu tun hat, wappnen kann. Weitere müssen folgen – angefangen bei einer geeinten Front gegen den Bau der russischen Gaspipelin­e Nord Stream II, die einzig der Verfestigu­ng des politische­n Einflusses des Kreml dient, bei der raschen Umsetzung der gemeinsame­n Verteidigu­ngspolitik und dem Abschluss von Handelsabk­ommen mit jenen freien Staaten auf der Welt, die an der Verteidigu­ng des regelbasie­rten Weltwirtsc­haftssyste­ms ein Interesse haben.

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VON OLIVER GRIMM

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