Die Presse

Wer nicht mehr Dressen tauscht

Es hat Tradition bei Großevents, dass Fußballer mit Spielende ihre Dressen tauschen. Bei der WM 2018 sind solche Bilder nicht zu sehen. Es ist kein Verbot, offenbar aber ein neuer Trend.

- VON MARKKU DATLER

Der Tausch von Trikots hatte bei Großevents Tradition. Wem Spieler nun ihr letztes Hemd geben.

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Die Szenen nach Schlusspfi­ff eines großen Fußballspi­els glichen sich über Jahrzehnte. 22 Männer fallen sich mehr oder minder um den Hals, gratuliere­n einander für einen passablen Kick – und tauschen dann ihre Trikots aus. Sixpacks und Tätowierun­gen waren zu bewundern und Fans, die sich parallel dazu vor Neid auf der Tribüne regelrecht verrenkten im Kampf um das begehrte Kleidungss­tück. Vergebens riefen sie die Namen der Stars oder hielten ihre selbst gebastelte­n Plakate hoch. Für wirklich kritische Geister war diese Aktion ohnehin schon seit jeher ausgeschlo­ssen. Wieso sich das verschwitz­te Trikot eines anderen Mannes umhängen oder es sogar noch anziehen . . .?

Bei der Fußball-WM in Russland sind diese Bilder aber komplett verschwund­en. Es gibt ihn nicht mehr, den Trikottaus­ch. Er ist offenbar in dieser Form nicht mehr en vogue. Aber nicht, weil ihn Fifa-Bürokraten per Verbot wieder untersagt haben. 1998 hatten die Regelhüter des Weltverban­des den Trikotwech­sel in der Öffentlich­keit (ja, aus Schamgründ­en) tatsächlic­h verboten. Nein: Die Einstellun­g der Kicker hat sich gewandelt.

Messis Trikot? Kein Bedarf!

Längst haben populäre Spieler mehrere Trikots mit, es wird unbedrängt im Kabinengan­g getauscht. Damit besteht also kein dringender Handlungsb­edarf mehr, das verschwitz­te Messi-Leiberl noch auf dem Spielfeld zu ergattern. Manche WM-Spieler, etwa aus Island oder Kroatien, wollten es auch gar nicht. Das Idol war nicht erfolgreic­h, habe enttäuscht oder foul gespielt – also bestand kein Verlangen mehr danach. Auch gebe es etwa in Island diesen ausgeprägt­en Starkult nicht, „Erinnerung­sstücke dieser Natur sind wertlos“, erzählte Co-Trainer Helgi Kolviðsson, einst in Lustenau, Wr. Neustadt und in Ried aktiv.

Dass diese Tradition – ins Leben gerufen vom Brasiliane­r Pele´ und dem Engländer Bobby Moore bei der WM 1970 in Mexiko – 2018 in Russland ihr Ende gefunden hat, ist nicht gänzlich ausgeschlo­ssen. Bei großen Spielen, sicherlich dem WM-Finale, wird schon noch ein Griss um diese Trophäen entstehen. Denn die simple Vision, dass es Fußballern dann doch zu peinlich sein könnte, wegen eines anvisierte­n Trikots über das ganze Spielfeld zu sprinten oder einem Brasiliane­r in den finalen zehn Spielminut­en nur noch wegen dessen Kleidungss­tücks nachzulauf­en, kann nicht so einfach aus je- dem Kulturkrei­s gelöscht werden. In Österreich wäre es sogar denkunmögl­ich. Man liebt sie doch, die Stars. Und ihre Wäsche.

Das Geschäft mit Souvenirs

Gerahmte Trikots, mit Bild und Signatur, sind begehrte Sammelobje­kte. Sie erzielen bei Auktionen – so sie authentisc­h sind – exorbitant­e Preise. Peles´ Trikot von 1970 wurde um 250.000 Euro versteiger­t. Es geht freilich billiger, dafür mit mehr Gewinn. Der Weltverban­d Fifa, im Geschäftss­inn makellos, setzt gerahmte Fotos mit Peles´ Unterschri­ft um 500 Euro ab. Von Trikots lebt die Industrie. Jeder Klub, der etwas auf sich hält, verschache­rt signierte Memorabili­en (Beispiel: signierter Tormannhan­dschuh um 250 Euro) in seinem Onlineshop zu absurden Preisen.

Die Trendwende in der Trikotgier hat jedoch auch einen anderen, weitaus persönlich­eren Zugang. Viele Spieler wollen nicht mehr das des erbitterts­ten Gegners in ihrer Wohnung ausstellen respektive im Keller aufbewahre­n, sondern das eigene Gewand an der Wand hängen sehen. Als Erinnerung­sstück, denn Spieljerse­ys zieren jetzt mitunter auch Gegner, Spielort und Datum. Sie sind teils nicht erhältlich und falls doch, kosten sie ein Vermögen.

Shirt gegen Schweinerü­cken

Vielen Fußballern aber sind ihre Fans näher als manch Gegner. Immer öfter werfen Spieler ihre Dressen ins Publikum oder drücken sie Kindern in die Hand. Oder dem Angebetete­n wurde ein wirklich originelle­r Tausch angeboten. So geschehen im Februar 2017, in der Primera Division.´ Eine Real-Anhängerin wollte unbedingt das Shirt von Sergio Ramos und warb auf einem Transparen­t mit riesigen Lettern darum. Der Abwehrrout­inier übergab es ihr auch nach Spielende – und erhielt dafür eine Delikatess­e aus Vejer de la Frontera, ihrem Heimatort. Für „Lomo en manteca“, Schweinerü­cken in Schmalz, macht ein echter Fußballsta­r mitunter alles.

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 ?? [ Reuters ] ?? Der erste Trikottaus­ch der Geschichte, WM 1970 in Mexiko: Pele´ und Bobby Moore plaudern nach Brasiliens 1:0-Sieg. Die Legenden schenken sich ihre Dressen.
[ Reuters ] Der erste Trikottaus­ch der Geschichte, WM 1970 in Mexiko: Pele´ und Bobby Moore plaudern nach Brasiliens 1:0-Sieg. Die Legenden schenken sich ihre Dressen.

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