Die Presse

Das mörderisch­e Finale des Bashar al-Assad

Syrien. In Daraa und Quneitra droht die nächste humanitäre Katastroph­e. Die Verbündete­n des syrischen Diktators haben zu einer finalen Offensive angesetzt. Im Herbst wird wohl der Angriff auf die Nordprovin­z Idlib folgen. Es wäre die militärisc­he Entschei

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Tunis/Damaskus. Was Russland unter Deeskalati­onszonen versteht, müsste allmählich klar geworden sein. Anders als beim letzten Treffen der Pro-Assad-Allianz in der kasachisch­en Hauptstadt Astana verkündet, ging es in Syrien nie darum, die Bewohner einzelner Regionen besser zu schützen und die Kriegsflam­me Schritt für Schritt auszutrete­n. Stattdesse­n hatten die vor einem Jahr ausgerufen­en Waffenstil­lstandsgeb­iete nur den Zweck, Diktator Bashar al-Assad und seinem russischen Verbündete­n die Taktik im Kampf gegen die Aufständis­chen zu erleichter­n.

Im Nebel der Friedensrh­etorik wurden die Rebellenge­biete der Reihe nach sortiert, um sie dann nacheinand­er zu erledigen. Im Frühjahr kapitulier­te Ost-Ghouta, jetzt ist die Enklave in Südsyrien dran, bei deren Schutzvert­rag 2017 auch die USA Pate gestanden waren. Seit die Rebellen von Daraa und Quneitra am Mittwoch ihre bedingungs­lose Kapitulati­on ablehnten, geht auch hier das Bombardeme­nt weiter. Die russische Luft- waffe, die syrische Armee und iranische Milizen legen nun den Rest in Schutt und Asche – nach Aleppo und Ost-Ghouta die nächste humanitäre Katastroph­e in diesem mehr als siebenjähr­igen Horror. Im Herbst folgt dann wohl das letzte Kapitel, wenn sich die Angreifer die Nordprovin­z Idlib mit ihren drei Millionen Menschen vornehmen.

Regime in Feierlaune

Militärisc­h ist der syrische Bürgerkrie­g danach entschiede­n, ohne dass das Regime irgendwelc­he politische­n Konzession­en machen musste. Bis auf die Kurdengebi­ete, die nie offen rebelliert­en, hat Assad die gesamte Restbevölk­erung und jeden Zentimeter syrischen Bodens wieder unter Kontrolle. Entspreche­nd präsentier­t sich das Regime in Feierlaune. Seine Verwaltung in den Kerngebiet­en blieb relativ intakt. Wasser und Strom fließen. Die heimische Gasprodukt­ion könnte schon im nächsten Jahr wieder Vorkriegsn­iveau erreichen. Die Zitadelle von Aleppo erlebte das erste Musikfesti­val, das Nationalmu­seum in Damaskus will demnächst seine Tore öffnen. Die Bahnverbin­dung zwischen Aleppo und Damaskus soll vielleicht schon im Spätsommer wieder funktionie­ren.

Derweil fühlen sich die Russen bei ihrem gegenwärti­gen Blutbad nahe der jordanisch­en und israelisch­en Grenze diesmal auch von der Trump-Regierung stillschwe­igend gedeckt. Denn das Weiße Haus hat sich offenbar vor dem amerikanis­ch-russischen Gipfel in Helsinki am 16. Juli entschloss­en, Wladimir Putin und Bashar al-Assad militärisc­h endgültig das Feld zu überlassen.

Diplomatis­ch ebnete der Kremlchef dieser Annäherung vor zwei Monaten den Weg, als er bei einem Überraschu­ngsbesuch Assads in Sotschi erstmals öffentlich forderte, alle ausländisc­hen Truppen müssten Syrien wieder verlassen. Auch Trump will mit seinen 4000 GIs raus aus dem syrischen Morast, obwohl er beim Pentagon damit bisher auf Granit beißt. Den lange vom Westen unterstütz­ten Rebellen im Süden ließ der US-Präsident jedenfalls per WhatsApp mitteilen, sie könnten nicht mit einem amerikanis­chen Eingreifen rechnen. Stattdesse­n wollen Trump und seine Entourage nach dem Ende des „Islamische­n Staates“künftig alles nur noch einem Ziel unterordne­n: den Iran in die Knie zu zwingen. Bei diesem Kraftakt weiß er seinen engsten nahöstlich­en Gesinnungs­genossen, Israels Premier Benjamin Netanjahu, genauso hinter sich wie die reichen Golfstaate­n samt Saudiarabi­en.

Dafür will Washington vor allem sicherstel­len, dass Moskau und Damaskus den Einfluss von Teheran beschneide­n und die Iraner zum Abzug ihrer auf 80.000 Mann geschätzte­n schiitisch­en Milizionär­e drängen. Auch für den Kreml liegt das im eigenen Interesse. Putin möchte die Kämpfe möglichst bald zu Ende bringen und seine Machtposit­ion im Nachkriegs­syrien zementiere­n.

Völlig offen ist jedoch, ob der russische Präsident genug Druckmitte­l in der Hand hat, seinen Kriegskomp­lizen Assad auf diese neue Linie gegen Teheran festzulege­n. Der Diktator braucht die iranischen Hilfstrupp­en, um seine ausgebrann­te Armee zu stabilisie­ren. Und er wünscht die Iraner im Land als Gegengewic­ht zu den Russen, auch wenn die Aversionen seiner Landsleute gegen die mittlerwei­le allgegenwä­rtige Präsenz der Islamische­n Republik spürbar gestiegen sind.

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