Was Männer so alles denken
Festspiele Reichenau. Hermann Beil inszenierte Arthur Schnitzlers wenig bekanntes Schauspiel „Das Vermächtnis“exakt, aber auch pedantisch. Grandios: Stefanie Dvorak.
Vorstadtflitscherl, Wegwerflämpchen, das Mensch, Pack“, solche Worte über süße Mädl schrieb Schnitzler in sein Tagebuch. Und den Dichter im „Reigen“lässt er zu seiner jüngsten Eroberung sagen: „Freilich bist du dumm. Ah, das ist so schön, wenn ihr dumm seid!“Seit Mittwochabend ist im Theater Reichenau eine Schnitzler-Rarität zu sehen: „Das Vermächtnis“(1898). Und hier zeigt sich der Topstar der Fin-de-Si`ecle-Dramatiker ganz anders: Ein Sohn aus bestem Haus verliebt sich in ein einfaches Mädchen, er zeugt mit ihr einen Sohn, traut sich aber nicht, seinen Eltern die Mesalliance zu gestehen. Nach einem Reitunfall stirbt der junge Mann, seine Familie, so lautet sein letzter Wille, muss Freundin und Kind aufnehmen: eine Herausforderung für die konservativen Bürger. Womöglich wäre das auch heute so.
Hermann Beil inszeniert nicht zum ersten Mal Schnitzler in Reichenau. Er setzt wieder auf gestochen scharfe Dialoge, zeigt sich als Genauigkeitsfanatiker, freilich auch als Pedant, der zu Dressurakten neigt, die Figuren wirken vor allem im ersten Teil der Aufführung teilweise affektiert. Überdies störte bei der Premiere penetrantes Handygeklingel. Wann hört diese Rücksichtslosigkeit gegen Schauspieler wie Publikum auf?
Joseph Lorenz spielt den liberalen Abgeordneten Losatti, einen echten Politiker, kaum gibt es den kleinsten Anlass, setzt er zu einer großen Rede an, aber seine Familie kennt ihn schon, bei ihr kommt er nicht durch mit seinem Schwadronieren. Einer der köstlichen komischen Momente dieses Abends ist, als Losatti, im Umgang mit Kleinkindern offenkundig ahnungslos, seinem Enkel eine Trompete schenkt und in diese auch gleich hineinbläst, worauf der schlummernde Bub zu brüllen beginnt. Ja, der Lorenz ist unverzichtbar in Reichenau, als Typus, es gibt wahrscheinlich keinen Schauspieler, der diese in abweisender Eleganz leicht erstarrten Herren der Jahrhundertwende überzeugender repräsentiert. Aber es ist unnötig, diesen untadeligen Gentleman zu exaltierten Ausbrüchen anzuhalten, wie es Beil hier getan hat. Lassen wir den Lorenz einfach den Lorenz sein, dann ist er phänomenal.
Regina Fritsch hat mehr Glück, sie spielt Losattis Gattin Betty, hin- und hergerissen zwischen Solidarität mit den teilweise menschenverachtenden Ansichten ihres Mannes, Mitleid mit dem armen Mädel – und Eifersucht auf diese wenig willkommene Schwiegertochter. Die Situation ist mühsam, aber die Rolle übersichtlich.
Nanette Waidmann bezaubert als Toni, eine Verwandte der Christine aus der „Liebelei“, mit der Schnitzler 1894 einen zentralen Nerv seiner Zeit traf: die Doppelmoral. Alina Fritsch, die in Reichenau entdeckt wurde und jetzt am Burgtheater spielt, hat einiges von ihrem frischen, jugendlichen Schmelz eingebüßt, erfreut aber trotzdem als verliebter Backfisch Agnes. Johanna Prosl berührt als Losattis Tochter Franziska, die für Toni voll Herzlichkeit, aber vergebens eintritt. Dominik Raneburger begeistert als Hausarzt Ferdinand, der selbst aus einfachen Verhält- nissen stammt, Franziska heiraten will – und in Fragen des Klassenbewusstseins päpstlicher ist als der Papst. Ferdinands Verständnis für schlampige Verhältnisse geht, Liebe hin oder her, gegen null. Hugo, Losattis umschwärmter Sohn (zu unscheinbar: David Jakob), wankt im ersten Akt schwer verletzt auf die Bühne, auch hier scheint Beil die Folgen von Reitunfällen übergenau im Anatomiehandbuch studiert zu haben. Schließlich geht’s hier auch um Ärzte! Schnitzler war einer, ein weiterer neben Ferdinand ist auf der Bühne, Dr. Bernstein (Peter Moucka), der kurz üble Kämpfe von Medizinern aufblitzen lässt. Dieses Schauspiel handelt auch von Mobbing, wie „Professor Bernhardi“, betroffen aber ist ein Mädchen, das sich nicht wehren kann.
Zwei Schauspieler begeistern rundum in dieser Aufführung: Rene´ Peckl als Hugos Freund Gustav, ein Bursch, der mit der Situation überfordert ist, kein schlechter Kerl sein will, aber einer wird. Und Stefanie Dvorak, die mit ihren flammend roten Locken Lebendigkeit verströmt. Sie spielt Emma, diese erlitt ebenfalls einen schweren Verlust, ihr Mann, Bettys Bruder, starb nach kurzer Ehe. Sie liebt ihn noch immer. Emmas Warmherzigkeit wirkt in dieser kühlen Bürgerfamilie wie ein kleines Feuer, heißblütig verlangt sie Humanität. Dvorak ist atemberaubend, richtig in jeder Nuance zeichnet sie diese fortschrittliche Dame in rückschrittlicher Zeit. Alles in allem: gelungen mit einigen Irritationen, Schnitzler wurde jedenfalls kundig ausgelotet.