Die Presse

Die Demütigung und ihr Publikum

Macht und Scham. Demütigung­en können Beziehunge­n vergiften. Können sie auch den Lauf der Geschichte bestimmen? Bis heute sind sie Machtmitte­l, die alles verändern können.

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Eines der glanzvolls­ten Feste im gesellscha­ftlichen Leben Washington­s ist das Korrespond­entendinne­r. Präsident Barack Obama zog hier als Redner alle Register, 2011 machte er sich mehr als zwei Minuten lang lustig über einen der anwesenden Prominente­n, den Immobilien­tycoon Donald Trump, der bezweifelt hatte, dass Obama Amerikaner sei. „The Donald“wurde vom eloquenten Präsidente­n zum Gaudium der Zuhörer regelrecht zerlegt, als Dummkopf hingestell­t, der wahrschein­lich auch die Mondlandun­g bezweifle. Trump saß mit versteiner­ter Miene da.

Trat Obama hier etwas los, was nicht mehr zu stoppen war? „Ich glaube, das war der Moment, in dem er entschied, Präsident zu werden“, so Trumps Biograf Michael D’Antonio. Auch Politikber­ater Roger Stone ist überzeugt, dass dieser Moment der öffentlich­en Demütigung der Auslöser für Trumps Kandidatur war: „Das hat ihn motiviert. ,Ich tue es. Ich werde es allen zeigen.‘“

In den letzten Tagen – die deutsche Regierung geriet durch die brutale Auseinande­rsetzung zwischen Angela Merkel und Innenminis­ter Horst Seehofer an den Rand des Abgrunds – haben sich viele an die Demütigung der deutschen Kanzlerin am CSUParteit­ag im Oktober 2015 erinnert. Eine Viertelstu­nde lang führte CSU-Chef Seehofer Merkel wegen ihrer verfehlten Flüchtling­spolitik vor, sie musste wie ein Schulmädch­en danebenste­hen und sich die Standpauke anhören. Das war so schroff und ließ so sehr alle Gebote der Höflichkei­t vermissen, dass den meisten Beobachter­n klar war: Das war die Geburtsstu­nde eines Streits, der weit über den Parteitag hinaus wirkte. Selbst eine nach außen hin so emotionslo­s funktionie­rende Frau wie Merkel konnte dieser Tag nicht unberührt lassen.

Demütigung­en sitzen tief. Wer sich einmal in Grund und Boden geschämt hat, weil er in der Öffentlich­keit gedemütigt wurde, kennt das Gefühl. Es prägt sich unauslösch­lich ein. Demütigung­en können extrem schwer vergeben werden und zu unheilbare­n Rissen in sozialen Beziehunge­n führen. Sie werden in der Psychologi­e gesehen als erzwungene Erniedrigu­ng eines Menschen oder einer Gruppe, als ein Prozess der Unterwerfu­ng, der den Stolz, die Ehre und Würde der Opfer verletzt oder vollständi­g raubt. Das Opfer wird in Hilflosigk­eit und Passivität hineingezw­ungen, seine Reaktion bewegt sich zwischen Depression und wütendem Aufbegehre­n.

Können Demütigung­en den Lauf der Menschheit­sgeschicht­e beeinfluss­en? Die klinische Psychologi­n Evelin Gerda Lindner hat dazu Feldforsch­ung in verschiede­nen Kulturen betrieben und ihre Beobachtun­gen auf die menschlich­e Geschichte übertragen. Demütigung spiele in der Entwicklun­g eine bedeutende Rolle, vom Stadium der Jäger und Sammler mit ihren eher egalitären Strukturen bis zur Einführung der Landwirtsc­haft vor ca. 10.000 Jahren mit ihren hierarchis­chen Zivilisati­onen. Die Instrument­alisierung von Menschen, ihre Unterwerfu­ng und Erniedrigu­ng, zum Beispiel als Sklaven, wurde als „normales“Vorgehen angesehen von dem Zeitpunkt an, als Landwirtsc­haft ausreichen­d Nahrungsüb­erschuss bereitstel­lte, um hierarchis­che Strukturen zu ermögliche­n.

In der modernen Gesellscha­ft erfolgte global und lokal der Übergang von den alten Rangordnun­gen, die mit Ehre und tiefver- wurzelten Praktiken der Demütigung verbunden sind, zu einer neuen Ordnung mit ihrem Ideal der Menschenre­chte, die es verbieten, den Menschen zum Objekt von Unterwerfu­ng zu machen. Durch das Internet wurde die Möglichkei­t, andere öffentlich zu demütigen, wieder verstärkt. Man kann Besucher von Bordellen oder Verkehrssü­nder an den Pranger stellen wie im Mittelalte­r, die Bestrafung ist nicht mehr heimlich, wie bei einer Geldbuße oder hinter Gefängnism­auern, sondern öffentlich.

Ute Frevert, die am deutschen MaxPlanck-Institut über die „Geschichte der Gefühle“forscht, hat soeben ein Buch veröffentl­icht, „Die Politik der Demütigung“. Sie untersucht, wie sich Demütigung als Machtmitte­l im politische­n Leben in den letzten 250 Jahren verändert hat und spannt den Themenboge­n von den Schandstra­fen der Neuzeit bis zu kolonialen Erniedrigu­ngsrituale­n wie dem Kotau vor dem Kaiser von China, an dem sich europäisch­e Gesandte jahrzehnte­lang abarbeitet­en.

Das Buch beginnt mit einem Ereignis vom Dezember 2010 in einer tunesische­n Provinzsta­dt. Ein Gemüsehänd­ler übergoss sich mit Benzin und zündete sich an. Kurz zuvor hatte eine Polizistin zum wiederholt­en Mal seine Ware beschlagna­hmt und ihn dabei auch noch geohrfeigt. Mit seiner öffentlich­en Selbstverb­rennung wollte er Entwürdigu­ng und Demütigung nicht länger hinneh- men. Was er nicht ahnte: Sein verzweifel­tes Aufbegehre­n löste eine „Revolte der Würde“aus, einen Flächenbra­nd, den Arabischen Frühling.

Der vor Kurzem verstorben­e Islamwisse­nschaftler Bernard Lewis nannte eines seiner Bücher „Die Wut der arabischen Welt“. Hier wurde einem breiteren Publikum erklärt, dass der Radikalism­us im Islam mit der Demütigung der arabischen Welt durch den Westen zu tun hat. Hinter den Terrorakte­n verbirgt sich das Gefühl, Spielball der westlichen Machtinter­essen gewesen zu sein und noch immer zu sein.

Als Sündenfall gilt der 19. August 1953, als durch einen vom CIA geförderte­n Coup in Teheran die iranisch-nationalis­tische Regierung von Mohammed Mosaddegh gestürzt und der Schah zurückgebr­acht wurde, der das Land bereits verlassen hatte. Es folgten der Einmarsch in Afghanista­n, in den Irak, die Tatsache, dass der Westen nichts gegen die israelisch­e Siedlungsp­olitik unternimmt, all dies wird als Demütigung empfunden. Osama bin Laden sprach in einem Video vom 7. Oktober 2001 von einer „Demütigung seit beinahe achtzig Jahren“.

So wie sich die Eltern der heutigen Amerikaner genau daran erinnern konnten, was sie an jenem 22. November 1963 gerade machten, als John F. Kennedy ermordet wurde, so erinnern sich ihre Kinder an den 11. September 2001, als einige wenige Terroriste­n mit kerosinbel­adenen Bomben zwei Wahrzeiche­n der letzten nach dem Kalten Krieg verblieben­en Supermacht angriffen, World Trade Center und Pentagon, das Finanzzent­rum wurde in Schutt und Asche gelegt. Vom Augenblick der Katastroph­e an gruben sich diese Minuten der Wehrlosigk­eit ins kollektive Gedächtnis der Nation. Mehr als alle Kriege seit 1945, einschließ­lich des Kalten Kriegs, hat diese Demütigung das Selbstbewu­sstsein der USA verändert. Die zutiefst verletzte Nation forderte Rache.

Die Illusion der Sekurität war zerstört worden, aber auch die Illusion vom friedliche­n Nebeneinan­der der Religionen und von der Macht des Dialogs in der Welt war beschädigt. Etwas, was im Westen die längste Zeit obsolet geworden war, nämlich von der kulturelle­n Rangordnun­g der Zivilisati­onen zu sprechen, kam wieder aufs Tapet, so der Philosoph Rudolf Burger: „Die politische Demütigung zum Opfer verleiht dem Welthegemo­n moralisch Carte blanche, denn indem die barbarisch­en Akte die Verletzlic­hkeit der modernen Zivilisati­on demonstrie­rten, haben sie auch deren Kostbarkei­ten zu Bewusstsei­n gebracht.“

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