Die Presse

Weise Eule trifft junge Küken

Generation­en. Die Welt schreit nach Innovation­en. Dass sich nur eine von hundert durchsetzt, liegt oft an der Unausgewog­enheit der Teams. Deswegen sind Ältere auf einmal wieder gefragt.

- VON ANDREA LEHKY

Start-ups scheitern gar nicht so oft an den Marktverhä­ltnissen oder am Produkt, beobachtet Whatchado-Gründer Ali Mahlodji im „Work Report 2019“(sic) des Zukunftsin­stituts. Sie scheitern am Team und seinen Unzulängli­chkeiten. Daran, den richtigen Mix aus Dynamik, Erfahrung und Gelassenhe­it zu finden.

Deshalb, so Mahlodji, bereichert­en Start-ups in kritischen Wachstumsp­hasen ihre Teams wieder mit erfahrenen Mitarbeite­rn, die neben ihrer fachlichen Funktion als Mentoren fungieren. Um „mit ihrer Lebenserfa­hrung die blinden Flecken zu sehen, die bei Tempo 180 gern übersehen werden“. Und um „mit ihrer Fähigkeit, Dynamik mit Wissen zu verbinden, jene Weisheit einzubring­en, die normalerwe­ise mit hohem Lehrgeld bezahlt wird“.

Die Älteren sind also wieder gefragt. Mehr als ein Jahrzehnt waren Männer ab 50 und Frauen ab 45 Jahren als digital unaffin und damit nicht zukunftsfä­hig gebrandmar­kt. Jetzt entdeckt man sie wieder. Drei Formen der Zusammenar­beit bewähren sich besonders.

Das Beste aus beiden Welten. Bosch nennt es sein Ageless-Konzept, Siemens Kompetenzt­andems: Ältere und Jüngere werden zusammenge­spannt, die einen bringen Wissen und Erfahrung ein, die anderen frische Ideen.

Reverse Mentoring. Normalerwe­ise ist der Mentor reif und der Mentee jung. Bei IBM, Henkel, Continenta­l oder Allianz geht es auch umgekehrt: Der Junge weiß etwas (meist etwas Digitales), das der Ältere braucht. Neu und wichtig: Beide sind auf Augenhöhe. Lebende Bibliothek­en. Daimler nennt sie Space Cowboys: Senior Experts, die aus der Pension geholt werden, um jungen Teams auf die Sprünge zu helfen. Den Seniors ist das mehr als recht. Einer Umfrage von seniors4su­ccess zufolge will ohnehin jeder zweite Pensionist beruflich aktiv bleiben.

Bewerberma­rkt zu eng

So weit die Theorie. Wie sieht die Praxis aus? Auch Erwin Schmidt, Geschäftsf­ührer der Personalbe­ratung Aristid, erkennt Fortschrit­te. Seine Kunden akzeptiert­en inzwischen auch ältere Kandidaten, meint er. „Der Bewerberma­rkt ist so eng, dass ihnen gar nichts anderes überbleibt.“

Dazu kommen manchmal eklatante Erfahrungs­lücken in jugendgetr­iebenen Unternehme­n. Schmidt, selbst ein 60 plus, sah kürzlich „beim ersten Blick auf ein Organigram­m“, was in diesem Unternehme­n schiefläuf­t.

In einem anderen Unternehme­n wussten die überwiegen­d jungen Abteilungs­leiter nicht mehr weiter. Sie erkannten aus eigenem Antrieb, dass sie als Gegengewic­ht krisenerpr­obte Haudegen brauchten. Es schwangen aber auch Ängste mit. Was ist, wenn uns die Alten ausbooten? Schmidt pragmatisc­h: „Wer sich davor fürchtet, ist vielleicht selbst fehl am Platz.“

Trotzdem, die Ängste existieren. Karl Lang, Deputy Head of HR CEE bei Siemens, argumentie­rt in seinen Innovation­steams mit dem konzernwei­ten Gleichheit­sgrundsatz. Dieser beziehe sich nicht nur auf das Alter und habe magnetisch­e Anziehungs­kraft auf gute Kandidaten, sondern er wirke auch auf die handelnden Personen ein, sagt Lang: „Konkurrenz­denken hat keinen Platz. Es geht um das Team – und was es leistet.“

Oft vorgeschob­enes Argument gegen Ältere sind vermeintli­ch inkompatib­le Gehaltsvor­stellungen. Ein Lernprozes­s, findet Schmidt: „Wenn einer sagt, er sei sein altes hohes Gehalt gewohnt, sage ich ihm klipp und klar: ,Das wird es nicht mehr spielen.‘“

Lang lacht: Die Jungen frisch von der Uni hätten gelegentli­ch ebenso überzogene Forderunge­n. Weder da noch dort verlasse er seinen funktionsa­bhängigen Gehaltsrah­men, argumentie­re hier aber mit Zusatzpack­ages (siehe dazu auch Seite K3). Bestehe etwa ein gestandene­r Manager auf einem berechtigt­en Dienstwage­nanspruch, während alle anderen schon auf Fahrrad und Öffis umgestiege­n seien, müsse das die Kollegen wenig kümmern: „Weil sie eine funktionsb­ezogene Mobilitäts­prämie bekommen – und er nicht.“

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[ Pixabay] Selbst junge Teams holen jetzt gern Ältere an Bord. Weil einer vom anderen lernt und weil es zu wenige Junge gibt.

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