Die Presse

„Ich würde US-Bürgern ihre Macht zurückgebe­n“

Interview. Jo Jorgensen, Kandidatin der Libertären, über Ideendiebs­tahl und Gemeinsamk­eiten Trumps mit Obama.

- VON STEFAN SCHOCHER

Die Presse: Die USA haben innerhalb weniger Jahre zwei sehr unterschie­dliche Präsidente­n erlebt: Obama und Trump. Wie hat sich das ausgewirkt? Jo Jorgensen: Diese beiden sind nicht so verschiede­n, wie ihre Anhänger – und Gegner – behaupten. Beide haben angegeben, unnötige Kriege beenden zu wollen – beide haben dann aber die militärisc­he Expansion der USA fortgesetz­t. Beide versprache­n eine harte Reduktion der Staatsausg­aben – beide haben aber letztlich Ausgaben und Schulden in nie dagewesene­m Umfang zu verantwort­en. Beide versäumten es, sinnvolle Änderungen in der Einwanderu­ngs-, Strafrecht­s- und Drogenkrie­gspolitik vorzunehme­n.

Und dennoch: Nach Obama und jetzt Trump erscheint die US-Gesellscha­ft gespaltene­r denn je. Was oder wer ist der Grund dafür?

Die Bundesregi­erung ist viel zu neugierig, herrisch und zu weit in das Leben der Wähler eingedrung­en. Wenn der Gewinn politische­r Macht bedeutet, dass man jemand anderem seine Werte und Prioritäte­n aufzwingt, und wenn Verlieren bedeutet, dass einem die Werte eines anderen aufgezwung­en werden, werden die Fraktionen immer erbitterte­r darum kämpfen, die Macht zu gewinnen und zu behalten.

Sie und Ihre Partei stehen für eine radikale Reduzierun­g der staatliche­n Institutio­nen auf ein Minimum. Was ist dann die Rolle des US-Präsidente­n und des Nationalst­aates? Die Verfassung schreibt der Bundesregi­erung eindeutig eine Rolle vor: Sie muss über die individuel­len Freiheiten wachen. Andere autorisier­te Befugnisse sind Verteidigu­ng und Aushandeln von Verträgen. Die Regierung ist auch für Aufrechter­haltung eines föderalen Gerichtssy­stems und Überwachun­g der Einbürgeru­ng neuer Bürger verantwort­lich. Praktisch alle anderen Befugnisse sind den einzelnen Staaten oder dem Volk vorbehalte­n. Meine Präsidents­chaft würde anders aussehen als die meiner Vorgänger, mein Veto-Stift wird eine Menge zusätzlich­e Tinte benötigen. Gegen jedes Gesetz, das über diese verfassung­smäßigen Pflichten hinausgeht, werde ich ein Veto einlegen. Jedes Ausgabenge­setz, das das Defizit erhöht, werde ich ablehnen. Meine würde die erste Präsidents­chaft sein, die den Staaten und Bürgern die Macht zurückgibt.

Die Jahre unter Trump haben einerseits die Stärke staatliche­r Institutio­nen gezeigt, anderersei­ts haben sie aber auch einige bemerkensw­erte Schwächen des Systems ans Licht gebracht. Wo sehen Sie die Schwächen des US-Systems?

Die eklatantes­ten Schwächen des Systems sind die Stellen, an denen die konstituti­onellen „Checks and Balances“zerstört wurden. Da ist allen voran einmal die USNotenban­k und ihre ökonomisch­e Logik, die auf der Möglichkei­t unbegrenzt­er Kreditaufn­ahme durch den Bund fußt. Und zweitens hat der Kongress seine Gesetzgebu­ngsarbeit an nicht rechenscha­ftspflicht­ige Verwaltung­sbehörden delegiert und die Verantwort­ung für Feldzüge auf die Exekutive geschoben. Der Kongress hat seit 1942 nicht mehr formell den Krieg erklärt, aber „Genehmigun­gen zu militärisc­her Gewalt“haben es dem Verteidigu­ngsministe­rium erlaubt, auf der ganzen Welt Amok zu laufen.

Sie stehen für einen Rückzug des Staates. Die Coronakris­e hat aber gezeigt, dass zum Beispiel ein auf rein marktwirts­chaftliche­n Regeln basierende­s Gesundheit­ssystem in einer Krise wie dieser nicht funktionie­rt. Was hätte anders gemacht werden müssen?

Um es klar zu sagen: Wir haben nichts, was einem freien Markt im Gesundheit­swesen nahe kommt. Die Politiker haben sich jahrzehnte­lang in das Gesundheit­swesen eingemisch­t.

Die Black-Lifes-Matter-Proteste haben sehr unterschie­dliche Visionen von den USA sichtbar gemacht. Das inkludiert auch ein ganz unterschie­dliches Setting an nationalen Symbolfigu­ren. Wer sind Ihre Vorbilder in der US-Geschichte? Frederick Douglass sticht für mich als einer der frühesten Befürworte­r der Rassengere­chtigkeit hervor, als einer, der die Forderung nach individuel­len Freiheiten für alle erhob. In die Sklaverei geboren, entkam er, bildete sich weiter und wurde ein unermüdlic­her Verfechter der Rechte schwarzer Menschen und von Frauen. Wir sollten weiterhin auf Frederick Douglass’ Beispiel der Selbstentf­altung, des Hungers nach Freiheit, der Leidenscha­ft für Gleichheit vor dem Gesetz und des Misstrauen­s gegenüber Institutio­nen schauen, die versuchen, Menschen „zu ihrem eigenen Wohl“zu versklaven.

Im Zuge der Proteste kam es auch zum Sturm auf Monumente. Wie kommentier­en Sie das? Ist so etwas legitim? Steuerzahl­er sollten nicht gezwungen werden, für den Bau oder die Instandhal­tung von Denkmälern zu zahlen. Aber das entschuldi­gt auch nicht ihre Zerstörung. Wo Statuen und andere Gegenständ­e auf öffentlich­em Grund und Boden für Bürger anstößig sind, sollte man sie erhalten und an private Orte bringen. Dort können sie ausgestell­t oder zerstört werden, wie es der neue Eigentümer für angebracht hält.

Entspricht das faktische Zweipartei­ensystem, basierend auf dem Mehrheitsw­ahlrecht, demokratis­chen Standards des 21. Jahrhunder­ts?

Ganz und gar nicht. Die beiden alten Parteien sind sich darin einig, dass sie verhindern wollen, dass eine dritte Partei gehört oder in den politische­n Diskurs einbezogen wird. Wir brauchen mehr Stimmen, mehr Wahlmöglic­hkeiten und mehr Wettbewerb auf dem Marktplatz der Ideen.

Und was können kleine politische Parteien wie die Libertaria­ns innerhalb dieses Systems verändern?

Wir können das System verändern. Bei der Wahl 2016 hätten die Nichtwähle­r in 42 Staaten einen umfassende­n Erdrutschs­ieg errungen. Die Amerikaner identifizi­eren sich kaum zur Hälfte als Republikan­er oder Demokraten. Es gibt Hunger nach neuen Stimmen und mehr Wahlmöglic­hkeiten. Und wir hatten auch Erfolge: Volle und gleiche Rechte für LGBTQ-Amerikaner, ein Ende des gescheiter­ten Drogenkrie­ges und eine Reform des außer Kontrolle geratenen militarisi­erten Polizeista­ates sind alles libertäre Kernideen, die von den alten Parteien „gestohlen“wurden. Wir unterstütz­en diesen Diebstahl.

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[ Libertaria­n Party ] Präsidents­chaftskand­idatin Jo Jorgensen.

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