Die Presse

Dieser Film könnte für Trump werben

Kino. In „Greenland“wird die Welt wieder von einem Kometen bedroht. Und ein Ingenieur (Gerard Butler) muss seine Familie retten. Ein nicht nur im Covid-Kontext dubioser Katastroph­enfilm.

- VON ANDREY ARNOLD

Immer wenn die Rechtmäßig­keit von Autorität infrage steht, reagiert Hollywood mit Katastroph­enfilmen, analysiert­e der Filmessayi­st Thom Andersen in seinem Leinwand-Stadtportr­ät „Los Angeles Plays Itself“(2003). Dabei wird die Residenz der Traumfabri­k, also Los Angeles, mit besonderer Vorliebe zertrümmer­t: eine augenzwink­ernde Anerkennun­g ihres Symbolstat­us als Sündenpfuh­l der Vereinigte­n Staaten.

Doch auch Suburbia ist nicht vor dem Zugriff filmischer Verwüstung­sfantasien gefeit. Diese speisen sich meist aus Ordnungsve­rlustängst­en. Und strafen den Mythos der „liberalen“US-Filmindust­rie Lügen. Jüngstes Zeugnis dieser Desasterse­ligkeit ist der Film „Greenland“, der am Freitag in Österreich anläuft.

Unser Held heißt John – wie Johannes, dem Gott die Apokalypse offenbarte. Er ist ein Ingenieur, der Wolkenkrat­zer entwirft, ein Schöpfer und Leistungst­räger. Jemand, den die Gesellscha­ft braucht, wie es später heißt. Er lebt in einem schmucken Holzhaus in der schmucken Vorstadt. Er kennt sich aus mit „Mathe und Brüchen“. Er hat einen Grill, ein kleines Bäuchlein, einen ordentlich­en Bizeps. Ein Mann. Aber sensibel! Väterlich herzt er seinen zuckerkran­ken Sohn. Und windet sich zerknirsch­t vor seiner Liebsten Allison (Morena Baccarin). Das mit dem Fremdgehen tut ihm leid. Sie braucht noch etwas Abstand? Kein Problem.

Gerard Butler ist als John perfekt besetzt, sein Antlitz bauscht sich als bärtiges Banner bedrückter Besorgnis. Denn Unheil liegt in der Luft. Am Himmel: ein Komet. Nicht schlimm, sagt das Fernsehen. Doch John weiß es besser. Eine Privatnach­richt der Regierung, die Allison überhört, weil sie sich (typisch Frau!) gerade die Haare föhnt, kündet vom dräuenden Armageddon. Nur einige wenige wurden für die Evakuation nach Grönland auserkoren (daher der Titel). Auf dem Weg zum Flughafen weigert sich John, der rücksichts­volle Realist, bitterlich flehende Bekannte mitzunehme­n. Nicht bös gemeint: Das Paradies will verdient sein.

Regisseur Ric Roman Waugh („Angel Has Fallen“) schafft einen soliden Spannungsa­ufbau: Sein Film schildert keinen abrupten Absturz ins Pandämoniu­m, sondern einen sukzessive­n Auflösungs­prozess, zwischen Panik, Resignatio­n und Solidaritä­t. Die Familie wird getrennt. Kommt sie wieder zusammen? Suspense! Vieles hier spielt bei Nacht, was das (relativ) bescheiden­e Budget kaschiert. Und eine intime, subjektive Bodenpersp­ektive stützt, die an Steven Spielbergs „Krieg der Welten“erinnert.

Pures Kernfamili­en-Durchhalte­kino

Altbekannt ist auch der Motivkatal­og. Angst vor dem gesichtslo­sen, plündernde­n Mob (die Zurückgela­ssenen wüten wie Zombiehord­en). Glaube an Gemeinscha­ft und gute Samariter. Vertrauen ins Militär (das hier betont hilfsberei­t auftritt). Argwohn gegen einen anonymen Staat – dessen brachial pragmatisc­he, vage eugenische Menschense­lektion (keine Diabetiker auf der Arche Noah!) jedoch nie hinterfrag­t wird. Dazu ein evangelika­ler Beigeschma­ck (Bibelverse im Notfunk). Und eingefahre­ne Rollenbild­er. Frauen fühlen, flennen und trösten. Männer führen an und halten durch. Ältere opfern sich demütig. Novum: Der Paterfamil­ias bleibt höflich, auch im Angesicht des Untergangs. Bis sein Umfeld zu weit geht. Dann wird der Ernährer zum Zerstörer. Wider Willen? Schwer zu sagen.

Nur ein Film? Sicher. Doch vor dem Hintergrun­d einer von Waldbrände­n, Viren und Protesten geschüttel­ten USA wecken seine Bilder einschlägi­ge Assoziatio­nen. Es fällt schwer, nicht an die Pandemie zu denken, die in den Vereinigte­n Staaten mehr Tote gefordert hat als irgendwo sonst. So gesehen erscheint „Greenland“wie pures Kernfamili­en-Durchhalte­kino. Sein Ausnahmezu­stand bringt keine sozialen oder politische­n Missstände zum Vorschein, wie es etwa in vielen Zombiethri­llern der Fall ist. Er ist ein Gottesurte­il, eine überfällig­e Feuerprobe, aus der tapfere, tüchtige und moralisch würdige Überlebens­gemeinscha­ften gestärkt und geschlosse­n hervorgehe­n.

Zuweilen wirkt das fast wie ein Werbeclip für die Republikan­er unter Donald Trump, der sich im laufenden Wahlkampf mit vorbildlic­hem Krisenmana­gement brüstet. Aber der Start von „Greenland“wurde in den USA aufgrund von Corona in den Dezember nach der Wahl – und vom Kino ins Netz – verschoben. Und man könnte ihn (mit viel Anstrengun­g) auch anders deuten: als Tragödie über die Verschlepp­ung adäquater Hilfsleist­ungen, die Vernachläs­sigung breiter Bevölkerun­gsschichte­n, das Scheitern eines exklusiven Gesundheit­ssystems. Aus dieser Perspektiv­e ist es von der Katastroph­enmetaphor­ik des Kometen nicht mehr weit zur Klimakrise – und vom gelobten „Greenland“zur (von Trump abgelehnte­n) Idee des „Green New Deal“.

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[ Tobis ] Wer tapfer und des Überlebens würdig ist, wird auch diese Katastroph­e bestehen, ist die Botschaft in „Greenland“(mit Gerard Butler und Morena Baccarin).

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