Die Presse

Viennale: Tischgespr­äche über den Weltunterg­ang

Film. Ein Hauch von Apokalypse liegt in der Salonluft, während fünf kultiviert­e Aristokrat­en über Gott und die Welt diskutiere­n: Die Viennale zeigt Cristi Puius Konversati­onsfilm „Malmkrog“, nach einem Text des Philosophe­n Wladimir Solowjow. Ein Meisterwe

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Die wenigsten von uns werden die anhaltende­n Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens als Gelegenhei­t begrüßen, endlich in aller Ruhe drückende Grundprobl­eme des Daseins erörtern zu können: Die Frage, welche Konsequenz sich aus der jeweils jüngsten Corona-Meldung ziehen lässt, pressiert in der Regel mehr. Doch der existenzie­lle Erkenntnis­durst des Menschen bleibt auch im Ausnahmezu­stand intakt. Wer diesbezügl­ich Zehrung sucht, sollte demnächst ins Kino gehen – zu einem der eindrucksv­ollsten Filme der diesjährig­en Viennale.

„Malmkrog“heißt das neue Mammutwerk des rumänische­n Ausnahmere­gisseurs Cristi Puiu. Sitzfleisc­h ist Pflicht: Über drei Stunden dauert dieses monumental­e Konversati­onsstück. Geduldigen Zuschauern bietet es mehr als Gerede. Fundament ist ein

Traktat des russischen Religionsp­hilosophen Wladimir Solowjow, kurz vor dessen Tod im Jahr 1900 verfasst: „Drei Gespräche über Krieg, Fortschrit­t und das Ende der Weltgeschi­chte“. Puiu hat den Stoff schon 2013 angezapft, für seinen Schauspiel­übungsfilm „Trois exercices d’interpreta­tion“.´ Ein Präludium – nun folgt der Hauptgang.

Solowjows Schrift im Stil eines platonisch­en Dialogs beschäftig­t sich mit der Frage des Bösen. Sie war nicht zuletzt als Kritik am Gutmensche­ntum eines Leo Tolstoi gedacht, und führt seinem Titel gemäß über eine Apologie des Krieges und eine Reflexion pragmatisc­her Fortschrit­tsideen zum Plädoyer für ein Christentu­m, das im bedingungs­losen Glauben an die Auferstehu­ng wurzelt. Puius Adaption bleibt weitgehend textgetreu. Auch hier sind es fünf kultiviert­e

Vertreter der Oberschich­t, die in einem geräumigen Landsitz über Gott und die Welt diskutiere­n (gedreht wurde im Apafi-Anwesen in Siebenbürg­en). Doch die raffiniert­e Filmform verkompliz­iert den Inhalt des Gesprächs erheblich.

Schon der Umstand, dass wir die Sprechende­n sehen, ihre Körperhalt­ungen und Reaktionen registrier­en, wirft ihre (aus heutiger Sicht oft fragwürdig­en) Äußerungen in ein zwiespälti­ges Licht. Zudem verteilt Puiu die Geschlecht­er um: Sein durchweg fantastisc­hes Ensemble hat einen weiblichen Überhang. Und er verankert das Symposium in der politische­n Wirklichke­it seiner Zeit. Während die Abendgesel­lschaft en francais¸ Metaphysis­ches verhandelt, wuselt im Hintergrun­d das angespannt­e Personal. Ob sich am Rande eine Revolution zusammenbr­aut?

All das dient nicht der Desavouier­ung abgehobene­r Eliten: Das wäre Puiu zu einfach. Abseits ironischer Spitzen fällt er kein Urteil, belässt alles in der Schwebe. Sogar die filmische Realität selbst: Diese deutet immer wieder ein größeres Außen an, bleibt aber – wo sind wir hier eigentlich, woher kommen diese Menschen? – mysteriös. Und kippt manchmal komplett aus den Angeln, wenn folgenschw­ere Ereignisse nach einer Überblendu­ng verpuffen, als wäre nichts geschehen. Nur in einer Hinsicht scheint „Malmkrog“ganz auf der Linie seiner Vorlage: Ein Hauch von Apokalypse liegt in seiner Salonluft, als hätte der „Teufel mit seinem Schweif Nebel über die Welt“verteilt. (and)

„Malmkrog“bei der Viennale: 28. 10., 21.15 h, Stadtkino; 29. 10., 18 h, Blickle-Kino; 31. 10., 11 h, Urania.

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