Eliten und Korruption
Vorteilsnahme. Die Impfschwindelei zahlreicher Bürgermeister zeigt wieder einmal: Das Land hat Alltagskorruption im Griff, politische Eliten sind aber auf allen Ebenen höchst empfänglich für den Einsatz von Macht zum persönlichen Vorteil.
Urschitz: Politische Eliten sind empfänglich für den Einsatz von Macht zum eigenen Vorteil.
Der Spitzenpolitiker schaffte es, eine der begehrten Covid-Impfungen für sich und seine Frau zu ergattern, obwohl er im Impfplan noch lang nicht an der Reihe gewesen wäre – und musste umgehend zurücktreten: Am zweiten Teil dieses Satzes sieht man, dass nicht von Österreich die Rede sein kann.
Tatsächlich hat sich das am Mittwoch in Südspanien zugetragen, wo der Gesundheitsminister der autonomen Region Murcia wegen dieses Falls von Impf-Vorschwindeln blitzartig seinen Hut nehmen musste. In Österreich sind bisher schon fast 20 Bürgermeister aufgeflogen, die Ähnliches praktiziert haben. Vom Kardinal (okay, dieser ist wirklich alt und krank), dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde und dem Vorarlberger Rot-Kreuz-Boss reden wir da noch gar nicht.
Alle eint eines: das Fehlen jeglichen Unrechtsbewusstseins. Und natürlich das Fehlen jeglicher Konsequenzen. Was ist schon dabei, ihr „Impfneider“? Quod licet Iovi, non licet bovi, wussten schließlich schon die alten Römer. Das Problem ist: Wir haben es hier mit „Missbrauch von anvertrauter Macht für private Zwecke“zu tun. Transparency International und die EU fassen die so beschriebene Handlung in einem hässlichen Wort zusammen: Korruption. Die „verursacht nicht nur materielle Schäden, sondern untergräbt auch das Fundament einer Gesellschaft“, meint man bei Transparency International. Und sollte deshalb entsprechend verfolgt werden.
Da reicht es leider nicht, wenn der Kanzler „zornig“und der Vizekanzler „empört“ist. Da ist Handeln erforderlich. Wie es die Spanier in Murcia vorexerziert haben.
Übrigens, Spanien ist ein Land mit größeren Korruptionsproblemen. Der Bauboom an der Costa del Sol beispielsweise hat eine ganze Schar von bestechlichen Bürgermeistern hinter Gittern gebracht, die frühere Regierungspartei PP ist nicht zuletzt wegen zahlreicher Korruptionsaffären in die Opposition geschlittert. Im Transparency-Korruptionsranking liegen die Spanier auf dem für ein Industrieland blamablen Platz 30.
Österreich liegt in diesem Ranking auf Platz 12. Noch, denn die Ibiza-Oligarchensause zweier besoffener damaliger FPÖ-Führer ist da noch nicht enthalten und wird im demnächst fälligen 2020er-Ranking wohl für ein kleines Abrutschen sorgen. Aber der gute Platz hier täuscht: Vor etwas mehr als einem Jahr haben in einer EU-Umfrage unter europäischen Unternehmen 57 Prozent der Befragten angegeben, dass Korruption in Österreich „ziemlich“beziehungsweise „sehr verbreitet“sei. Fast doppelt so stark wie etwa in Deutschland. Das ist heftig, aber wenig verwunderlich, wenn man sich die zahlreichen Korruptionsskandale der beiden vergangenen Jahrzehnte ansieht.
Die Frage ist, wieso Korruption, die ja einige wenige zum Schaden aller übrigen bevorzugt, so stoisch hingenommen wird. Die Antwort lautet: Weil der Normalbürger damit vergleichsweise wenig in Berührung kommt. Die schreckliche Alltagskorruption, die das Leben in vielen Ländern erschwert, ist bei uns glücklicherweise sehr selten. Dass ein Polizist etwa Verkehrsstrafen „ohne Rechnung“in die eigene Tasche kassiert, wird man auf österreichischen Straßen nicht erleben. Und dass es mit ein paar zugesteckten Scheinen Sonderbehandlung im Krankenhaus gibt, wohl auch nicht. Auch Ämter arbeiten im Kontakt mit Bürgern durchwegs sauber. Die Zeiten, in denen Informationen darüber, welcher Schein welchem Ansuchen beizulegen ist, als Geheimtipp gehandelt wurden, sind schon länger vorbei.
Korruption in großem Stil spielt sich hierzulande überwiegend dort ab, wo es um öffentliche Aufträge (beispielsweise Abfangjägerbeschaffung), um Privatisierungen (beispielsweise Buwog), um Postenschiebereien oder generell um die im Telekom-Skandal publik gewordene „politische Landschaftspflege“geht. Es ist in Österreich ein ausgeprägtes Elitenproblem.
Begünstigt wird das Ganze durch mangelndes Bewusstsein über die Schädlichkeit solcher Verhaltensweisen. Was sich unter anderem in mangelhafter Strafverfolgung ausdrückt. Zwar haben es seit der Jahrtausendwende immerhin schon zwei Minister zu Haftstrafen wegen Korruption geschafft. Einer rechtskräftig, einer (noch) nicht.
Aber der Umgang mit dem Phänomen ist, nun ja, ein bisschen salopp. Es ist eben ein Kavaliersdelikt. Sehr schön beobachtbar beim Eurofighter-Deal, bei dem der Hersteller in den USA gestanden hat, in Österreich 14 „Einzelpersonen, Berater und Organisationen“mit 55 Mio. Euro bestochen zu haben, die einschlägigen Verfahren in Österreich aber allesamt eingestellt wurden. Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen!
Begünstigt wird das durch völlig anachronistische Geheimnistuerei wegen eines strikten Amtsgeheimnisses und völlig intransparenter Parteienfinanzierung. Durch die dann so unappetitlichen Vorgänge wie „Gesetz gegen Spende“oder unmoralische Angebote wie „Staatsbürgerschaft gegen Parteiobulus“möglich werden.
Dass in einem solchen Klima auch Regionalpolitiker abheben und in Lokalkaiser-Attitüde verfallen, ist weiter nicht verwunderlich. Zumal sich ja in solchen Fällen das Unrechtsbewusstsein mangels sichtbaren materiellen Schadens auch bei den Beobachtern in Grenzen hält: Ist ja nichts passiert. Da lacht man doch höchstens über die dummdreisten Ausreden der Marke „Sonst hätten sie den Impfstoff wegschütten müssen“, nicht wahr.
Im Gegensatz zur Großkorruption ist dieses regionale Schlaucherltum natürlich auch strafrechtlich nicht relevant. Aber politisch sehr wohl.
Korruption verursacht sehr hohe materielle und vor allem gesellschaftliche Schäden und sorgt für demokratiegefährdende Politikverdrossenheit. Sie sollte deshalb auch auf dieser Ebene härter als mit einem „Dududu“eines „zornigen“Kanzlers beantwortet werden. Wer seine Machtposition schamlos zum persönlichen Vorteil ausnutzt, sollte in der Politik eines zivilisierten Industrielandes nichts verloren haben.
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