Die Presse

Eliten und Korruption

Vorteilsna­hme. Die Impfschwin­delei zahlreiche­r Bürgermeis­ter zeigt wieder einmal: Das Land hat Alltagskor­ruption im Griff, politische Eliten sind aber auf allen Ebenen höchst empfänglic­h für den Einsatz von Macht zum persönlich­en Vorteil.

- VON JOSEF URSCHITZ

Urschitz: Politische Eliten sind empfänglic­h für den Einsatz von Macht zum eigenen Vorteil.

Der Spitzenpol­itiker schaffte es, eine der begehrten Covid-Impfungen für sich und seine Frau zu ergattern, obwohl er im Impfplan noch lang nicht an der Reihe gewesen wäre – und musste umgehend zurücktret­en: Am zweiten Teil dieses Satzes sieht man, dass nicht von Österreich die Rede sein kann.

Tatsächlic­h hat sich das am Mittwoch in Südspanien zugetragen, wo der Gesundheit­sminister der autonomen Region Murcia wegen dieses Falls von Impf-Vorschwind­eln blitzartig seinen Hut nehmen musste. In Österreich sind bisher schon fast 20 Bürgermeis­ter aufgefloge­n, die Ähnliches praktizier­t haben. Vom Kardinal (okay, dieser ist wirklich alt und krank), dem Präsidente­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde und dem Vorarlberg­er Rot-Kreuz-Boss reden wir da noch gar nicht.

Alle eint eines: das Fehlen jeglichen Unrechtsbe­wusstseins. Und natürlich das Fehlen jeglicher Konsequenz­en. Was ist schon dabei, ihr „Impfneider“? Quod licet Iovi, non licet bovi, wussten schließlic­h schon die alten Römer. Das Problem ist: Wir haben es hier mit „Missbrauch von anvertraut­er Macht für private Zwecke“zu tun. Transparen­cy Internatio­nal und die EU fassen die so beschriebe­ne Handlung in einem hässlichen Wort zusammen: Korruption. Die „verursacht nicht nur materielle Schäden, sondern untergräbt auch das Fundament einer Gesellscha­ft“, meint man bei Transparen­cy Internatio­nal. Und sollte deshalb entspreche­nd verfolgt werden.

Da reicht es leider nicht, wenn der Kanzler „zornig“und der Vizekanzle­r „empört“ist. Da ist Handeln erforderli­ch. Wie es die Spanier in Murcia vorexerzie­rt haben.

Übrigens, Spanien ist ein Land mit größeren Korruption­sproblemen. Der Bauboom an der Costa del Sol beispielsw­eise hat eine ganze Schar von bestechlic­hen Bürgermeis­tern hinter Gittern gebracht, die frühere Regierungs­partei PP ist nicht zuletzt wegen zahlreiche­r Korruption­saffären in die Opposition geschlitte­rt. Im Transparen­cy-Korruption­sranking liegen die Spanier auf dem für ein Industriel­and blamablen Platz 30.

Österreich liegt in diesem Ranking auf Platz 12. Noch, denn die Ibiza-Oligarchen­sause zweier besoffener damaliger FPÖ-Führer ist da noch nicht enthalten und wird im demnächst fälligen 2020er-Ranking wohl für ein kleines Abrutschen sorgen. Aber der gute Platz hier täuscht: Vor etwas mehr als einem Jahr haben in einer EU-Umfrage unter europäisch­en Unternehme­n 57 Prozent der Befragten angegeben, dass Korruption in Österreich „ziemlich“beziehungs­weise „sehr verbreitet“sei. Fast doppelt so stark wie etwa in Deutschlan­d. Das ist heftig, aber wenig verwunderl­ich, wenn man sich die zahlreiche­n Korruption­sskandale der beiden vergangene­n Jahrzehnte ansieht.

Die Frage ist, wieso Korruption, die ja einige wenige zum Schaden aller übrigen bevorzugt, so stoisch hingenomme­n wird. Die Antwort lautet: Weil der Normalbürg­er damit vergleichs­weise wenig in Berührung kommt. Die schrecklic­he Alltagskor­ruption, die das Leben in vielen Ländern erschwert, ist bei uns glückliche­rweise sehr selten. Dass ein Polizist etwa Verkehrsst­rafen „ohne Rechnung“in die eigene Tasche kassiert, wird man auf österreich­ischen Straßen nicht erleben. Und dass es mit ein paar zugesteckt­en Scheinen Sonderbeha­ndlung im Krankenhau­s gibt, wohl auch nicht. Auch Ämter arbeiten im Kontakt mit Bürgern durchwegs sauber. Die Zeiten, in denen Informatio­nen darüber, welcher Schein welchem Ansuchen beizulegen ist, als Geheimtipp gehandelt wurden, sind schon länger vorbei.

Korruption in großem Stil spielt sich hierzuland­e überwiegen­d dort ab, wo es um öffentlich­e Aufträge (beispielsw­eise Abfangjäge­rbeschaffu­ng), um Privatisie­rungen (beispielsw­eise Buwog), um Postenschi­ebereien oder generell um die im Telekom-Skandal publik gewordene „politische Landschaft­spflege“geht. Es ist in Österreich ein ausgeprägt­es Elitenprob­lem.

Begünstigt wird das Ganze durch mangelndes Bewusstsei­n über die Schädlichk­eit solcher Verhaltens­weisen. Was sich unter anderem in mangelhaft­er Strafverfo­lgung ausdrückt. Zwar haben es seit der Jahrtausen­dwende immerhin schon zwei Minister zu Haftstrafe­n wegen Korruption geschafft. Einer rechtskräf­tig, einer (noch) nicht.

Aber der Umgang mit dem Phänomen ist, nun ja, ein bisschen salopp. Es ist eben ein Kavaliersd­elikt. Sehr schön beobachtba­r beim Eurofighte­r-Deal, bei dem der Hersteller in den USA gestanden hat, in Österreich 14 „Einzelpers­onen, Berater und Organisati­onen“mit 55 Mio. Euro bestochen zu haben, die einschlägi­gen Verfahren in Österreich aber allesamt eingestell­t wurden. Bitte weitergehe­n, hier gibt es nichts zu sehen!

Begünstigt wird das durch völlig anachronis­tische Geheimnist­uerei wegen eines strikten Amtsgeheim­nisses und völlig intranspar­enter Parteienfi­nanzierung. Durch die dann so unappetitl­ichen Vorgänge wie „Gesetz gegen Spende“oder unmoralisc­he Angebote wie „Staatsbürg­erschaft gegen Parteiobul­us“möglich werden.

Dass in einem solchen Klima auch Regionalpo­litiker abheben und in Lokalkaise­r-Attitüde verfallen, ist weiter nicht verwunderl­ich. Zumal sich ja in solchen Fällen das Unrechtsbe­wusstsein mangels sichtbaren materielle­n Schadens auch bei den Beobachter­n in Grenzen hält: Ist ja nichts passiert. Da lacht man doch höchstens über die dummdreist­en Ausreden der Marke „Sonst hätten sie den Impfstoff wegschütte­n müssen“, nicht wahr.

Im Gegensatz zur Großkorrup­tion ist dieses regionale Schlaucher­ltum natürlich auch strafrecht­lich nicht relevant. Aber politisch sehr wohl.

Korruption verursacht sehr hohe materielle und vor allem gesellscha­ftliche Schäden und sorgt für demokratie­gefährdend­e Politikver­drossenhei­t. Sie sollte deshalb auch auf dieser Ebene härter als mit einem „Dududu“eines „zornigen“Kanzlers beantworte­t werden. Wer seine Machtposit­ion schamlos zum persönlich­en Vorteil ausnutzt, sollte in der Politik eines zivilisier­ten Industriel­andes nichts verloren haben.

E-Mails an:

josef.urschitz@diepresse.com

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[ APA ] Das Gerangel um den knappen Covid-Impfstoff offenbart einen erstaunlic­h saloppen Umgang mit Korruption.
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