Wie aus dem Wiener Klang „Jewish Music“wurde
Livestream. Eine CD-Präsentation in den pittoresken Kasematten des Wiener Palais Coburg nimmt heute zeithistorische Dimensionen an.
Wer sich für die Wiener Musik der Spätromantik interessiert, muss heute Abend den Livestream aus dem Wiener Palais Coburg sehen. In den historischen Kasematten, die als Teil der Befestigungsanlage in den einstigen Basteien der Stadt an sich schon einen Besuch wert sind, musiziert die Pianistin Magda Amara mit dem Bariton Günter Haumer und dem Initiator des Projekts, dem Geiger Johannes Fleischmann.
Zu erleben sind die Nummern der eben veröffentlichten CD „Exodus“, die unter anderem zwei Violinsonaten enthält, die bekanntere von Erich Wolfgang Korngold, die andere, eine veritable Entdeckung, von Eric Zeisl, der in der Zwischenkriegszeit zu den meist diskutierten Komponisten der Stadt gehörte, dieses Werk aber im amerikanischen Exil komponiert hat.
Zwischendrin diskutieren Eric Zeisls Tochter, die Ehefrau von Arnold Schönbergs jüngstem Sohn, und deren Sohn Randy Schoenberg mit Zeisl-Biografin Karin Wagner und dem Musikwissenschaftler Gerold Gruber, dem Leiter von „exil-Arte“. Er gehört mit dem österreichischen Musikfonds zu den wichtigsten Unterstützern jener CDAufnahme, auf welcher der Livestream und die folgende Videoproduktion aufbauen.
Wiener Klangsinn, jüdische Folklore
Johannes Fleischmann erzählte der „Presse“, wie er anlässlich einer Aufführung der Korngold-Sonate in den USA mit Barbara ZeislSchoenberg bekannt wurde, die ihm die erschütternde Lebensgeschichte ihres Vaters erzählte und ihn mit dessen Werk vertraut machte. Zeisl, in der Leopoldstadt geboren, war der Sohn einer Kaffeehausdynastie, die nächst dem Praterstern das gemütliche Cafe´ Tegetthoff betrieben, das bei Joseph Roth sogar zu literarischen Ehren gekommen ist. Gegen den Willen seiner Familie studierte
Zeisl Komposition am Konservatorium. Zur Finanzierung musste er unter anderem seine Briefmarkensammlung verkaufen, weil sich vor allem die Großmutter strikt geweigert hatte, seine musikalischen Ambitionen zu unterstützen. Zeisl hat in sarkastischem Humor mit Anspielung auf seine Sonnenallergie später einmal gemeint, er hätte nur drei Feinde in seinem Leben gehabt: Hitler, die Sonne und seine Großmutter.
Das Schicksal, möchte man ergänzen, gehörte auch dazu. Während Korngold zu einem gesuchten Filmmusik-Komponisten Hollywoods wurde und seinen Kollegen auch wiederholt zu Aufträgen zu verhelfen suchte, erhielt Zeisl zwar einige cineastische Engagements – unter anderem stammt von ihm die Musik zu „Wenn der Postmann zweimal klingelt“. Doch der dickste Fisch, wiewohl von Korngold zunächst an ihn vermittelt, ging mit „A Time to Love and a Time to Die“dann nach dem Willen der Produzenten doch an Miklos´ Rozsa,´ Zeisl wurde ausgezahlt.
Als Schöpfer „klassischer“Musik war es Zeisl jedoch gelungen, seine wienerische Klangsinnlichkeit, die sich in zahllosen zu Zeiten sehr beliebten Liedern geäußert hatte, gegen eine durch jüdische Folklore bestimmte neue Tonsprache zu ersetzen, die ihm hohe Aufmerksamkeit sicherte: Auf dem besten Weg, zu einem gesuchten, genuin „jüdischen Komponisten“zu werden, ereilte ihn ein tragisch früher Tod.
Die von Johannes Fleischmann und Magda Amara gespielte Sonate ist ein Beispiel für diesen „anderen“Eric Zeisl und entpuppte sich, wie der Geiger erzählt, als höchst dankbar: „Wir haben sie des Öfteren mit der Korngold-Sonate aufgeführt und immer hat Zeisls Stück mit seinem effektvollen Finale den stärkeren Applaus bekommen.“
Livestream: www.johannesfleischmann.at/exodus (abzurufen ab Freitag, 19 Uhr für 48 Stunden)