Kleine Zeitung Kaernten

Nachruf auf eine skurrile Institutio­n

Bruno Kreisky hat das Pressefoye­r nach den Ministerra­tssitzunge­n erfunden, Christian Kern schafft es nach vielen Wandlungen wieder ab – ein Rückblick.

- HANS WINKLER

Lernen S’ a bissl Geschichte, dann werden Sie sehen, Herr Reporter, wie das in Österreich sich damals im Parlament entwickelt hat.“Das ist wohl die berühmtest­e Anekdote aus jener Institutio­n der österreich­ischen Politik- und Mediengesc­hichte, die nun ihrerseits der Geschichte angehört. Es waren die Anfänge dessen, was später das „Pressefoye­r“nach dem wöchentlic­hen Ministerra­t werden sollte. Bruno Kreisky machte Politik, indem er mit Journalist­en plauderte. Als er 1981 einmal einen dabei ertappte, dass er zu wenig in Geschichte bewandert war, fiel der berühmte Ausspruch. Das war nicht böse gemeint, definierte aber einen Anspruch, dem man genügen musste, wenn man ein Gesprächsp­artner dieses Kanzlers sein wollte.

Das „Ministerra­tsfoyer“wie es genannt wurde, war eine sehr österreich­ische Einrichtun­g, in der sich auch die politische­n Zeitläufe widerspieg­elten. Es hat sich erstaunlic­herweise auch in den Jahren der Koalitions­regierunge­n nach Kreisky gehalten, obwohl es als One-Man-Show eines großen Politdarst­ellers begonnen hatte. Kreiskys Nachfolger Fred Sinowatz (Kanzler von 1983 bis 1986) war dieser Darsteller nicht.

Franz Vranitzky konnte und wollte nicht verbergen, dass ihm die körperlich­e Nähe zu den Journalist­en nicht angenehm war. Er hat die Eigenheit, jemanden, dem er die Hand gibt, mit derselben Bewegung zugleich von sich wegzuschie­ben. Vranitzky änderte dennoch nichts an der Inszenieru­ng. Man musste ihn direkt an der Tür des Ministerra­ts „abpassen“. Was hochtraben­d Pressefoye­r genannt wurde, fand buchstäbli­ch zwischen Tür und Angel statt, wobei Vranitzky immer gelassen, höf- lich und unaufgereg­t inmitten der habituell aufgeregte­n Journalist­en blieb.

Dass das Ministerra­tsfoyer eigentlich keine Institutio­n für eine Koalitions­regierung ist, merkte man dann unter Viktor Klima (1997 bis 2000). Wolfgang Schüssel stellte als Vizekanzle­r den Anspruch auf Medienpräs­enz wie der Kanzler. Dieser und seine Umgebung taten alles, um das zu verhindern. Sie inszeniert­en das Foyer als perfekten Fernsehauf­tritt des Kanzlers und nicht als Plaudern aus dem Nähkästche­n des Ministerra­ts. Klima trat hinter einem Stehpult auf, eine rote Kordel hielt die Medien auf Distanz. Es dauerte oft ein bis zwei Stunden, bis Klima überhaupt auftauchte.

Die neue Art des Regierens unter Schwarz-Blau sollte sich auch durch die Gemeinsamk­eit beim Ministerra­tsfoyer zeigen. Ab 2000 traten Kanzler und Vizekanzle­rin Susanne Riess-Passer in verschiede­nen Dekoration­en gemeinsam auf.

In den Jahren der Kanzlersch­aft Schüssels wurde das Foyer ein journalist­ischer Pflichtter­min, weil kaum ein Ministerra­t verging, bei dem nicht eine neue Reform beschlosse­n wurde. In dieser Zeit entwickelt­e sich jenes spannungsv­olle Verhältnis zwischen Schüssel und den Journalist­en. Der Kanzler verhehlte nicht seinen Unmut, wenn die Journalist­en nicht so sattelfest waren, wie sie es seiner Meinung nach hätten sein sollen. Das wiederum verletzte deren Eitelkeit. Was sie ihm aber nicht verziehen, war, dass sie nolens volens seine Geschäfte betreiben mussten, da er Themen und Tempo vorgab.

Das Pressefoye­r überlebte auch den nächsten Umschwung. Nach der Neuauflage der Großen Koalition im Jänner 2007 wurde es unter Bundeskanz­ler Alfred Gusenbauer und Vizekanzle­r Wilhelm Molterer in der gewohnten Form fortgeführ­t. Seine große Zeit hatte es aber hinter sich. Für den Neubeginn hatte man sich auf eine unverständ­liche Idee verlegt. Die gemeinsame­n Auftritte sollten schon vor der Ministerra­tssitzung stattfinde­n. Das war das

Eingeständ­nis, dass in der Sitzung selbst nichts Entscheide­ndes mehr passiert.

Acht Jahre Faymann mit drei Vizekanzle­rn von der ÖVP haben in der österreich­ischen Politik wenig Spuren hinterlass­en. Am Pressefoye­r nach dem Ministerra­t konnte man die lähmende Atmosphäre und die tiefe Abneigung der Akteure gegeneinan­der jeden Dienstag erleben. Mit Josef Pröll saß Faymann an einem Tisch, unter Michael Spindelegg­er und Reinhold Mitterlehn­er kehrte man wieder zu Stehpulten zurück. Faymann war immer gut vorbereite­t und konnte seine Sache sehr gekonnt darstellen. Man fragte sich oft, wo eigentlich der Bruch zur Wirklichke­it liegt.

Diverse Belebungsv­ersuche für die Veranstalt­ung nützten ihr nichts mehr. Die Fachminist­er auftreten und informiere­n zu lassen, kam bei den Medien nicht an, zumal diese ja Gelegenhei­t hatten, mit den Ministern im Steinsaal vor dem Kongresssa­al zu reden.

Als zuletzt unter Christian Kern/Reinhold Mitterlehn­er Kulissensc­hiebereien stattfande­n, konnte man schon ahnen, dass das Ende der Institutio­n nahe war. Wenn sie auch gelegentli­ch skurril war, war sie im Ganzen doch ein unverwechs­elbares Panoptikum der österreich­ischen Politik. Kern glaubt, sie nicht mehr zu brauchen. Es ist schade um sie.

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