Heiße Liebe und gegrillte Hasen
Zum Saisonstart der Oper Graz deutete Verena Stoiber „Tristan und Isolde“wenig schlüssig als zeitloses Liebesdrama. Das Ensemble überzeugte großteils, der Souverän saß im Graben.
Richard Wagners Librettist für „Tristan und Isolde“war Richard Wagner. Leider. Denn bei seiner Reimklitterung über den Sagenstoff, in der sich wohl auch die mäandernde Liebe des Komponisten zur verheirateten Mathilde Wesendonck spiegelt, stürzen sich die Gehirnzellen des Zuhörers zwischendurch in den Freitod. Die dichte, ständig drängende Musik der 1865 in München uraufgeführten Oper hingegen ist ein Ereignis und weist in seiner Kühnheit fast schon ins 20. Jahrhundert.
Das Drama wurde in Graz zuletzt 1997 gezeigt, in der Regie von Lutz Graf mit Peter Schrottner am Pult. Zum Saisonauftakt nahm sich nun Verena Stoiber des Stoffes an: Designervilla statt Segelschiff. Galeriegeländer statt Reling. Theke statt Steuerstand. Offener Kamin statt Leuchtfeuer. Indoor Pool statt Irische See . . . Nein, erhellend ist das nicht wirklich, Tristan und Isolde in diesem Ambiente zunächst als frustriertes Ehepaar zu zeigen, auch wenn die Deutsche auf die Zeitlosigkeit der Liebesgeschichte verweisen will und sie vom Spätmittelalter ins Heute hievt.
Seltsame Eingriffe
Im klugen, kühlen Bühnenbild von Susanne Gschwender und Sophia Schneider (auch Kostüme), mit der sie 2014 mit ihrer „Freischütz“-Idee den Grazer „Ring Award“gewann, wagt Stoiber Seltsamkeiten: In einer der schönsten Liebesszenen der
Opernliteratur wird ein Hase aufgebrochen, gehäutet und gegrillt. Heiße Liebe? Und die Regisseurin lässt im 2. Akt auch, anders als von Wagner konzipiert, König Marke – nun unvermutet in historischem Gewand – im Kampf gegen Tristan sterben, der sich wiederum selber blendet. Da geht vieles zulasten der Schlüssigkeit, aber immerhin gelingt Stoiber mit einem tattergreisen Tristan, der im Rollstuhl sehnsüchtig auf seine Herzensund Seelenretterin Isolde wartet, ein doch noch berührendes, überzeugendes Finale.
Zu diesem trug Gun-Brit Barkmin als Isolde in ihrer verklärten Schlussarie bei, obwohl die Stimme der deutschen Sopranistin lang zum Auftauen brauchte und die 44-Jährige in ihrer mörderischen Partie teils auch mit Höhe und Intonation kämpfte. Wie sie im spielfreudigen Rollendebüt, bewies der Ungar Zoltán Nyári als Tristan mit nicht immer mühelosem, aber kernigem Tenor, welche Bereicherung seine Engagements (wie 2015 in Korngolds „Toter Stadt“) für die Oper Graz sind. Mit Guido Jentjens als König Marke sowie Manuel Senden und Markus Butter als die Knappen Melot und Kurwenal war das Ensemble auch sonst gut besetzt, herausragend aber in stimmlicher Reife und zu Recht am meisten bejubelt Dshamilja Kaiser als Isoldes Dienerin Brangäne.
Aufgepeitschte Meere
Der echte Souverän saß bei der Premiere jedoch im Graben: Das Grazer Philharmonische Orchester durchkämmt Wagners komplizierteste, herausforderndste Partitur lustvoll, farben- und nuancenreich. Ob in Klangwogen wie aufgepeitschte Meere oder in der Ruhe einfacher, zuweilen solistischer Melodien – das Orchester schaffte den Weitspann. Und Chefdirigent Dirk Kaftan zeigte sich einmal mehr als so energischer wie ziselierender Gestalter und ließ Friedrich Nietzsches Schwärmen verstehen, für den „Tristan und Isolde“von „gefährlicher Faszination“war, „von einer gleich schauerlichen und süßen Unendlichkeit“.