Konsum außer Kontrolle
Bis zu acht Prozent der Österreicher kaufen aus Zwang. Experten orten eine Tabuisierung und gesellschaftliche Zusammenhänge.
Eine Abhängigkeit, die um sich greift, aber oft unter einen (sehr gut gefüllten) Deckmantel gesteckt wird, wurde nun bei den Österreichischen Ärztetagen in Grado thematisiert: Konsumsucht.
Bis zu acht Prozent der Österreicher sind gefährdet, kaufsüchtig zu werden, bzw. bereits krank. „Die Kaufsucht ist eine besonders tabuisierte Form der Abhängigkeit. ,Ich kann nicht einmal mehr mein Kaufverhalten steuern‘, wirft sich der Betroffene vor. Psychische Krankheiten werden an sich schon tabuisiert, noch mehr die Suchtkrankheit. Und dann auch noch ,Kaufsucht‘“, verdeutlicht Michael Musalek, ärztlicher Leiter des Anton-Proksch-Instituts, die besondere Problematik.
Ähnlich sieht das Thema auch Gerhard Benetka, Dekan der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien. Eine Grundveranlagung bräuchte es nicht, im Interview (siehe Spalte rechts) spricht er aber von einem „Kollateralschaden unserer Konsumgesellschaft“. Was motiviert dazu? „Das unfassbare Angebot an Produkten wird von den Menschen als Ersatz für Anstrengungen im Alltag gesehen. Als ein vermeintlicher Weg, glücklich zu werden.“
Wird das Kaufverhalten einmal zwänglich, geht es gar nicht mehr um den Besitz erstandener Dinge, sondern nur noch um den Kaufvorgang als solchen. Hier sprechen Experten von einer ernsten, „nicht stoffgebundenen“Form von Abhängigkeit. Die Arbeiterkammer Wien veröffentlichte bereits 2011 eine Studie, der zufolge rund 20 Prozent der Bevölkerung kaufsuchtgefährdet sind. Waren zunächst noch jüngere Frauen am stärksten betroffen, hat sich das Geschlechterverhältnis während der letzten Jahrzehnte angeglichen: Eine Studie aus dem Jahr 2005 ergab bei den Frauen in der Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen einen Anteil von 11,9 Prozent, bei den Männern einen Anteil von 6,1 Prozent. Bei den 25- bis 44-Jährigen waren es 11,8 Prozent (Frauen) bzw. 6,9 Prozent (Männer), wurden in Grado die verfügbaren Zahlen vorgelegt.
wie einfach es geworden sei, Dinge zu bestellen. „Bar zu bezahlen war noch konkret und mit einer sichtbaren Abgeltung verbunden, Din- ge oder Leistungen aller Art online in Warenkörbe zu legen, ist es nicht.“Befriedigung und Kick, die jede neue Kaufsituation liefert, nutzen sich rasch ab.
Sämtliche Kriterien für eine Abhängigkeit gelten auch bei krankhaftem Konsumwahn, streicht Musalek hervor. Von der Sucht Betroffene sprechen von einem Drang zu ihrem Verhalten, einhergehend mit einem erheblichen Kontrollverlust. Musalek berichtet von einem „Mann, der beispielsweise bereits zwei Stereoanlagen hat, aber noch drei dazukauft“. Oft würden „Güter nicht einmal mehr ausgepackt“.