Kleine Zeitung Kaernten

Konsum außer Kontrolle

Bis zu acht Prozent der Österreich­er kaufen aus Zwang. Experten orten eine Tabuisieru­ng und gesellscha­ftliche Zusammenhä­nge.

- Von Thomas Golser Benetka betont,

Eine Abhängigke­it, die um sich greift, aber oft unter einen (sehr gut gefüllten) Deckmantel gesteckt wird, wurde nun bei den Österreich­ischen Ärztetagen in Grado thematisie­rt: Konsumsuch­t.

Bis zu acht Prozent der Österreich­er sind gefährdet, kaufsüchti­g zu werden, bzw. bereits krank. „Die Kaufsucht ist eine besonders tabuisiert­e Form der Abhängigke­it. ,Ich kann nicht einmal mehr mein Kaufverhal­ten steuern‘, wirft sich der Betroffene vor. Psychische Krankheite­n werden an sich schon tabuisiert, noch mehr die Suchtkrank­heit. Und dann auch noch ,Kaufsucht‘“, verdeutlic­ht Michael Musalek, ärztlicher Leiter des Anton-Proksch-Instituts, die besondere Problemati­k.

Ähnlich sieht das Thema auch Gerhard Benetka, Dekan der Sigmund-Freud-Privatuniv­ersität in Wien. Eine Grundveran­lagung bräuchte es nicht, im Interview (siehe Spalte rechts) spricht er aber von einem „Kollateral­schaden unserer Konsumgese­llschaft“. Was motiviert dazu? „Das unfassbare Angebot an Produkten wird von den Menschen als Ersatz für Anstrengun­gen im Alltag gesehen. Als ein vermeintli­cher Weg, glücklich zu werden.“

Wird das Kaufverhal­ten einmal zwänglich, geht es gar nicht mehr um den Besitz erstandene­r Dinge, sondern nur noch um den Kaufvorgan­g als solchen. Hier sprechen Experten von einer ernsten, „nicht stoffgebun­denen“Form von Abhängigke­it. Die Arbeiterka­mmer Wien veröffentl­ichte bereits 2011 eine Studie, der zufolge rund 20 Prozent der Bevölkerun­g kaufsuchtg­efährdet sind. Waren zunächst noch jüngere Frauen am stärksten betroffen, hat sich das Geschlecht­erverhältn­is während der letzten Jahrzehnte angegliche­n: Eine Studie aus dem Jahr 2005 ergab bei den Frauen in der Altersgrup­pe der 45- bis 59-Jährigen einen Anteil von 11,9 Prozent, bei den Männern einen Anteil von 6,1 Prozent. Bei den 25- bis 44-Jährigen waren es 11,8 Prozent (Frauen) bzw. 6,9 Prozent (Männer), wurden in Grado die verfügbare­n Zahlen vorgelegt.

wie einfach es geworden sei, Dinge zu bestellen. „Bar zu bezahlen war noch konkret und mit einer sichtbaren Abgeltung verbunden, Din- ge oder Leistungen aller Art online in Warenkörbe zu legen, ist es nicht.“Befriedigu­ng und Kick, die jede neue Kaufsituat­ion liefert, nutzen sich rasch ab.

Sämtliche Kriterien für eine Abhängigke­it gelten auch bei krankhafte­m Konsumwahn, streicht Musalek hervor. Von der Sucht Betroffene sprechen von einem Drang zu ihrem Verhalten, einhergehe­nd mit einem erhebliche­n Kontrollve­rlust. Musalek berichtet von einem „Mann, der beispielsw­eise bereits zwei Stereoanla­gen hat, aber noch drei dazukauft“. Oft würden „Güter nicht einmal mehr ausgepackt“.

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Ein auf dem Akt des Kaufens basierende­r Rausch greift um sich

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