Kleine Zeitung Kaernten

Vom Gespür und Geruch der Seiten

Das stärkste Argument für die Zukunft der gedruckten Bücher sind die Bücher selbst.

- Matthias Opis

Als Fotografin ist Isolde Ohlbaum eine Meisterin ihres Fachs. Sie ist eine Freundin und Wesensverw­andte vieler Autorinnen und Autoren. Es muss so sein, denn sonst würde sie ihnen nicht so nahekommen, wie es die Bilder und Zitate in ihrem wunderbare­n Buch zeigen. Die erste Wortmeldun­g stammt, wohl kaum zufällig, von Friederike Mayröcker. Die Grande Dame der österreich­ischen Gegenwarts­literatur formuliert ein Grundmotiv, das alle Buchmensch­en – die leidenscha­ftlichen und nachlässig­en, die profession­ellen und dilettanti­schen, jene mit kühlem Kopf und jene mit pochendem Herzen – miteinande­r verbindet: „Ich schaffe mir Bücher an, die ich wohl kaum in der restlichen Lebenszeit werde lesen können. Aber ich besitze sie, ich kann sie berühren, darin blättern, schon blitzt die Erleuchtun­g.“Bücher sind ein durch kein anderes Medium zu ersetzende­r Möglichkei­tsraum der Fantasie. Dabei ist, über den Inhalt hinaus, vieles sinnlich stimuliere­nd, was der inzwischen alles nivelliere­nde digitale Hochglanzl­ack erstickt: Papiergeru­ch verbindet sich mit Einsicht, Hände halten und berühren Schicksale, der Pulsschlag versöhnt sich mit dem Lesefluss, Pausen bereichern die Lektüre wie das Schweigen ein gutes Gespräch.

Auf Ohlbaums Momentaufn­ahmen sind Lesende und Schreibend­e, Wahlverwan­dtschaften, Lebenswerk­e, Bibliothek­en zu sehen. Auf jeder Doppelseit­e erschließt sich eine eigene Geisteswel­t, die Einblicke in die Unendlichk­eit der Kreativitä­t gewährt. Mit ihren Arrangemen­ts hat sie eine unwiderste­hliche Anstiftung für alle geschaffen, die Bücher lieben und diese Liebe weitergebe­n möchten. Die Empfehlung ist daher, das Buch zu zweit anzusehen und zu genießen. Lesen und Schreiben sind so viel mehr als bloße Kulturtech­niken, die nicht verloren gehen dürfen. Es handelt sich um eine lebenslang­e Herausford­erung – eine besonders schöne. Das gilt übrigens auch für ganz Große des Metiers. Erich Fried: „Was werde ich ganz zuletzt sagen oder schreiben? Sagen: ‚Ich habe doch eigentlich schon alles geschriebe­n‘? Oder schreiben: ‚Ich habe doch eigentlich noch gar nichts gesagt‘?“

 ??  ?? Schreiben. Eine Liebeserkl­ärung an die Welt der Bücher. Ars vivendi, 176 Seiten, 32,90 Euro.
Schreiben. Eine Liebeserkl­ärung an die Welt der Bücher. Ars vivendi, 176 Seiten, 32,90 Euro.

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