Vom Gespür und Geruch der Seiten
Das stärkste Argument für die Zukunft der gedruckten Bücher sind die Bücher selbst.
Als Fotografin ist Isolde Ohlbaum eine Meisterin ihres Fachs. Sie ist eine Freundin und Wesensverwandte vieler Autorinnen und Autoren. Es muss so sein, denn sonst würde sie ihnen nicht so nahekommen, wie es die Bilder und Zitate in ihrem wunderbaren Buch zeigen. Die erste Wortmeldung stammt, wohl kaum zufällig, von Friederike Mayröcker. Die Grande Dame der österreichischen Gegenwartsliteratur formuliert ein Grundmotiv, das alle Buchmenschen – die leidenschaftlichen und nachlässigen, die professionellen und dilettantischen, jene mit kühlem Kopf und jene mit pochendem Herzen – miteinander verbindet: „Ich schaffe mir Bücher an, die ich wohl kaum in der restlichen Lebenszeit werde lesen können. Aber ich besitze sie, ich kann sie berühren, darin blättern, schon blitzt die Erleuchtung.“Bücher sind ein durch kein anderes Medium zu ersetzender Möglichkeitsraum der Fantasie. Dabei ist, über den Inhalt hinaus, vieles sinnlich stimulierend, was der inzwischen alles nivellierende digitale Hochglanzlack erstickt: Papiergeruch verbindet sich mit Einsicht, Hände halten und berühren Schicksale, der Pulsschlag versöhnt sich mit dem Lesefluss, Pausen bereichern die Lektüre wie das Schweigen ein gutes Gespräch.
Auf Ohlbaums Momentaufnahmen sind Lesende und Schreibende, Wahlverwandtschaften, Lebenswerke, Bibliotheken zu sehen. Auf jeder Doppelseite erschließt sich eine eigene Geisteswelt, die Einblicke in die Unendlichkeit der Kreativität gewährt. Mit ihren Arrangements hat sie eine unwiderstehliche Anstiftung für alle geschaffen, die Bücher lieben und diese Liebe weitergeben möchten. Die Empfehlung ist daher, das Buch zu zweit anzusehen und zu genießen. Lesen und Schreiben sind so viel mehr als bloße Kulturtechniken, die nicht verloren gehen dürfen. Es handelt sich um eine lebenslange Herausforderung – eine besonders schöne. Das gilt übrigens auch für ganz Große des Metiers. Erich Fried: „Was werde ich ganz zuletzt sagen oder schreiben? Sagen: ‚Ich habe doch eigentlich schon alles geschrieben‘? Oder schreiben: ‚Ich habe doch eigentlich noch gar nichts gesagt‘?“