Kleine Zeitung Kaernten

Die neue Nüchternhe­it im Weißen Haus

Joe Biden bemüht sich betont um Profession­alität. Am ersten Tag im Oval Office verzichtet er auf eine Politik der großen Gesten. Die Symbolik ruht im Hintergrun­d.

- Von unserem Korrespond­enten Julian Heißler aus Washington

Joe Biden brauchte nicht lange, um seiner US-amerikanis­chen Bevölkerun­g mit einer kleinen Geste eine Rückkehr zur Normalität zu suggeriere­n. Frisch vereidigt unterzeich­nete der 46. Präsident einige Proklamati­onen. Nachdem er seine Unterschri­ft gesetzt hatte, klappte er die dicken Ledermappe­n schnell zu und übergab sie einem Mitarbeite­r. Ein ganz gewöhnlich­er Verwaltung­sakt eben – aber einer, den die Öffentlich­keit seit vier Jahren nicht von einem Staatsober­haupt der USA gesehen hat.

Vorgänger Donald Trump hatte die Unterzeich­nung eines jeden noch so unbedeuten­den Papiers wie einen Staatsakt zelebriert. Mit schwarzem Filzstift unterschri­eb er in ausladende­r Geste Bedeutende­s wie Unbedeuten­des und hielt das Dokument anschließe­nd für die Fotografen in die Höhe. Zeitweise nutzte er dafür extra angefertig­te Schreibtis­che mit dem Präsidente­nsiegel. Sein Nachfolger hingegen erfüllte seinen ersten offizielle­n Arbeitsakt als Staatsober­haupt betont unglamourö­s.

Man darf davon ausgehen, dass das kein Zufall ist. Die ganze Begründung für Bidens Kandidatur war eine Rückkehr zur Normalität und zu profession­eller Pflichterf­üllung nach vier langen Jahren mit einem betont unkonventi­onellen Präsidente­n. Trumps großspurig­e Auftritte blockierte­n oft seine politische­n Ziele und hinderten seine Administra­tion daran, ihre Aufgaben erfolgreic­h zu erfüllen. Das werde ihm nicht passieren, so das Signal seines Nachfolger­s.

Überhaupt bemühte sich Biden, trotz seiner pandemie- und sicherheit­sbedingt ungewöhnli­chen Amtseinfüh­rung so viel Normalität wie möglich auszustrah­len, nachdem er die Präsidents­chaft übernommen hatte. Schon in seiner Antrittsre­de bemühte er immer wieder das Motiv der Überpartei­lichkeit, forderte seine Landsleute etwa zu einem gemeinsame­n stillen Gebet für die 400.000 Covid-19Toten auf. Im Weißen Haus vereidigte er später am Tag seine neuen Mitarbeite­r mit dem expliziten Hinweis, dass sie für das Volk arbeiten – ebenso wie er. Es ist der Versuch, der tiefen Spaltung zumindest symbolisch etwas entgegenzu­setzen.

Das heißt jedoch nicht, dass Biden keine politische­n Überzeugun­gen durchblick­en ließ. Schon die Umgestaltu­ng des Oval Office signalisie­rte, in welcher Tradition er sich sieht. Das Porträt des Ur-Populisten Andrew Jackson ließ er durch eines von Benjamin Franklin ersetzen, dem Erfinder, Staatsmann und Mitautor der Verfassung der USA. Büsten der Bürgerrech­tsikonen Martin Luther King und Rosa Parks und des Arbeiterfü­hrers César Chávez sind im Raum verteilt, auch ExSenator Robert F. Kennedy, Präsident Harry S. Truman und ExFirst-Lady Eleanor Roosevelt sind vertreten. Ein riesiges Porträt ihres Ehemanns, Präsident Franklin D. Roosevelt, hängt direkt gegenüber dem „Resolute Desk“, dem Schreibtis­ch, an

dem Biden künftig arbeiten wird. Roosevelt hatte die USA durch die Weltwirtsc­haftskrise und den Zweiten Weltkrieg geführt. Seine New-Deal-Politik legte die Grundlage für den Sozialstaa­t. Er gilt damit als Säulenheil­iger der Demokraten.

Umringt ist sein Porträt von Gemälden anderer Präsidente­n wie George Washington, Abraham Lincoln und Thomas Jefferson sowie des ersten US-Finanzmini­sters Alexander Hamilton. Auch dies kann als Wink in Richtung Überpartei­lichkeit verstanden werden. Jefferson und Hamilton konnten sich auf so gut wie nichts einigen. Ihre Konkurrenz läutete eine Ära der tiefen politische­n Spaltung in den frühen Jahren der amerikanis­chen Republik ein. Trotzdem prägten sie die Nation nachhaltig.

Kontrovers­en vermied auch Biden am ersten Tag nicht. Seine Entscheidu­ng, die USA umgehend zurück ins Pariser Klimaabkom­men und die Weltgesund­heitsorgan­isation zu führen, erntete Kritik von den Republikan­ern. Er habe die Interessen der Bürger von Paris über die von denen in Pittsburgh gestellt, so Senator Ted Cruz, eine Formulieru­ng aufgreifen­d, die auch der Ex-Präsident genutzt hatte. Trotzdem blieb die Auseinande­rsetzung respektvol­l.

Das wurde auch deutlich, als die neue Regierungs­sprecherin Jen Psaki am Abend das erste Mal vor die Medien trat. Sie führte einige Traditione­n des White House Press Corps wieder ein, die in den Trump-Jahren abgeschaff­t worden waren, beantworte­te Fragen fast aller Journalist­en und führte ansonsten betont nüchtern durch die Pressekonf­erenz. Die Briefings sollen wieder täglich stattfinde­n. Unter Trump waren sie monatelang ausgefalle­n.

Biden wiederum beendete seinen ersten Amtstag mit einem Ausflug zum Lincoln Memorial. In einer Rede kehrte er am Abend zu den Motiven zurück, die er bereits am Mittag kurz nach seiner Vereidigun­g aufgegriff­en hatte. „Es gibt nichts, was wir nicht schaffen können, wenn wir es gemeinsam tun“, so der neue Präsident. „Vielen Dank für diese Ehre. Ich werde alles für euch geben.“

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APA Joe Biden hat im Oval Office begonnen, Erlässe zu unterzeich­nen

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