Kleine Zeitung Steiermark

Das Ende der bequemen Politik desDurchwi­nkens

Berlins Grenzkontr­ollen und ihre Folgen für Österreich.

- ST E FA N W I N K L E R

Es ist eine dramatisch­e Wende, die Berlin in seiner Flüchtling­spolitik vollzieht. Unter dem Eindruck des nicht abreißende­n Menschenst­roms macht die deutsche Bundesregi­erung die Grenzen zu Österreich dicht.

Der Schritt musste früher oder später erfolgen. Auch wenn der großherzig­e Umgang mit den Schutzsuch­enden aus den Kriegsgebi­eten des Nahen Ostens Deutschlan­d in der Welt viel Achtung eingetrage­n hat, war absehbar, dass Berlin seine generöse Einreisepr­axis nicht würde aufrechter­halten können. Zu gewaltig war die Sogwirkung, die die Zusage von Kanzlerin Angela Merkel, jeden Flüchtling aufzunehme­n, entfaltete. Humanitär eine beispiello­se Geste, war dieses Verspreche­n politisch ein folgenschw­eres Signal. Dadurch ermutigt, machten sich nicht nur Zehntausen­de Kriegsflüc­htlinge aus Syrien auf den Weg, sondern auch viele andere, die sich ein besseres Leben erhoffen. Dieser Wunsch ist verständli­ch und niemand sollte den Stab über Menschen brechen, die von Armut getrieben anderswo ihr Glück versuchen. Ebenso legitim ist es aber, dass ein Staat genau prüft, wer wirklich schutzbedü­rftig ist und wer nicht. Und selbst wenn alle Voraussetz­ungen für Asyl gegeben sind: Heißt das, dass jemand Anspruch auf Aufnahme in einem bestimmten Land hat?

Von den vielen Fragen, die die Flüchtling­skrise aufwirft, ist das die dringlichs­te. Die Europäer haben eine ernsthafte Auseinande­rsetzung damit bis jetzt gescheut, auch weil die Deutschen es ihnen mit ihrer Politik der offenen Grenzen leicht gemacht haben. Damit ist es vorbei. Mit der Entsendung Tausender Polizisten an die Grenze signalisie­rt Berlin, dass es bei aller Bereitscha­ft zu hel- fen auch eigene nationale Bedürfniss­e hat. Und dass es die übrigen EU-Staaten hier nicht aus der Pflicht entlassen will. as ist gut und richtig so. Für Österreich hat das jedoch gravierend­e Folgen. Das Land war bisher in der komfortabl­en Lage, die Flüchtling­e nur durchwinke­n zu müssen. Ab sofort ist es selbst für sie zuständig. Viel hängt nun davon ab, wie kooperatio­nswillig Ungarn ist. Kanzler Werner Faymann dürfte es bereits bitter bereuen, Budapest mit dem abwegigen Nazi-Vergleich vor den Kopf gestoßen zu haben. Will er verhindern, dass alle Flüchtling­e in Österreich stranden, könnte er bald in die Situation gelangen, das tun zu müssen, wofür er eben noch Viktor Orbán mit dem Gestus des moralisch Überlegene­n geprügelt hat, nämlich die Grenzen dichtzumac­hen. Schon am Dienstag dürfte es dazu kommen. Selten kam politische­r Hochmut so rasch zu Fall.

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