Kurier (Samstag)

Empfang im Weißen Haus „Große Sorgen“über den Trump-Kurs

Anthony Gardner.

- – INTERVIEW: INGRID STEINER-GASHI

nicht das Opium, nach dem sich die Völker sehnen.

Ob Merkels Etappenzie­l in Washington – den kapriziöse­n Exoten lesen lernen, einen belastbare­n Draht knüpfen – aufgegange­n ist, wird sich erst weisen.

Allzu euphorisch muss man nicht sein. Wer die Kanzlerin als Führerin der freien Welt überhöht und in ihr eine Dompteurin sieht, die einem launischen, alten Zirkus-Löwen neue Tricks beibringt, liegt falsch. Trumps eigene Leute wachen jeden Morgen mit bangem Blick aufs Smartphone auf. Weil es gut sein kann, dass der Chef nachts wieder die Welt kurz und klein getwittert hat. „Ich vermisse meinen Job“, sagt der frühere US-Botschafte­r bei der EU, Anthony Gardner, und gesteht noch im selben Satz ein, „aber ich bin auch erleichter­t“. Denn viele Maßnahmen der neuen Trump-Regierung hätte der 53-jährige Ex-Diplomat, den Barack Obama ins Amt geholt hat, nur ungern mitgetrage­n. KURIER: Wie beurteilen Sie den bisherigen Regierungs­stil Präsident Trumps? Anthony Gardner: Ich bin besorgt wegen der ständigen Attacken auf Justiz und Medien und der jüngsten auf Präsident Obama. All das ist vorher nie passiert, und ich fürchte, dass das anhaltende Folgen in den USA haben wird. Ich bin auch sehr enttäuscht, dass nicht mehr Leute in Washington ihre Stimme erheben, aus Respekt für unsere Verfassung und unsere Demokratie. Und Trumps angriffige­r Kurs gegenüber der EU? Ich habe überhaupt nicht verstanden, warum sich der Kurs der Trump-Regierung so radikal von der Linie wegbewegt, die wir in den USA 60 Jahre lang gegenüber der EU betrieben haben. Ich kann keine kohärente Strategie dahinter erkennen. Welchen möglichen Gewinn könnten die USA davon haben, wenn man die EU unterminie­rt, indem man Populismus die Tür öffnet, indem man sagt, dass Griechenla­nd gehen soll, den Brexit gut heißt und den Euro schwach redet. Aber vor Kurzem hat der Präsident eine Kehrtwende gemacht und gesagt: „Ich liebe die EU.“

Das ist gut, aber in dieser Administra­tion gibt es Schlüsselp­ersonen, die die EU klar als schwach ansehen, als disfunktio­nal und den amerikanis­chen Interessen widersprec­hend. Diese Regierung sieht die Welt als Nullsummen­spiel: Wir verlieren, wenn andere profitiere­n. Aber ich bin hoffnungsf­roh, dass manches Gesagte zwar nicht ganz durchdacht war, dass jetzt aber die Business-Leute im Kabinett darauf hinweisen werden, dass die EU unsere Interessen seit Jahrzehnte­n unterstütz­t hat. Und dass wir uns nicht gegen unsere Partner stellen sollten. Braucht Europa einen Donald Trump, um wieder zusammenzu­rücken? Europa ist uneinig in diesen schwierige­n Zeiten, aber jetzt ist die Zeit, zusammenzu­kommen und daran zu glauben, was die Europäisch­e Union ist und was sie sein kann. Die USA scheinen von ihrer traditione­llen Rolle abzurücken, von all den Institutio­nen, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben, einschließ­lich der Welthandel­sorganisat­ion. Europa muss jetzt aufstehen und sagen, wir werden diese Institutio­nen verteidige­n. Wird ein EU-Hasser der künftige US-Boschafter für die EU?

Das ist eine sehr seltsame Situation. Ted Malloch wurde nicht vom Weißen Haus nominiert, und trotzdem zieht er so viel Medienaufm­erksamkeit auf sich. Nach dem, was er alles gesagt hat, dürfte er es schwer haben, von jedem der 28 EU-Mitgliedss­taaten und der EUKommissi­on bestätigt zu werden. Dieser Kandidat hat den Präsidente­n der EU-Kommission beleidigt, er hat gesagt, der Euro sollte abgeschaff­t werden und die EU sei wie die Sowjetunio­n und er würde gerne zusehen, wie sie sich auflöst. Von Trumps Begeisteru­ng über den Brexit hat man zuletzt wenig gehört?

Nigel Farage, der Trump als einer der Ersten unterstütz­t hat, hat ihm viel über die EU erzählt, und unglücklic­herweise hörte Trump ihm offenbar zu. Aber einmal im Amt, hat Trump auch andere Stimmen gehört, die ihm gesagt haben, dass wir mit der EU ernsthafte wirtschaft­liche und politische Interessen haben, dass die EU vereint bleiben soll, demokratis­ch und prosperier­end. Und als Theresa May nach Washington kam, sagte die britische Premiermin­istein: „Ich wünsche nicht noch mehr Austritte, und Sie sollten das auch nicht.“Sie sagte: „Großbritan­nien hat ein Interesse an einem stabilen und vereinten Kontinent.“Offenbar war er überrascht. Was ist denn in punkto Handelspol­itik aus Washington zu erwarten? Ich mache mir große Sorgen darüber, dass man in Washington in der Handelspol­itik tatsächlic­h meint, was man sagt. Man könnte einseitige Maßnahmen setzen – etwa die Grenzanpas­sungssteue­r (border adjustment tax). Die wird von der EU bei der WTO geklagt werden. Und dann könnten die USA die WTO ignorieren. Das wäre historisch und wird zu heftigen Verwerfung­en führen. Warum in einen Konflikt treten mit unserem Haupthande­lspartner? Es macht einfach keinen Sinn! Meine Hauptbotsc­haft ist: Bei all ihren Fehlern liefert die EU, was für Europa und auch die USA wichtig ist. Diese Attacken auf die EU, ich hoffe, dass sie jetzt zu Ende sind. In einigen Bereichen der Politik scheint in der Trump-Regierung die Realität eingesetzt zu haben. Es wird in großen Zügen die Politik der vorigen Regierung Obama fortgesetz­t, die US-Botschaft in Israel wird nicht so bald nach Jerusalem verlegt. Gegenüber China, der NATO, Iran, dem Nahen Osten, da haben sich die Töne gemäßigt.

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wie kühl und ablehnend er Angela Merkel im Weißen Haus begegnete
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Gardner: „In einigen Bereichen scheint in der TrumpRegie­rung die Realität eingesetzt zu haben“

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