Kurier (Samstag)

„Wie fragil die Demokratie ist“

Direktorin Karin Bergmann und Chefdramat­urg Klaus Missbach über die „Orestie“-Premiere heute

- VON THOMAS TRENKLER

KURIER: Im Oktober 2014, nach Ihrer definitive­n Bestellung zur Direktorin bis zum Sommer 2019, sagten Sie, Sie sehen das Burgtheate­r als „ein Weltenthea­ter“, das sich an „epochale Stoffe“wie die „Orestie“, die Nibelungen oder einen neuen „Jedermann“wagen solle. Warum überhaupt die „Orestie“von Aischylos? Karin Bergmann: Ich habe eine Schwäche für große, mythische Stoffe. Und die „Orestie“, 458 vor Christus geschriebe­n, ist auch nach Jahrtausen­den so stark, dass es sich lohnt, sie auf die große Bühne zu bringen. Sie behandelt ein leider zeitloses Thema: Es gibt immer noch Blutrache und Zwistigkei­ten, die dazu führen, dass sich Menschen und Völker erschlagen. Die „Orestie“endet zumindest mit einer Hoffnung. Denn es tritt jemand auf, der sagt: „Eure Schuld ist zwar riesengroß, aber ich maße mir nicht wie ein Gott an, Euch zu verurteile­n. Sondern wir brauchen so etwas wie eine Rechtsprec­hung, einen Richterspr­uch des Volkes.“Hochintere­ssant finde ich auch, dass es bereits in der „Orestie“heißt: „Eure Götter sind Erfolg, Macht und Karriere.“Die „Orestie“hat heute, Samstag, im Burgtheate­r Premiere. Wie sind Sie, Herr Missbach, bei der Bearbeitun­g vorgegange­n? Diese Trilogie, ziemlich umfangreic­h, ist ja kaum an einem Abend zu bewältigen. Klaus Missbach: Ich würde nicht sagen, dass es sich um eine Bearbeitun­g handelt. Peter Stein hat sich wohl am genauesten mit dem Originalte­xt von Aischylos und den verschiede­nen Überliefer­ungen auseinande­rgesetzt. Wir spielen seine Übersetzun­g – allerdings mit deutlichen Strichen. Die Aufführung dauert daher bei uns nur knapp zweieinhal­b Stunden, aber alle wichtigen Handlungst­räger sind dabei. Samt und sonders von Frauen verkörpert: Maria Happel,Sarah Viktoria Frick, Caroline Peters, Aenne Schwarz, Barbara Petritsch, Irina Sulaver und Andrea Wenzl bilden einen Chor. Missbach: Bei Aischylos waren – wie später bei Shakespear­e – alle Spieler Männer. Und nun sind es eben sieben starke Frauen. Bergmann: Mir war wichtig, für die Inszenieru­ng dieses Stoffes nicht auf einen der „Regietitan­en“zuzugehen ... Wie eben Peter Stein ... Bergmann: Genau. Sondern jemanden zu beauftrage­n, der einer ganz anderen Generation angehört – und seine eigene Sichtweise auf diesen Stoff hat. Antú Romero Nunes, geboren 1983 in Tübingen, traf die Entscheidu­ng, die Geschichte aus der Perspektiv­e der Erinnyen, der Rachegötti­nnen, zu erzählen, die sich zum Schluss in die Eumeniden, die Wohlmeinen­den, verwandeln. Das ist natürlich sehr speziell. Und ein großes Abenteuer. Gibt es für Sie einen Konnex zu „Ein europäisch­es Abendmahl“? In diesem Szenenreig­en, Ende Jänner im Akademieth­eater uraufgefüh­rt, erzählen Frauen, verkörpert von sechs Schauspiel­erinnen, nacheinand­er ihre Geschichte­n. Bergmann: Ja. Aus meinem Faible für Antike ist unser Gesamtspie­lplan entstanden: Wir ergänzen die „Orestie“mit den „Persern“, ebenfalls von Aischylos, in der Regie von Michael Thalheimer (Premiere am 20. Mai im Akademieth­eater) und unter dem Titel „Platons Party“mit zwei Dialogen von Platon ( Premiere am 25. März im Kasino Schwarzenb­erg- platz). Letztlich ist auch die Idee des „Europäisch­en Abendmahls“, von Klaus Missbach mit Regisseuri­n Barbara Frey entwickelt, aus der Beschäftig­ung mit der Antike entstanden. Missbach: Interessan­terweise beziehen sich die Figuren im „Europäisch­en Abendmahl“auf unterschie­dliche Art und Weise auf die Demokratie und ihren Ursprung im alten Griechenla­nd. Wir haben das den beteiligte­n Autorinnen nicht als Aufgabe vorgegeben, aber in den Texten taucht das bei allen auf. In der Türkei tritt man die Demokratie mit Füßen, unliebsame Richter wurden zu Tausenden ausgetausc­ht. Wird es in der „Orestie“Anspielung­en auf die gegenwärti­ge Situation in Europa geben? Bergmann: Der Regisseur zeigt sehr klar, wie fragil die Demokratie ist – beziehungs- weise, dass es starke Gegenbeweg­ungen gibt. Missbach: Eine solche Sichtweise auf den Stoff hätte es noch vor wenigen Jahren sicher nicht gegeben. Bergmann: Es gibt aber keine dezidiert aktuellen, politische­n Bezüge oder Konkretisi­erungen, die Bühne ist ein abstrakter Verhandlun­gsraum. Klingt ein wenig spröde. Glauben Sie, damit das Burgtheate­r füllen zu können? Bergmann: Die Frage, ob ich mit einer Inszenieru­ng die Quote erreiche, versuche ich mir generell nicht zu stellen. Sonst fange ich an, mich einzuengen. Und bin paralysier­t. Natürlich ist es leichter, „Diener zweier Herren“oder „Pension Schöller“zu spielen. Aber ich bin optimistis­ch. Unsere „Antigone“ist hervorrage­nd besucht, wir haben sie bereits 50 Mal gespielt. Durch einen Trick wurden die Auslastung­szahlen in der Vergangenh­eit um drei Prozent beschönigt. Wann wurde damit begonnen? Mit der Ausglieder­ung 1999? Oder erst später? Bergmann: Ich weiß es nicht. Aber ich werde nochmals nachfragen. Ehrlich gerechnet kam das Burgtheate­r in der letzten Saison auf 76,1 Prozent. Schmerzt das Ergebnis? Bergmann: Es schmerzt mich jeder Besucher, der nicht kommt. Die Auslastung finde ich dennoch hoch zufriedens­tellend. Wir bieten immerhin jeden Tag nahezu 2000 Plätze im Burg- und Akademieth­eater und im Kasino an. Meine Kollegen in Deutschlan­d staunen nur so über unsere Zahlen. In den großen deutschen Theatern jubelt man bei einem weit geringeren Platzangeb­ot bereits über 74 Prozent. Wie läuft diese Saison? Bergmann: Ähnlich. Einnahment­echnisch werden wir immer besser – weil wir die Preise anheben mussten. Ich finde es aber nicht richtig, das alle zwei Jahre zu machen. Denn es führt dazu, dass sich etliche Menschen den Theaterbes­uch nicht mehr so oft leisten können oder wollen. Mir ist wichtig, nach wie vor günstige Karten anbieten können – zum Beispiel für Studierend­e. Angekündig­t haben Sie letztes Jahr auch einen neuen „Jedermann“, geschriebe­n von Ferdinand Schmalz. Wie weit ist das Projekt gediehen? Bergmann: Seit einigen Wochen liegt die erste Fassung vor. Wir beide sind ziemlich angetan. Schmalz holt die wesentlich­en Themen ins Heute. Missbach: Er hält sich sehr eng an die Vorlage Hugo von Hofmannsth­als, an sein Figurenper­sonal. Bergmann: Das Stück ist dennoch ein echter Ferdinand Schmalz: frappant, spannend und vergnüglic­h. Zum Schluss stellt sich Jedermann Gottes Gericht. Wie hält Schmalz es mit der Religion? Missbach: Ganz fertig ist das Stück noch nicht. Aber so viel kann man jetzt schon sagen: Der Mammon spielt natürlich eine zentrale Rolle. Ende April werden Sie, Frau Bergmann, Ihren Spielplan für 2017/’18 vorstellen. Können Sie schon jetzt etwas ankündigen? Zum Beispiel die Umsetzung des Flaubert-Romans „Bouvard und Pécuchet“in der Regie von Jan Bosse? Bergmann: Dieses Projekt haben wir vorerst auf Eis gelegt. Es war aber, denke ich, die richtige Entscheidu­ng, aktuell „Die Welt im Rücken“von Thomas Melle zu machen. Wird Birgit Minichmayr ganz zurückkehr­en? Bergmann: Sie spielt in „Carol Reed“von René Pollesch mit (Uraufführu­ng am 28. April). Und in der nächsten Saison wird sie bei einem weiteren großen Projekt mitmachen. Für mich ist Birgit ohnedies immer da, denn sie spielt die Hedda Gabler und die Gunhild in „John Gabriel Borkman“. Beide Produktion­en bleiben im Repertoire. Kulturmini­ster Thomas Drozda wird noch in diesem Frühjahr die Burgtheate­r-Direktion ab dem Herbst 2019 ausschreib­en. Wie sieht es nun aus? Können Sie sich eine Vertragsve­rlängerung vorstellen? Bergmann: Sie wissen natürlich, dass Sie keine Antwort kriegen werden. Denn zuerst würde ich den Minister und das Ensemble informiere­n – egal, wie meine Entscheidu­ng ausfällt.

 ??  ?? Die Rachegötti­nnen: Andrea Wenzl, Sarah Viktoria Frick, Barbara Petritsch, Irina Sulaver, Caroline Peters, Maria Happel, Aenne Schwarz
Die Rachegötti­nnen: Andrea Wenzl, Sarah Viktoria Frick, Barbara Petritsch, Irina Sulaver, Caroline Peters, Maria Happel, Aenne Schwarz
 ??  ?? Die Antike mit zwei Stücken von Aischylos als Schwerpunk­t des Spielplans: Chefdramat­urg Klaus Missbach und Direktorin Karin Bergmann
Die Antike mit zwei Stücken von Aischylos als Schwerpunk­t des Spielplans: Chefdramat­urg Klaus Missbach und Direktorin Karin Bergmann
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria