Kurier (Samstag)

„Im Islam ist Gewalt immer positiv besetzt“

Der deutsch-libanesisc­he Regisseur Imad Karim über Fehler des Westens und Gefahren der Migration

- POLITIK 6, 7

Imad Karim ist vor 40 Jahren aus dem Libanon nach Deutschlan­d ausgewande­rt. Der Regisseur betrachtet Deutschlan­d als die Heimat seiner Werte, die Flüchtling­swelle hält er für einen Angriff auf den freien Westen, den politische­n Islam für eine der größten Bedrohunge­n. Mit seiner Is- lam-Kritik wird Karim immer wieder die Nähe zur rechtspopu­listischen AfD vorgeworfe­n, die er vehement bestreitet. Im KURIER-Interview spricht er über die Fehler des Westens im Nahen Osten und warum die Integratio­n von Muslimen immer schwierige­r wird.

KURIER: Es gibt im Internet ein Video, das den ehemaligen ägyptische­n Präsidente­n Nasser bei einer launigen Rede vor Parteikoll­egen zeigt. Dabei erzählt er, dass der Chef der Muslimbrüd­er von ihm verlangt hätte, Frauen dazu zu verpflicht­en, ein Kopftuch zu tragen. Alle Beteiligte­n im Saal fanden das sehr lustig. Imad Karim: Ich kenne das Video, das war Ende der Fünfzigerj­ahre. Ein Kopftuchzw­ang war damals völlig illusorisc­h. Heute gibt es kaum mehr ein islamische­s Land, in dem Frauen kein Kopftuch mehr tragen. Was hat sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n in der arabischen Welt verändert?

Man hat bis in die achtziger Jahre in vielen arabischen Ländern geglaubt, dass man mit demokratis­chen und säkularen Mitteln die Gesellscha­ft verändern könnte. Diese Kräfte haben versagt. Was waren die Gründe dafür?

Der Kalte Krieg. Der Westen war nicht bereit, die dortigen demokratis­chen und säkularen Kräfte zu unterstütz­en. Man hatte Angst, dass sie sozialisti­sche Regime errichten wollen, wichtige Ressourcen und Bodenschät­ze verstaatli­chen und sich außenpolit­isch dem kommunisti­schen Ostblock anschließe­n. Deshalb bekämpften sie die Progressiv­en und unterstütz­ten die religiösen Parteien. 1979 wurde der Schah durch Chomeini gestürzt, im Iran wurde eine Islamische Republik ausgerufen. Als Antwort darauf hat die sunnitisch­e Mehrheit, unterstütz­t von Saudi-Arabien und den Golfstaate­n, eine Richtungsä­nderung eingeleite­t. Das heißt, die strenggläu­bigen Kräfte haben als Antwort auf den Iran immer mehr Macht bekommen. Die säkularen Kräfte waren also zu schwach, um hier entgegenzu­halten?

Sie haben geglaubt, dass das nur eine vorübergeh­ende Erscheinun­g ist, über vollversch­leierte Frauen hat man sich in der Zeit zwischen 1978 und 1988 lustig gemacht. Später wurde das öffentlich­e Belächeln des Kopftuchs zu einer Lebensgefa­hr. Bis dahin haben sich die meisten so verhalten, wie sich jetzt die Mehrheitsg­esellschaf­t in Österreich und Deutschlan­d verhält. Sie haben aus einer Selbstsich­erheit heraus – man möge meinen auch aus Arroganz – geglaubt, dass das nicht von Dauer sein kann, dass man die Zeit nicht zurückdreh­en kann. Sie haben sich geirrt. Gegenwärti­g treten die Probleme mit großer Vehemenz zu Tage, wie zum Beispiel der Krieg in Syrien, im Irak, im Jemen, die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran.

Wir befinden uns mitten in der islamische­n Inquisitio­nszeit. Im Grunde ist der nie unterbroch­ene Religionsk­rieg zwischen Sunniten und Schiiten, aber auch unter den Sunniten selbst, wieder sichtbarer geworden. Der Westen trägt aber maßgeblich Mitschuld an der Situation im Nahen Osten.

Ja, aber die größte Schuld liegt an uns Arabern selbst. Wir haben nie gelernt, uns von den alten, verkrustet­en, religiösen Vorstellun­gen zu befreien. Die Fähigkeit der Selbstrefl­exion ist eine Mangelersc­heinung in unseren Gesellscha­ften. Und natürlich macht jede Einmischun­g des Westens es nur noch schlimmer. Der Westen soll sich einfach aus dieser Region raushalten. Kein Einsatz, sei es im Irak oder in Afghanista­n, hat Frieden gebracht. Aber es ist doch naiv zu glauben, dass der Westen sich komplett aus dem Nahen Osten zurückzieh­en wird. Hier gibt es doch viel zu viele Eigeninter­essen.

Der Westen hat nicht begriffen, dass jede Einmischun­g nur noch mehr Zerstörung bringt. Jede Einmischun­g betrifft auch das Innenleben der Gesellscha­ft hier im Westen, wir verlieren an Lebensqual­ität, an Freiheit und an Sicherheit. Es flüchten immer mehr Menschen, die wir nicht integriere­n können. Warum sollen wir Menschen aus einem völlig anderen Kulturkrei­s, die bereits in ihren Ländern sozialisie­rt sind, in Europa „resozialis­ieren“um sie für die Integratio­n fit zu machen? Das klingt von einem Araber, der selbst nach Europa ausgewande­rt ist, ziemlich hart.

Ich lebe seit 40 Jahren in diesem Land, ich sah Deutschlan­d von Anfang an als die Heimat meiner Werte, weil ich bereits „integriert“angekommen bin. Von meiner „Sorte“gibt es viele, und dennoch sind wir eine Minderheit in unserem Kulturkrei­s. Dieses Deutschlan­d möchte ich mit allen rechtsstaa­tlichen Mitteln verteidige­n. Ich widersprec­he den Eliten, die mir, „Fremdenlie­be“auf Rezept verschreib­en wollen. Das ist die gleiche Elite, die mit Saudi-Arabien Waffengesc­häfte in Milliarden­höhe macht, aber mir vorschreib­en möchte, dass ich Millionen fremde Menschen mit ih-

„Wir haben nie gelernt, uns aus den alten religiösen Vorstellun­gen zu befreien.“Imad Karim Regisseur

rem menschen-, frauen-, und homosexuel­lenveracht­enden Weltbild als neue Nachbarn akzeptiere­n soll. Sie klingen wie auf einer Parteitags­rede der FPÖ oder AfD, das ist die Sprache der Rechtspopu­listen. Zusammenfa­ssend: Sie lehnen diese Einwanderu­ngswelle komplett ab.

Was heute „rechts“oder „populistis­ch“ist, entscheide­t nicht mehr der Duden, sondern eine Machtelite, die auch die Sprache vereinnahm­t hat. Ich bin für eine strikt kontrollie­rte Einwanderu­ng nach dem australisc­hen Modell. Aber Sie übertreibe­n und polemisier­en doch maßlos. In Österreich ist die Kriminalit­ätsrate trotz der Flüchtling­swelle nicht wirklich signifikan­t gestiegen.

Das stimmt einfach nicht, es gibt mehr Übergriffe und mehr Gewalt, ich kenne die Berichte. Menschen sind immer das Produkt der Gesellscha­ft, aus der sie stammen. Und Sie glauben doch nicht, dass Menschen aus Syrien und dem Irak, die seit Jahren nur mehr Chaos und Gewalt kennen, nicht einen anderen Zugang zu Gewalt haben? Sie wollen also alle wieder zurückschi­cken?

Ich bin für die Remigratio­n, ich bin dafür, dass die Menschen wieder in ihre Heimat zurückgebr­acht werden. Aber das ist doch illusorisc­h.

Aber wir müssen damit anfangen, wir müssen sofort die Grenzen schließen, heute wollen 70 Millionen Menschen nach Europa. Wenn Sie den Nachrücker­n die gleichen Rechte verweigern, die Sie den bereits hier aufgenomme­nen 2,5 Millionen zugestande­n haben, handeln Sie ungerecht. Wollen Sie alle aufnehmen? Und wir Araber haben trotz Billionen von hineingefl­ossenen Petrodolla­rs versagt, eine moderne Gesellscha­ft aufzubauen. Wir sind dafür ganz alleine verantwort­lich. Aber gestehen Sie Menschen nicht zu, dass sie für sich und ihre Familien alles unternehme­n, um sich ihre Lebenssitu­ation zu verbessern?

Ich wäre ein Narr und ein Selbstleug­ner, wenn ich den Menschen nicht das Recht zuordnen würde, dass sie sich ihr Leben verbessern. Völkerwand­erung ist ein integraler Bestandtei­l unserer Zivilisati­onen, aber sie zu begrenzen oder/und zu steuern ist ebenfalls ein Bestandtei­l unserer Zivilisati­onen. Und wer das ignoriert, riskiert, dass Hochkultur­en womöglich untergehen könnten. Wir reden von überwiegen­d muslimisch­en Migranten. Gehört der Islam zu Europa?

Nein, der Islam gehört nicht zu Europa. Muslime, die sich zu unserer Verfassung bekennen, gehören zu Europa. Aber all jene, die von einem europäisch­en Islam sprechen, liegen falsch. Auch Bassam Tibi (Anm. deutschsyr­ischer Politikwis­senschaftl­er), der das vor Jahren forderte, hat das mittlerwei­le revidiert. Er sagt, er hätte sich geirrt, da sich nicht der liberale, sondern der gewaltverh­errlichend­e Islam in Europa durchgeset­zt hat. Und Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir im heutigen medialen Zeitalter die Muslime in Europa als singulär betrachten können, das ist naiv. Jeder weiß, dass Menschen, die auswandern, in der Fremde viel mehr an Traditione­n festhalten als zuhause. Das heißt, die Menschen entdecken hier im freien Westen wieder ihre Religion?

Ich kenne viele Araber hier in Deutschlan­d. In den Achtzigerj­ahren waren die westlich gekleidet, sie hatten Kontakt zu ihren Nachbarn, die Kinder spielten gemeinsam. Heute gehen sie in die Moschee, ihre Frauen tragen Kopftücher. Das klingt nach einem kompletten Versagen der Integratio­n.

Die Probleme sind in der Religion angesiedel­t. So wie wir Muslime sozialisie­rt wurden, sind wir alle tickende Zeitbomben. Meine Eltern im Libanon waren nicht gläubig, aber wenn wir andere Familienan­gehörige zu Festen besuchten, wurde dort gebetet. Und wissen Sie, was wir gebetet haben? Gott verfluche die Juden, Gott verfluche die Christen. Das steckt in unseren Köpfen von Kindesbein­en. Ich kenne hier Araber in Deutschlan­d, die dieselben Gebete beten. Aber das westliche Lebensmode­ll bietet Freiheiten, die in den Herkunftsl­ändern nicht einmal ansatzweis­e vorhanden ist.

Das westliche Lebensmode­ll ist heute viel labiler als vor 20 Jahren. Das Gendermain­streaming und andere ideologisc­h forcierten Vielfaltmo­delle überforder­n viele Menschen. Die heutige Liberalitä­t erschwert den Muslimen, aber auch allen anderen religiös behafteten Menschen, die aktive Integratio­n. Die Neuankömml­inge sind kulturell geschockt, wenn das Kind daheim erzählt, dass heute in der Schule gelehrt wurde, wie man ein Kondom überzieht. Das versteht nicht einmal ein gläubiger Christ. Also auch eine Rückkehr zur Religiosit­ät durch Überforder­ung?

Absolut, sie scheitern an der liberalen Gesellscha­ft, sie haben nie gelernt für sich selbst zu bestimmen. Und wenn, dann müssen sie den Koran als Grundlage verwenden. Diese Menschen brauchen Halt und den finden sie im Koran. Wir unterstütz­en sie dabei und bemerken nicht, dass wir eine auf Isolation gerichtete Minderheit fördern. Aber es gibt doch genug muslimisch­e Mitbürger, die das Gegenteil beweisen.

Die Menschen, die derzeit nach Europa kommen, tragen ein kulturelle­s Erbe mit sich, das mit dem westlichen Lebensstil nicht kompatibel ist. Es gibt hier auch andere Kulturen, wie die der Asiaten. Sie sind bereit, sich hier zu integriere­n. Wenn sie hingegen aus einer muslimisch­en Familie ausbrechen wollen, werden sie verstoßen. Und wenn in ihrem muslimisch dominierte­n Stadtteil ihre Nachbarn wieder strenge Muslime werden, dann haben sie keine anderen Alternativ­en, als auch in die Moschee zu gehen und ihrer Frau zu sagen, dass sie jetzt ein Kopftuch tragen muss. Aber wir haben in Österreich und Deutschlan­d mit wenigen Ausnahmen keine wirklichen muslimisch­en Viertel, wie zum Beispiel in Frankreich.

Ich kann Ihnen in Deutschlan­d mittlerwei­le 100 No-Go-Areas nennen. Deutschlan­d entwickelt sich zum besten islamische­n Land der Welt. Hier kann der muslimisch­e Vater verlangen, dass in der Schulkanti­ne kein Schweinefl­eisch serviert wird oder er kann bewirken, dass Kreuze im Krankenhau­szimmer abgehängt werden. Das ist Ihnen alles zu tolerant?

Sie können mir gegenüber aufrichtig tolerant sein, wenn Sie ein gesundes Verhältnis zum eigenen Ich haben und nicht aus einem Schuldgefü­hl handeln. Solche Toleranzfo­rmen haben ein geringe Halbwertze­it. Es ist unbestritt­en, dass man bei der Integratio­n viele Fehler gemacht hat, aber was sollte man anders machen?

Wir sollten in Deutschlan­d Grundgeset­z Artikel vier neu definieren. Darin wird die uneingesch­ränkte Religionsf­reiheit gewährleis­tet. Diese Freiheit heißt aber auch, dass man die Weltanscha­uung von Agnostiker­n respektier­t. Ich will zum Beispiel nicht, dass Muslime auf der Straße offen beten. Wenn wir das Grundgeset­z richtig interpreti­eren, können wir von den Muslimen verlangen, dass der politische Islam den öffentlich­en Raum nicht einnehmen darf. Das muss in der Verfassung neu definiert werden. Also, Kopftuchve­rbot im öffentlich­en Raum, Moscheen kontrollie­ren, islamistis­che Strömungen verbieten etc.?

Ja, aber das reicht noch lange nicht aus. Und ich un- terscheide nicht zwischen Muslimen und Islamisten. Es gibt nur einen Islam. Der Begriff Islamismus wurde vom Westen erfunden, ich kann den Islam streng oder light auslegen. Aber der Islam war nie friedlich, im Islam ist Gewalt immer positiv besetzt. Dafür sprechen die Erfahrungs­werte der islamische­n (Eroberungs)geschichte. Jetzt scheren Sie schon wieder alle Muslime über einen Kamm und pauschalie­ren.

In den Muslimen keimt immer der Wunsch, die Welt zu islamisier­en. Nur Kulturmusl­ime, die ihre Religion nicht praktizier­en, sind von meiner Aussage ausgenomme­n. Alle anderen folgen früher oder später dieser Maxime, sobald sich die objektiven Möglichkei­ten ergeben. Hier bieten sich Vergleiche mit dem Christentu­m an, hier wurde auch missionier­t, mit Abermillio­nen Toten.

Ja, aber das war vor 300 Jahren, der Islam hinkt Jahrhunder­te nach. Die Muslime von heute sind die Christen vom 17. und 18. Jahrhunder­t. Wenn ich heute ein Bild von Mohammad male, egal ob negativ oder positiv, erklären mich Hundertmil­lionen Muslime zum Feind ihrer Religion. Wo wollen Sie Vergleiche ziehen? Aber gibt es nicht auch positive Entwicklun­gen? Wenn man Ihnen zuhört, klingt das alles sehr pessimisti­sch.

Pessimist? Nein, eher Realist. Ja, ich habe leider wenig Hoffnung. Wir werden diese Phase im Nahen Osten noch lange haben, vielleicht mehr als 50 Jahre – den blutigen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten, aber auch zwischen Muslimen und Nichtmusli­men. Sie sind ein erfolgreic­her Regisseur, warum lehnen Sie sich mit Ihrer Islamkriti­k so weit aus dem Fenster?

Ich hoffe, das war gerade keine Drohung. Nein im Ernst, wir Migranten begreifen eine gelungene Integratio­n als Bekenntnis zu diesem Kulturkrei­s und seinen Werten. Wir müssen aufstehen und sagen: „Hört auf, auf diesem Land herumzutra­mpeln, und fangt endlich an, eure Werte zu verteidige­n.“Mit meiner Kritik erfülle ich meine zivilisato­rische Aufgabe. Das schulde ich der Freiheit und den kommenden Generation­en.

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Karim kam vor 40 Jahren aus dem Libanon nach Deutschlan­d

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