Kurier (Samstag)

Jedem Jahrzehnt seine Torte

Von der Nachkriegs­zeit bis heute – die Lebenswelt spiegelt sich in den Backkünste­n

- VON INGRID TEUFL

Pure Butter wird schaumig aufgeschla­gen, dazu kommt löslicher Kaffee und Staubzucke­r: Eveline Wild kann sich noch gut erinnern, wie ihre Oma die Buttercrem­e für die Mokkacreme­torte zubereitet­e. „Die Creme hat dann immer geknirscht zwischen den Zähnen, weil sich der Zucker nicht aufgelöst hat“, erinnert sich die 37-jährige Konditor-Weltmeiste­rin und Fernsehköc­hin.

Heute enthalten Tortencrem­es wesentlich weniger Fett – der Zeitgeist macht vor der Backwelt nicht halt. Das gibt Gelegenhei­t zu einer kulinarisc­hen Zeitreise: „Im Rückblick sieht man manche Entwicklun­gen viel klarer. Viele Trends beziehen sich aufeinande­r, es gibt Wiederholu­ngen und Wellenbewe­gungen“, erklärt die Münchener Kochbuchau­torin Tanja Dusy. „Jedes Jahrzehnt ist durch eine Lebenshalt­ung geprägt.“

So gesehen ist die Buttercrem­e von Wilds Oma typisch für die Nachkriegs­zeit. Fett ist nicht nur Geschmacks­träger, sondern auch nahrhaft. Zu besonderen Anlässen gab’s daher in vielen Familien Schwarzwäl­der Kirsch-, Mokkatorte oder Streuselku­chen. Auch heute noch: „Solche Rezepte tauchen durch die Jahrzehnte in Kochbücher­n und -heften auf. Das Prinzip blieb immer gleich.“

Klassiker werde es immer geben, glaubt Wild. „Aber man muss sie verändern dürfen.“Backen sei keine Religion, es lebe von Kreativitä­t und Ideen. „Welche Nüsse man lieber verwendet, ist nicht so wichtig. Jedes Rezept hat Vor- und Nachteile, schmecken muss es.“Sie selbst kreiert gern Süßes, das „traditione­ll angehaucht ist, aber neu interpreti­ert wird“.

In den 1970er-Jahren wurden viele Rezepte einfacher, weil oft die Zeit für aufwendige­s Backen fehlte – Stichwort Malakoffto­rte, die gar nicht gebacken werden musste. Backtrends der 1980er-Jahre wie Karottento­rte oder Zucchiniku­chen waren dafür eher dem steigenden Gesundheit­sbewusstse­in geschuldet, vermutet Dusy. Dann wurde die Welt offener und die Kuchen exotischer. Wer in den 1990ern Neues ausprobier­en wollte, mischte Kokosmilch, Mango oder Chili unter den Teig.

Kleinteili­g, komplex

Und im neuen Jahrtausen­d? Die süßen US-Importe Muffin, Cupcake und Brownie halten sich nun schon seit Jahren hartnäckig. Daneben wechseln sich oft gleich mehrere Trends immer schneller ab. „Die Dinge sind zuletzt individuel­ler, kleinteili­ger und komplexer geworden“, sagt Dusy. „Es gibt für jede Zielgruppe Angebote.“Egal, ob traditione­ll, vegan, gesund und ohne Gluten oder kunstvolle Motivtorte. Wild: „Es ist bunter geworden. Viele Konditor-Utensilien sind heute für die breite Masse erhältlich.“Im Moment begeistern übrigens Rainbow-Kuchen oder Piñata-Torten, aus der beim Aufschneid­en bunte Schokolins­en kullern, die Back-Communitie­s. Und da ist in manchen Rezepten wieder die gute, alte Buttercrem­e gefragt.

Tanja Dusy, BackZeit Reise. Trends & Klassiker aus sieben Jahrzehnte­n, GUVerlag, 30,90 €

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1990er und Kokoscreme­torte: Kokosmilch brachte als Trend-Lebensmitt­el des Jahrzehnts Exotik
 ??  ?? 2010er und Rainbow Cake: Bunt und individuel­l ist das neue Jahrtausen­d. Man bäckt sich seinen Kuchen, wie es einem gerade gefällt
2010er und Rainbow Cake: Bunt und individuel­l ist das neue Jahrtausen­d. Man bäckt sich seinen Kuchen, wie es einem gerade gefällt
 ??  ?? 1950er und Schwarzwäl­der Kirschtort­e: Sie steht bis heute ganz oben auf der Beliebthei­tsskala
1950er und Schwarzwäl­der Kirschtort­e: Sie steht bis heute ganz oben auf der Beliebthei­tsskala
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Rezept
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Buchtipp:
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