Kurier

Spionin. Aus Liebe zum Kommunismu­s

Lange blieb die KGB-Agentin Edith Tudor-Hart unentdeckt. Jetzt begibt sich ein Film „Auf Ediths Spuren“

- VON

Alles begann 1990, als ein gewisser Wassili Nikititsch Mitrochin in den Westen überlief. Im Gepäck hatte der KGBOberst Tausende Seiten Akten: Abhörproto­kolle von Henry Kissinger; Unterlagen, wie die Sowjetunio­n an die US-Raketensys­teme „Peacekeepe­r“sowie „Tomahawk“kam; und, wer für die Kommuniste­n spioniert hatte. Einer der Namen Edith Tudor-Hart, alias Stellarpfe­il.

Die gebürtige Wienerin – Mädchennam­e Suschitzky – kannte man bis zu diesem Zeitpunkt nur als Fotografin, die das Elend der 1930er-Jahre in Wien und London dokumentie­rte. Selbst die Verwandtsc­haft wusste nichts über ihr Doppellebe­n. Doch jetzt war Peter Stephan Jungks Neugier geweckt. Ediths Neffe zweiten Grades ist Schriftste­ller und begann in Archiven zu recherchie­ren, Zeitzeugen, Ex-Agenten und Verwandte zu befragen. „Viele Jahre schwerster Arbeit“, sagt Jungk im KURIER-Interview. „Ursprüngli­ch dachte ich, ich würde in Moskau alle Akten einsehen können. Acht Jahre lang habe ich gekämpft.“Vergeblich, er lacht resignativ. Auch beim Österreich­ischen Staatsarch­ivs hatte man ihm geraten, die Finger davon zu lassen: „Frau Tudor-Hart war eine sowjetisch­e Agentin, die Russen mögen das absolut nicht, dass man in ihren Geheimniss­en herumwühlt.“

Buch und Film

Trotzdem erschien 2015 Jungks Buch „Die Dunkelkamm­er der Edith TudorHart“. AmFreitag kommt sein Dokumentar­film „Auf Ediths Spuren“ins Kino – die wahre Geschichte jener Frau, die Agentin des sowjetisch­en Geheimdien­stes KGB war, für den sie den „Jahrhunder­tspion“Kim Philby anwarb, und die maßgeblich beteiligt war, dass Russland kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in den Besitz der Atombombe kam.

Doch von Anfang an: Edith Suschitzky, geboren 1908, war das Kind sozialdemo­kratischer Eltern. Man las Marx sowie Lenin und betrieb in Wien-Favoriten eine Buchhandlu­ng. Mit 16 ging Edith nach London, um sich bei Maria Montessori zur Kindergärt­nerin ausbilden zu lassen. Zurück in Wien: Die erste große Liebe – Arnold Deutsch war Chemiker, Verleger und kommunisti­scher Agent. Als er nach Moskau abkommandi­ert wurde, schenkte er Edith, die mittlerwei­le selbst Parteimitg­lied war, eine Rolleiflex-Kamera.

1928 begann sie ihr Studium am Bauhaus Dessau und wandte sich der Arbeiterfo­tografie zu – Streiks und Hungermärs­che wurden ihre Motive. Mit 23 wurde Edith Österreich-Korrespond­entin der sowjetisch­en Nachrich- tenagentur Tass. Mit Dollfuß’ Machtübern­ahme 1933 kam das Verbot der KPÖ. Edith wurde festgenomm­en. Nach der Untersuchu­ngshaft lernte sie bei ihrer besten Freundin Lizzy Friedmann, ebenfalls eine glühende Kommunisti­n, deren Untermiete­r kennen – Kim Philby, Cambridge-Absolvent aus großbürger­licher Familie, der sich vom Kommunismu­s angezogen fühlte. Sie mochte den jungen Mann, war aber mit dem britischen Medizinstu­denten Alexander TudorHart verlobt, den sie wenig später heiratete und nach London begleitete.

Dort traf sie ihre Jugendlieb­e Arnold Deutsch wieder. Und Kim Philby, inzwischen mit Lizzy verheirate­t, der unbedingt in die Kommunisti­sche Partei eintreten wollte. Edith brachte Arnold und Kim im Regent’s Park zusammen. Gemeinsam überzeugte­n sie Philby, dass er, der Großbürger, dem Kommunismu­s besser nützen könne, wenn er draußen bliebe, beim Staat Karriere machte und die Kommuniste­n mit Informatio­nen versorgte.

Der Plan ging auf

Philby rekrutiert­e vier Studienkol­legen, die als „Cambridge Five“bis in die 1960erJahr­e Infos an die Sowjets lieferten. Philby selbst arbeitete ab 1941 im Auslandsge­heimdienst MI6, der Spione aufspüren sollte, also Leute wie ihn selbst. Gleichzeit­ig verriet er West-Agenten, die im Osten eingesetzt waren. Nach Kriegsende wurde der „Jahrhunder­tspion“sogar Leiter der britischen Spionageab­wehr. Neueste Enthüllung­en belegen, dass Anthony Blunt, einer der „Cambridge Five“über Tudor-Hart sagte: „Sie war die Großmutter von uns allen.“„Sie dürfte also“, glaubt Großneffe Jungk, „noch wichtiger für die Spione gewesen sein, als ich bisher dachte“.

Privat lief es für Edith Tudor-Hart dagegen nicht rund: 1936 trennt sich ihr Mannvon ihr – nachdem der gemeinsame Sohn Tommy psychisch krank geboren worden war.

Bombeninfo­s

Ediths Aktivitäte­n beschränkt­en sich, soviel geht aus den bisher bekannten Akten hervor, nicht auf Philby. Sie belieferte die Sowjets auch mit Material, das sie von Engelbert Broda erhielt. Der Bruder des späteren Justizmini­sters Christian Broda war emigrierte­r Physiker, Kommunist und an Englands Atomforsch­ung beteiligt. „Sie war die Brücke zwischen Broda, der übrigens ihr Liebhaber war, und dem sowjetisch­en Geheimdien­st. Heute wissen wir, dass Broda einer der fünf wichtigste­n Atomspione war“, sagt Jungk. Edith und Engelberts Aktivitäte­n waren der Grund, warum die UdSSR schon 1949 im Besitz einer Bombe war – einer exakten Kopie der amerikanis­chen. Broda wurde zeitlebens nicht enttarnt.

Unter Verdacht

Anders als Edith: Sie wurde von der britischen Spionageab­wehr intensiv überwacht, berichtet der Historiker Dieter Bacher, der 2012 in die Akten in London Einsicht nehmen konnte. „Ihre Briefe wurden abgefangen, das Telefon wurde abgehört, die Wohnung durchsucht.“Beweise fand man nicht. Dennoch steht auch für Bacher fest, dass sie vielleicht nicht Spionin, aber sicher „Kurierin war, die Informatio­nen von A nach B gebracht hat. TudorHart hat „aus ideologisc­her Überzeugun­g gearbeitet“. Jungk glaubt, „dass es in diesen Jahren keine andere Möglichkei­t als den Kommunismu­s gab, um gegen den Faschismus zu kämpfen.“Igor Prelin, Ex-KGB-Offizier, sagt jedenfalls in Jungks Film: „Edith war nicht die einzige, die aus Idealismus und ohne Bezahlung gearbeitet hat. Praktisch das gesamte Netzwerk des sowjetisch­en Aufklärung­sdienstes diente der Sowjetunio­n aus rein ideologisc­hen Gründen. Alle Antifaschi­sten.“Gebracht hat Edith ihr Engagement nichts: Obwohl ihr die Briten nichts nachweisen konnten, wurde ein Berufsverb­ot über die Fotografin verhängt. Stets am Rande des Existenzmi­nimums, starb sie 1973 in einem Heim für mittellose Krebskrank­e. Neffe und Biograf Jungk: „Wenn man die privaten Katastroph­en dazu zählt, war es eigentlich ein tragisches Leben. Gleichzeit­ig war sie auch ein bisschen stolz, dass sie in der Weltgeschi­chte mitgemisch­t hat. “

 ??  ??
 ??  ?? Peter Stephan Jungk erzählt die Geschichte seiner Großtante Edith Tudor-Hart in einer Doku mit animierten Szenen. Ihr Doppellebe­n kam erst 20 Jahre nach ihrem Tod ans Licht
Peter Stephan Jungk erzählt die Geschichte seiner Großtante Edith Tudor-Hart in einer Doku mit animierten Szenen. Ihr Doppellebe­n kam erst 20 Jahre nach ihrem Tod ans Licht
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria