Um drei Themen entschieden“
Wer startet nach Kurz vom zweiten und dritten Platz ins Rennen?
Das ist schwer einzuschätzen. Beim Zuwanderungsthema hat HC Strache eine extrem hohe Glaubwürdigkeit. Wenn er die Mitbewerber als Kopiermaschine bezeichnet, klingt das im ersten Moment nach „Bitte, ich hab’s zuerst gesagt“. Doch es ist eine Tatsache, dass die Freiheitlichen bei diesem Thema ein Alleinstellungsmerkmal haben, von dem sie zehren. Klingt nach Strache als derzeitige Nummer 2. Wird es Kern schaffen – wie offenbar geplant –, mit sozialen Themen verlorenes Terrain aufzuholen?
Die SPÖ hat hier eine historische Kernkompetenz und Christian Kern versucht, die Themen in diese Richtung zu lenken wie man am Beispiel von Beschäftigungsbonus und Mindestlohn sieht. Der „Vollholler“-Sager war wohl so auch gedacht, dass Kern den Fokus auf das Zuwanderungsthema verringern möchte. Die Glaubwürdigkeitswerte sind derzeit aber zwischen Kern, Kurz und Strache bei ihren Hauptthemen fast gleichwertig verteilt. Wir reden immer von Zweikampf, aber wir haben die interessante, noch nie dagewesene Situation eines Dreikampfes. Für alle andere Parteien bleibt da nur wenig Spielraum. Der Wiedereinzug des Team Stronach unter welchem Namen auch immer wäre ein Wunder. Werden die Neos den Wiedereinzug schaffen?
Für Neos-Wähler ist Kurz sicher attraktiv. Was Matthias Strolz bei der Neos-Gründung bewerkstelligen wollte, nämlich eine Bewegung aus der ÖVP heraus, ist Kurz’ Liste ja nicht unähnlich. Ich sehe wenig Gründe, warum die Neos, die laut jüngster KURIER-OGMUmfrage bei vier Prozent liegen, zulegen sollen. Es sei denn, Irmgard Griss tritt für sie an. Die Mitbewerber werden aber in jedem Fall sagen, eine Stimme für die Neos ist eine verlorene Stimme. Ist Irmgard Griss der letzte Rettungsanker für die Neos?
Griss war lange Zeit, um das Bild zu gebrauchen, eine recht heiß gehandelte Aktie, die nun abgekühlt zu sein scheint. Aber sie hat einen Markennamen und könnte jedenfalls einen Effekt auslösen. Werden die Grünen noch einmal ein knapp zweistelliges Prozentergebnis schaffen?
Die Grünen haben eine historische Chance, sich auf der linken Seite des Spektrums auszubreiten. Alle rücken nach rechts. Kern würde sagen, die SPÖ rückt mehr zur Mitte, aber die Richtung ist auch hier nach rechts, und links wird immer mehr Platz frei. Die Grünen sind dabei, diese Chance zu verpassen. Mit Ulrike Lunacek haben sie nach Glawischnigs Rücktritt kein Zeichen der Erneuerung gesetzt. Parteiobfrau Ingrid Felipe kann das Potenzial links der SPÖ allein deshalb nicht ausschöpfen, weil sie in Tirol in einer Koalition mit der ÖVP ist. Peter Pilz fordert, die Grünen müssten linkspopulistischer werden. Ein mögliches Erfolgsrezept?
Mit der Forderung hat er Recht. Es reicht für die Grünen nicht mehr, für Europa einzutreten. Eine Zusammenarbeit mit der FPÖ auszuschließen ist eine alte, im grünen Klientel wirksame Position, die einige enttäuschte Linke ansprechen könnte. Wo ist das Neue? Wo ist die Kampfansage gegen eine nach rechts rückende SPÖ? Wo ist das Angebot für heimatlose Linkswähler? Die Grünen bräuchten einen Gregor Gysi oder eine Sahra Wagenknecht. Aber diese Personen sehe ich bei den Grünen nicht. Könnte das Peter Pilz sein?
Theoretisch ja, aber Pilz ist parteiintern zu umstritten. Bei den Wählern wäre er sicher jemand, der eine linkspopulistische Position am glaubhaftesten vertreten könnte. Wovor sich Christian Kern am meisten fürchten müsste, wäre genau das: Dass links der SPÖ die Grünen an Terrain gewinnen. Nutzen die endlich beschlossene Bildungsreform und der Beschäftigungsbonus Rot und Schwarz last minute bei den Wählern?
Ich glaube, es mildert den übergroßen Frust. Das Niveau des Zorns über die vielen gegenseitigen Blockaden wird etwas ge- dämpft, aber das ist kein Indikator für eine erneute Auflage von Rot-Schwarz oder Schwarz-Rot. Wird der Dreikampf Ihrer Meinung nach der Wahlbeteiligung im Oktober ab- oder zuträglich sein?
Im internationalen Vergleich haben wir in Österreich eine geradezu bewundernswert hohe Wahlbeteiligung. Angesichts dessen und des spannenden Dreikampfs ist davon auszugehen, dass die Wahlbeteiligung besonders hoch sein wird. Hinzu kommt die zunehmende Emotionalisierung, wie man am „Vollholler“-Sager bereits sehen kann und die noch nie dagewesene Zahl an TV-Debatten. Könnte die davor stattfindende Bundestagswahl in Deutschland Auswirkungen auf das österreichische Ergebnis haben?
Das glaube ich kaum. Der Hype um Sebastian Kurz ist sicherlich substanziell und unterfüttert und nicht mit dem Martin Schulz-Hype in Deutschland vergleichbar, der sich als Luftblase entpuppt hat. Aber fix ist nichts. Vieles ist möglich, sollten sich die Grünen links positionieren, aber da müssen sie ganz rasch damit anfangen. Wenn eine Diskussion um die Neos beginnt, ob sie imParlament bleiben oder nicht, wird das die Position der ÖVP stärken als auch die der Grünen. Dann könnte Kern endgültig als Nummer 3 zwischen allen Stühlen landen?
Das ist aus heutiger Sicht Spekulation. Denn bei dieser Wahl gilt mehr denn je das Motto , das jeder Lotto-Spieler kennt, aber nur ganz wenige tatsächlich erleben: Alles ist möglich. Lesen Sie in der Montag-Ausgabe den zweiten Teil der neuen KURIER-Serie: „Baustelle Bildung“– so kann das kaputte Schulsystem wieder repariert werden.