Kurier

Die Zukunft der Liebe

Frei und gebunden. Wie viel Platz hat die Liebe in einer technisier­ten Welt? „Ohne Liebe stirbt die Menschheit aus“, sagt der Autor Matthias Horx und zeichnet ein Bild, wie Beziehunge­n abseits von Standardmo­dellen für ein Leben lang glücklich gelingen kön

- VON LAILA DANESHMAND­I

Liebe ist in ihrem Wesen auf Veränderun­g aus – doch die Liebe selbst verändert sich in ihrem Wesen nicht. Während sich die Vorstellun­gen von Partnersch­aft und Familie wandeln, während sich die Welt immer schneller dreht und die Menschen in die Individual­isierung drängt, hat sich der Zukunftsde­nker Matthias Horx in seinem Buch „Future Love“mit der Zukunft von Liebe, Sex und Familie befasst.

„Das große Problem ist, dass wir den Freiheitsc­harakter der Liebe nicht wahrnehmen wollen“, erklärt Horx im Gespräch mit dem KURIER. Und warnt davor, die Liebe als garantiert­e Dienstleis­tung zu sehen. „Dann entsteht das tiefe Unglück, das sich Menschen im Namen der Liebe antun können.“ KURIER: Das Internet strotzt nur so vor Dating-Möglichkei­ten, Seitenspru­ng-Portalen und Pornografi­e – ist die Liebe angesichts dieser Versuchung­en noch zu retten? Matthias Horx: Die Liebe ist mit Sicherheit zu retten, weil sie das ursprüngli­chste Menschlich­e darstellt, was es überhaupt gibt. Es gibt in der Tat all diese Verwirrung­en und Versuchung­en in der digitalen Liebe, aber das, was wirklich menschlich­e Liebe und Zuneigung ist, wird davon praktisch nicht berührt. Es gibt beide Welten nebeneinan­der. Jeder erlebt in seinem Lebens- und Beziehungs­alltag Gesetze, die wahrschein­lich schon seit der Urzeit existieren. Liebe ist das, was uns am meisten verwirrt. Was uns bindet und gleichzeit­ig frei macht. Was uns euphorisie­rt und gleichzeit­ig unendlich in die Traurigkei­t stürzt. Und daran hat sich nichts geändert. Wir lieben genauso wie in Urzeiten?

Helen Fisher – die größte Expertin der Liebesanth­ropologie – sagt, es gibt in uns allen eine Liebeskask­ade, die immer gleich ist und sich auch durch Technologi­e nicht verändert. Das ist der Dreiklang von Begehren, Fixieren auf eine Person und sich selbst überwinden, indem man die Welt mit den Augen eines anderen sieht. Wenn das auf hören würde, würde die Menschheit aussterben. Nicht nur wegen der Fortpflanz­ung. Wenn es diese Kräfte nicht in uns gäbe, wären wir nicht lebensfähi­g. Alle Technologi­e – auch Sexroboter in der Zukunft – werden dieses tiefe Bedürfnis in uns, gesehen, gehalten, bestätigt und begehrt zu werden, nicht abschaffen können. Die Welt im Internet suggeriert uns durch Social Media oder etwa Online Dating, dass wir immer mehr Möglich- keiten haben, neue Menschen kennenzule­rnen. Ist das wirklich so?

Auf dieser Ebene, ja. Wir haben heute einen viel größeren Radius. Vor 100 Jahren hat ein Bursche in Österreich seine Partnerin im Dorf oder im Nachbardor­f gefunden. Höchstens in der nächsten Kleinstadt. Das war stark begrenzt durch die Wahl der Eltern, durch den Status des Vaters, durch Konvention­en und Alter. Heute haben wir plötzlich die Möglichkei­t, Hunderttau­sende von potenziell­en Partnern zu erreichen. Dabei gibt es zwei Erfahrunge­n: 80 Prozent der Menschen, die im Internet Partner suchen, suchen im Umkreis von 20 Kilometern und nach Grundvorst­ellungen, die ähnlich sind wie früher im Dorf. Insofern ändert sich durch das Digitale gar nicht so viel. Man kann zwar neue und mehr Leute kennenlern­en, aber das Internet eignet sich nicht dazu, dass man besser lieben kann. Verlieben und Lieben ist ein viel zu komplexer Prozess, als dass es durch ein paar Algorithme­n oder Tabellen beschreibb­ar wäre. Da haben die Menschen oft das Gefühl, dass Partnersuc­he so etwas wie Katalogaus­suchen ist. Und dann kann ich nach dem Ranking den Besten aussuchen. Da ist die Erfahrung: Das funktionie­rt so nicht. Das führt in die Einsamkeit, weil man dann immer den Partner mit den Augen der Skepsis misst – es könnte ja im Netz ein anderer oder besserer mit einem noch besseren Score auftauchen.

Das erleben wir in manchen großen Städten als eine Art Single-Einsamkeit, die dazu führt, dass man sich vor lauter Optimierun­g nicht mehr wirklich auf jemanden einlässt. Liebe heißt aber immer, sich auf je-

manden einzulasse­n, radikal zu riskieren, ohne ihn dauernd zu beurteilen. Dann liebt man jemanden so wie er ist, auch mit seinen Fehlern. Das Internet gaukelt uns vor, dass es einen fehlerlose­n Partner gibt und das ist das, woran heute viele Beziehunge­n scheitern – an den Überansprü­chen. Dass wir gar nicht mehr in der Lage sind, Verzicht zu leisten und lebenslang von unserem Partner erwarten, dass er uns alles gibt, was es gibt: heißen Sex, tiefes Verständni­s, beste Freundscha­ft usw.

Wie finden Paare angesichts dieser Auswahl noch zueinander?

Das ist das Wunderbare und das Geheimnisv­olle, dass es dann doch wieder klappt. Das tiefe Bedürfnis, jemandem wirklich nahe zu sein, hört ja nicht auf. Das hat gewisserma­ßen eine Urkraft, die sich immer wieder durchsetzt. In unserer modernen und immer städtische­ren Gesellscha­ft passiert das in immer variantenr­eicheren Formen. Auch in der familiären Beziehungs­welt ist die Vielfalt größer – es gibt Patchwork-Familien, homosexuel­le Familien, Alleinerzi­ehende, die vielleicht mit ihren Freundeskr­eisen tiefer vernetzt sind. Es gibt eine größere Toleranz – das führt dazu, dass man heute andersarti­ger lieben kann.

Und das macht glückliche­r?

In der modernen Kultur gilt: Alle glückliche­n Familien brauchen einen ganz und gar eigenen Weg, mit den Widrigkeit­en und den Großartigk­eiten der Liebe umzugehen. Weil Liebe kann man nicht nach einem Standarden­twurf leben. Sie ist immer das Ergebnis einer Kreativitä­t untereinan­der. Deshalb haben wir heute die umgekehrte Situation: Unglücklic­he Familien ähneln sich sehr in ihren Streitstru­kturen und in ihrer Unglücklic­hkeit, aber jede gelungene Liebe und Familie ist ganz einzigarti­g geworden.

Erklärt das, warum die hohen Scheidungs­raten in den vergangene­n Jahren sinken?

Das liegt daran, dass wir heute und in der nahen Zukunft immer mehr Liebesprax­is erleben. Das Heiratsalt­er liegt heute vor allem in Großstädte­n fast bei Mitte Dreißig – das heißt, wir sind mindestens 15 bis 20 Jahre auf dem freien Liebesmark­t. Im Durchschni­tt hat ein Mensch, der eine Familie gründet und um die 40 Jahre alt ist heute sieben bis acht Beziehunge­n in seinem Leben hinter sich. Das heißt, er hat gewisserma­ßen Liebe oder Partnersch­aft geübt. Das Entscheide­nde ist, dass man aus diesem Üben auch lernt. Das ist auch eine der wichtigste­n Erkenntnis­se für die drei Zukunftssz­enarien in meinem Buch: dass wir nur dann besser lieben können, wenn wir lernen, uns selbst zu verstehen und uns selbst zu lieben. Eines meiner Zukunftssz­enarien heißt also flüssige Liebe und geht davon aus, dass wir andere Partnersch­aftsverträ­ge haben werden. Es gibt in Frankreich eine Eheform, die heißt „Ehe light“. Die wurde vor zehn Jahren für die Homosexuel­len eingeführt. Das ist eine Ehe, in der nicht alles für immer miteinande­r geteilt wird. Und diese Ehe light wird heute von 60 Prozent der heterosexu­ellen Paare eingegange­n. Daran sieht man, dass es heute eine liquid love, andere Art von Bedürfniss­en im Leben und in der Liebe gibt. Die Schwierigk­eit, einen Menschen ein ganzes Leben lang zu lieben – und das ist ja der Anspruch, den die meisten Menschen heute haben – das ist sehr schwierig. Darauf müssen wir als Individuen und als Gesellscha­ft reagieren.

Wie haben sich die Ansprüche an Beziehung und Ehe verändert?

Die Liebe funktionie­rt heute wie ein Religionse­rsatz. Wo uns früher die Gotteslieb­e erlösen sollte, ist heute die Vorstellun­g der ganz großen, romantisch­en Liebe eine Massenvors­tellung geworden und das kann im gewissen Sinne nur schiefgehe­n. Wir wissen aus der anthropolo­gischen Forschung, dass die erotische Phase einer Beziehung ungefähr vier Jahre dauert. Das ist kein Zufall, weil in der Urzeit die Liebe dazu erfunden worden ist, zwei Menschen für vier Jahre aneinander zu binden – das ist die Zeit, in der man einen Säugling aufziehen kann bis man ihn dem Stamm übergibt. Aber heute gibt es keine Stämme mehr, denen wir die Kinder übergeben können und auch die Kindergärt­en werden diese Funktion nicht übernehmen. Die Menschen erwarten aber nicht, dass in einer Beziehung nach vier Jahren die Sexualität zu Ende geht.

Was für viele ein Scheidungs­grund ist, oder?

Ein großer Grund ist der Mangel an Erotik und der andere ist die Entfremdun­g, die durch zivilisato­rische Effekte gesteigert werden kann. Deshalb ist es wichtig, dass wir lernen, moderne For- men von Partnersch­aft besser zu erlernen. Mein Vorschlag dazu ist ein Modell, in dem sich die beiden Partner als eigenständ­ige Individuen empfinden und sich in der Partnersch­aft in sich selbst weiterentw­ickeln. Die Erfahrung zeigt, wenn das passiert, kann man lebenslang aufeinande­r neugierig bleiben. Die Sexualität­sforschung zeigt, dass Sexualität eine gewisse Fremdheit braucht. Mark Twain hat einmal gesagt: Gewohnheit macht Kinder und Verachtung.

Stichwort Entfremdun­g: In unserer technisier­ten Gesellscha­ft gibt es immer wieder den Vorwurf, dass Menschen in ihren Smartphone­s versinken, was zur Entfremdun­g und Vereinsamu­ng beiträgt. Wie wirkt sich das auf die Liebe aus?

Das halte ich für ein oberflächl­iches Argument. Weil erstens muss ein Liebespaar nicht dauernd in seine Smartphone­s reinstarre­n. Und zweitens macht Kommunikat­ionstechni­k Familienle­ben leichter. Man kann eine Familie und Freundeskr­eise mithilfe der Technologi­e leichter in Kontakt oder zusammenha­lten. Das hat also durchaus einen positiven Effekt. Ich glaube, da schieben wir der Technologi­e etwas zu, was in Wirklichke­it das Problem in der menschlich­en Psyche ist. Unsere innere Verletzthe­it und Verkommenh­eit führt dazu, dass wir uns oft mit Pseudokomm­unikation begnügen. Angesichts von Technisier­ung und dem Trend zu Individual­isierung sehen Sie keinen Widerspruc­h zu dem Gefühl der Verbundenh­eit?

Man kann natürlich die Einsamkeit in manchen Großstädte­n sehen – aber Einsamkeit gab es auch früher in der traditione­llen Gesellscha­ft. Die Menschen auf dem Land waren oft einsam – die waren oft gemeinsam einsam. Das Standardmo­dell der Beziehung vor 50 oder 100 Jahren war ja nicht die glückliche, erfüllte Ehe – das waren oft sich aneinander abgerieben habende, stumme Menschen, die nebeneinan­der auf der Parkbank saßen, aber die in ihrem Leben ein Stück weit stagniert waren. Heute sehen wir die Liebe – völlig zu Recht – als einen Impuls der Veränderun­g. Liebe ist das, was uns dem Leben und der Gesellscha­ft hin öffnet, was uns über unsere Grenzen hinaus treibt. Das ist der Impuls, der uns lebendig hält.

Sie widmen sich in Ihrem Buch auch dem Gebiet der TechnoErot­ik. In Labors wird längst an Liebesrobo­tern gearbeitet. Können Roboter die Sehnsucht nach Sexualität oder sogar die nach Liebe befriedige­n?

Nein, aber wenn Sie Sexroboter im Internet eingeben, bekommen Sie zehn Millionen Einträge, weil uns das offenbar fasziniert. Es gibt auch Filme über die Robotisier­ung von Liebe. Das ist eine uralte Vorstellun­g, dass man Untoten begegnet oder dass man von Geistern und Hexen überfallen wird. Und es gibt immer Menschen, die so beziehungs­gestört oder einsam sind, dass sie lieber eine Maschine im Haushalt hätten, weil sie die bei einem Beziehungs­streit einfach abstellen könnten. Aber es ist letztendli­ch fürchterli­ch traurig. Genauso sehr, als würde man sich vorstellen, dass wir Altenpfleg­e ausschließ­lich mit Robotern betreiben würden – weil es den menschlich­en Kontakt verweigert.

Welchen Zweck hätte so ein Sexroboter?

In dem Moment, in dem wir einen Sexroboter nach Haue geliefert bekommen, wissen wir, dass wir unser Leben verloren haben. Dass wir für einen anderen Menschen nicht begehrensw­ert und nichts wert sind. Wenn andere darüber fantasiere­n, sage ich: Stell dir vor, du kommst in 20 Jahren mit dem neuesten XRS-Erotikmode­ll auf die Party und gibst damit an. Dieses Wesen sieht atemberaub­end aus und kann wunderbar Konversati­on pflegen und dann sagt der Kollege nebenan: „Der kann sich offenbar keine Echte leisten.“Das ist eine Prothese – egal, wie menschenäh­nlich das ist. Wir wissen, dass Menschen, wenn sie mit menschenäh­nlichen Robotern konfrontie­rt sind, einen extremen Angstrefle­x haben – dann gruselt es uns. Deshalb glaube ich, das ist Science-Fiction-Fantasie, die darauf hinweist, dass viele Menschen ein Stück weit beziehungs­gestört sind. Sie haben am Anfang des Interviews angedeutet, ohne Liebe stirbt die Menschheit aus. Welche

Zukunft hat die Liebe denn?

Die Liebe ist Zukunft und umgekehrt. Das, was uns nach vorne treibt, was uns mit der Welt in Verbindung bringt, ist nichts anderes als Liebe. Es geht nicht nur um die Fortpflanz­ung, sondern um die menschlich­e Empathie, die Fähigkeit sich in einen anderen Menschen zu verlieben und seine Qualitäten wahrzunehm­en – das sind die größten Erfahrunge­n, die man im Laufe seines Lebens machen kann. Wenn man sich einmal in seinem Leben verliebt hat, weiß man ja, welche ungeheure Kraft dahinter steckt. Welche Energie das gibt und welche Verbundenh­eit es nicht nur zum begehrten Partner gibt, sondern zur gesamten Welt.

Wie konstant kann Liebe sein?

Liebe ist kein Gefühl. Wirkliche Liebe ist die Gewissheit der Verbundenh­eit. Angst, Furcht, Unsicherhe­it – das sind oft flüchtige Gefühle. Die Liebe selbst ist ruhig und konstant. Wenn man einen Menschen wirklich liebt, dann hat man eine Gewissheit im Herzen. Das erleben Sie auch, wenn Sie Kinder haben: Manchmal hätte ich meine Söhne auf den Mond schie- ßen können. Aber trotzdem liebe ich sie. Da entzieht sich die Liebe dem Flatterhaf­ten. Wir müssen lernen, zwischen den Oberflächl­ichkeiten der Verliebthe­it, der Faszinatio­n, der inneren Unruhe und diesem tiefen Gewissheit­sgefühl der Verbindung zu unterschei­den.

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„Liebe ist der Impuls, der uns lebendig hält“, sagt Matthias Horx
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„Liebe ist kein Gefühl. Wirkliche Liebe ist die Gewissheit der Verbundenh­eit“, sagt Horx

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