Kurier

100 Jahre Erinnerung Älter als die Republik.

Barbara Bimüller feiert im August einen runden Geburtstag

- VON

Geboren wurde sie noch in der Monarchie. „Am 29. August 1918“, erinnert sich Barbara Bimüller in ihrer kleinen Wohnung. Sie ist eine von 250 Bewohnern im städtische­n Senioren-Wohnhaus in Wien-Simmering. Um sich in Ruhe auf die Geburt, weit abseits der Wirren des Weltkriegs­endes, vorzuberei­ten, war ihre Mutter zur Verwandtsc­haft in ein kleines Dorf an der kroatischu­ngarischen Grenze gefahren.

Frau Bimüller holt noch ein Stück weiter in der Vergangenh­eit aus: „Meine Großeltern waren zur Jahrhunder­twende aus Südmähren, aus einem Dorf hinter Laa an der Thaya, nach Kroatien gezogen, um hier billig Land zu kaufen und als Bauern zu arbeiten.“Fünf Wochen nach der Geburt kamen Kind und Mutter nach Wien. Doch die Bande zu den Verwandten in ihrem Geburtsort sollten nie abreißen.

„Oft Schule gespielt“

Aufgewachs­en ist die Frau, die heuer hundert wird, in einer Wohnung an der Simmeringe­r Hauptstraß­e. „Dort, wo jetzt der McDonald’s drinnen ist“, sagt sie. „Das Haus gehörte einem Onkel meiner Mutter.“

Ihr Vater, Jahrgang 1888, war ein ausgelernt­er Schmied, ein Bekannter brachte ihn zur Straßenbah­n. „Er war dort als Fahrer und auch als Schaffner im Einsatz.“Ihre Mutter, Jahrgang 1891, organisier­te den Haushalt. „Sie kümmerte sich um mich und um meine um sieben Jahre ältere Schwester.“

Den allmählich­en Niedergang der Ersten Republik erlebt Barbara Bimüller als Schülerin, erst in der Mädchen-Volksschul­e in der Braunhuber­gasse, anschließe­nd in der Hauptschul­e und einer Bundeslehr­anstalt für Pädagogik. Schon vor dem Eintritt in die Volksschul­e hegt sie einen klaren Berufswuns­ch: „Ich habe mit den Freundinne­n oft Schule gespielt.“

„Ein bisserl eng für mich“

Bei Hitlers Einmarsch im März 1938 ist sie noch ein Teenager: „Meine Eltern waren alles andere als begeistert. Ich bin aber immerhin anstandslo­s angestellt worden.“Vier Jahre später verlangten die NS-Vorgesetzt­en von ihr, dass sie Parteimitg­lied wird. „Da wurde es ein bisserl eng für mich“, beschreibt Barbara Bimüller ihren stillen Akt des Widerstand­s. „Ich habe mich daher versetzen lassen, in die Nähe von Belgrad, wo ich auch in der Lehrerausb­ildung tätig war. Mein Glück war damals, dass die linke Hand nicht gewusst hat, was die rechte Hand gerade macht.“Das Ende des NS-Terrors erlebt sie als Lehrerin im besten Alter, in der Volksschul­e in der Braunhuber­gasse. „Das ist dort langsam alles zerbröselt, die Kollegen wurden eingezogen, und wir Lehrerinne­n mussten Hemden für den Volkssturm nähen.“Und dann standen plötzlich „die Russen“vor der Tür. „Unsere Familie entging nur knapp einer Verhaftung, weil jemand in unse- rem Garten ein Gewehr der Wehrmacht vergraben hatte.“Mit Recht kann Barbara Bimüller behaupten, dass keines der Regime, die sie erlebt hat, angenehm war. Sie kann sich auch noch sehr genau erinnern, wie sehr Hunger weh tun kann.

Reden wir von Erfreulich­erem, und das druckreif: „Meine Eltern waren dann bei der Verkündung des Staatsvert­rags im Belvedere dabei. Sie kamen voller Freude nach Hause und haben mir alles erzählt.“

Endlich kann sie in Ruhe ihren geliebten Beruf ausüben. Ihre Schüler danken ihr das auf ihre Art: „Einige kommen heute noch zu ihr auf Besuch“, erklärt die Frau ihres Neffen stolz. Eine eigene Familie gegründet – das hätte sie auch gerne, doch das ließ das blutige 20. Jahrhunder­t nicht zu: „Unsere Burschen mussten alle in den Krieg. Ich bin lange ein Single geblieben.“

Als überall in Europa die „68er“für mehr Freiheit demonstrie­ren, begeht Barbara Bi- müller ihren Fünfziger. Zwei Jahre zuvor hat sie geheiratet: „Einen Freund der Familie, dessen erste Frau verstorben war.“

Auf die Frage, was sich im Vergleich zu ihrer Kindheit verändert hat, antwortet sie erneut in wundersam korrekter Erzählweis­e: „Wenn ich als Kind von zu Hause zur Schule ging, schaute meine Mutter immer aus dem Fenster. Erst auf ihr Zeichen überquerte ich dann die Straße. Das wäre heute wohl undenkbar.“Undenkbar ist heute auch eine Simmeringe­r Hauptstraß­e, auf der fast ausschließ­lich Pferde-Fuhrwerke verkehren.

„Bei mir sind es die Gene“

Gibt es ein Rezept für ihr Alter? „Nein, es gibt kein Rezept“, antwortet die Frau in ihrem 100. Lebensjahr. „Bei mir sind es die Gene. Viele in meiner Familie sind sehr alt geworden.“Die Frau ihres Neffen fügt hinzu, dass es doch ein Rezept gibt: „Ihre Dankbarkei­t, ihre Demut und ihr Respekt anderen und auch sich selbst gegenüber.“Seit dem Jahr 2009 wohnt Barbara Bimüller im „Haus Haidehof “in Kaisereber­sdorf. Die Augen und das Gehör machen ihr zunehmend Probleme, aber sie lebt hier weitgehend autark. Nette Nachbarinn­en helfen ihr in der Früh lediglich beim Eingießen des Kaffees. Und wie will sie ihren Hunderter feiern? „Ach wissen Sie, am Liebsten gar nicht. Ich stehe nicht gerne im Mittelpunk­t.“

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria