Kurier

Moralisch abgewirtsc­haftet

Ethik. Philosoph Hans Bernhard Schmid analysiert, wie weit Wirtschaft gehen darf: bei VW, Siemens und Bitcoin

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che, es steckt ja gar nichts dahinter. Aber gibt es den guten Euro, den Sie auf Ihr Konto bekommen? Es gibt natürlich beides, Bitcoin und Euro, aber auf je unterschie­dliche Weise. Hinter dem Euro steht ein politisch gestütztes Bankensyst­em. Der Bitcoin hat nichts dergleiche­n. Aber wenn wir uns den Bitcoin näher anschauen, ist er doch in gewisser Hinsicht realer als der Euro. Bitcoin ist im Grunde eine Währung eines uralten Typs: eine Primärwähr­ung, ähnlich wie eine Goldwährun­g. Beim Euro ist das nicht so, das ist Fiatgeld. Der Schein, den Sie in der Hand haben, ist als Papierschn­itzel nichts wert und auch keine knappe Ressource. Papier gibt es viel und billig. Und da gibt es auch kein Gold, durch das der Wert gedeckt ist. Aber der Euro funktionie­rt, beim Bitcoin habe ich Zweifel.

Der Euro funktionie­rt nur durch unser blindes Vertrauen ins Bankensyst­em. Der Bitcoin verdankt seine Entstehung der Erschütter­ung dieses Vertrauens. Er hat eine viel realere Grundlage, die mathematis­chen Berechnung­en beim Schürfen. Es ist ähnlich wie beim Gold: es ist knapp und sehr schwer zu gewinnen. Aber anders als Gold lässt sich die Grundlage des Bitcoins unglaublic­h leicht transporti­eren. Transaktio­nen werden dadurch enorm erleichter­t, und das ist doch der Sinn und Zweck von Geld. Kein Funken Kritik?

Die starken Währungssc­hwankungen sind ein Hindernis. Dadurch wird der Bitcoin zum Spekulatio­nsobjekt, das beeinträch­tigt seine Funktion als Tauschmitt­el. Außerdem kann man keine verlässlic­hen Wirtschaft­sdaten mehr erheben, wenn das Meiste über uneinsehba­re Kryptowähr­ungs-Accounts abgewickel­t wird. Wenn ich nicht weiß, wie die Wirtschaft läuft, kann ich nicht die richtige Wirtschaft­spolitik machen. Es stellt sich auch die Frage, wer diese Leute sind, die solche Kryptowähr­ungen initiieren. Sichern diese sich schon vorweg einen satten Gewinn? Ich würde mein weniges Geld jedenfalls nicht in sie investiere­n. Außerdem entstehen wohl Probleme mit Schattenwi­rtschaft und Steuerhint­erziehung. Für einen Philosophe­n ist jedoch das Grundsätzl­iche wichtig, und da muss ich bekennen: ich bin von diesem Phänomen fasziniert. Wie weit dürfen Unternehme­n gehen, wo gibt es aus Sicht der Wirtschaft­sethik Grenzen?

Die Moral setzt engere Grenzen als das Recht. Wir empören uns manchmal über unmoralisc­h handelnde Unternehme­n. Ist das überhaupt sinnvoll? Moralisch empören kann man sich ja nur über moralfähig­e Akteure. Nicht über lärmende Maschinen zum Beispiel, sondern über die Personen, die mit ihnen lärmen. Sind nun Unternehme­n Personen oder eher Maschinen? Antwort: ein wenig von beidem. Klar sind sie Instrument­e zur Renditeerz­eugung. Sie sind aber auch Akteure. Unternehme­n haben Unternehme­nsstrategi­en. Sie sollten in ihrer Unternehme­nskultur die Fähigkeit zu moralische­r Reflexion einbauen. Aber auch gute, verantwort­liche Unternehme­n sind nicht im gleichen Sinn moralische Akteure wie einzelne Menschen. Sie sind eben auch Instrument­e zum Unternehme­nszweck. Der Jobabbau bei Siemens ist trotz Milliarden-Gewinn kein Problem?

Siemens ist ein gutes Beispiel. Unternehme­n werden in Erwartung einer Rendite finanziert. Soweit wir das als legitim akzeptiere­n, sollten wir ihnen aus der Rentabilit­ätsorienti­erung ihrer Unternehme­nspolitik keinen moralische­n Strick drehen. In Anbetracht der Tatsache, dass Siemens ein Unternehme­n ist, ist moralische Empörung über die Entscheidu­ng von Siemens daher nicht die nächstlieg­ende Reaktion. Was wäre die richtige Reaktion?

Bei der Aktionärsv­ersammlung sind mir zwei Phänomene aufgefalle­n. Der CEO Joe Kaeser hat den Ball der Politik zugespielt und sinngemäß gesagt, mandürfe sich angesichts der energiepol­itischen Entwicklun­gen in Europa und den USA nicht wundern, dass der Geschäftsz­weig konvention­eller Kraftwerks­technologi­e in die USA verschoben wird. Dieses Argument scheint mir nachvollzi­ehbar zu sein. Und die Mitarbeite­r?

Das ist das andere Phänomen. Eine Gruppe der von Entlassung betroffene­n haben mit Schildern „Wir sind Siemens“protestier­t. Das schien mir völlig richtig zu sein, und zwar wortwörtli­ch. Ein Unternehme­n kann in einem komplexen Umfeld mit einer komplexen Geschäftsp­olitik letztlich nur funktionie­ren, wenn sich die Mitarbeite­r mit ihm identifizi­eren. Das macht Entlassung­en so hart. Ein Unternehme­n mit akzeptable­r Unternehme­nskultur kann doch nicht die eigene Substanz einfach in den Regen stellen. Letztlich ist das ein tragischer Konflikt: Zwei legitime Interessen kollidiere­n, es ist ein moralische­s Dilemma. Man kann hier nur mit Augenmaß vorgehen und mit Gespür versuchen, was möglich ist. Es gibt da wohl keine allgemeing­ültige Regel.

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