„Warten ist die Haupttugend“: SPD und Union feilten bis in die Nacht
Regierungsgespräche. Der Poker um den Koalitionsvertrag ging weiter. Nun gibt es auch Kritik an der folgenden Abstimmung der SPD-Mitglieder.
Es bewegt sich was. Zumindest bei den Berichterstattern. Der Tross aus Reportern und Kameraleuten zog gestern ein paar Kilometer weiter: ins Hauptquartier der Christdemokraten, dort wurde am Vormittag wieder verhandelt. SPD-Vize Ralf Stegner lieferte das passende Motto als Musiktipp: „Sympathy for the Devil“von den Rolling Stones, und bei Eintreffen ins CDU-Haus sein MiesepeterGesicht dazu.
Denn dass sich die Unterhändler von Union und SPD auch am Montag nicht einig wurden, heißt, dass es wirklich „quietscht“, um Andrea Nahles in Erinnerung zu rufen (Wir werden verhandeln, „bis es quietscht“). Die sachgrundlose Befristung der Arbeitsverträge, die die SPD abschaffen will, die Union aus wirtschaftspolitischer Sicht jedoch nicht, oder die Verbesserungen in der Gesundheitspolitik gehören zu den gelb markierten Stellen im Koalitionsvertrag.
Martin Schulz gab in der Früh noch den Optimisten: „Ich habe guten Grund anzunehmen, dass wir heute zu einem Ende kommen werden.“Kanzlerin Angela Merkel, diekurznachihmeintraf, ließ aber wissen, dass sie „schmerzhafte Kompromisse“erwarte. Auch sie selbst sei dazu bereit.
Ein Wink an die eigenen Reihen, nachsichtiger zu sein? Denn was die Verhandlungen bisher so zäh machte: Es ging um Details, Finanzierbarkeit und Folgen der Vereinbarungen, die natürlich alle ihrem jeweiligen Klientel verkaufen müssen. Die CDU hat Industrie und Wirtschaftsverbände im Rücken, die angeschlagene Schwesterpartei CSU will im Herbst in Bayern die absoluteMehrheitholenunddieAfD im Zaum halten. Auch die SPD-Spitzebrauchtdringend vorzeigbare Erfolge. Nur knapp konnte sie ihren Delegierten Koalitionsverhandlungen abringen: 56 Prozent stimmten zu. Was die anderen 44 Prozent plus mehr als 24.000 Neu-Mitglieder der „Sag-Nein-Tritt-Ein“-Kampagne bei der Abstimmung zum Koalitionsvertrag wählen? Vermutlich:„NoGroKo.“
Rechtlich okay?
Dass die Genossen das per Briefwahl dürfen und damit das Zustandekommen einer Großen Koalition – und Merkels Zukunft – mitentscheiden, sorgt für Diskussionen. FünfAnträgedagegengingen kürzlich beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein, zwei davon wurden bereits abgewiesen. Vermutlich werden die Karlsruher Richter ähnlich wie 2013 argumentieren: Parteien sind nichtTeildesStaatesunddeswegen keine öffentliche Gewalt, gegen die eine Verfassungsbeschwerde eingelegt werden kann.
Übrigens haben damals auch die CDU, bei einem kleinen Parteitag, und die CSU, in ihrer Landesgruppe, über den Vertrag abstimmen lassen. Die Sozialdemokraten segneten ihn sogar mit einer Dreiviertelmehrheit ab – auch weil sie darin ein großes Herzensthema fanden: den Mindestlohn.
Ob etwas ähnlich Überzeugendes auch im Pakt zur „GroKo 3.0“steht, wird sich vermutlich heute zeigen.
Für die zig Journalisten und Kamerateams vor dem Adenauer-Haus hatte Ralf Stegner noch einen anderen Tipp parat: „Warten ist die Haupttugend heute“.