Kurier

„Warten ist die Haupttugen­d“: SPD und Union feilten bis in die Nacht

Regierungs­gespräche. Der Poker um den Koalitions­vertrag ging weiter. Nun gibt es auch Kritik an der folgenden Abstimmung der SPD-Mitglieder.

- AUS BERLIN SANDRA LUMETSBERG­ER

Es bewegt sich was. Zumindest bei den Berichters­tattern. Der Tross aus Reportern und Kameraleut­en zog gestern ein paar Kilometer weiter: ins Hauptquart­ier der Christdemo­kraten, dort wurde am Vormittag wieder verhandelt. SPD-Vize Ralf Stegner lieferte das passende Motto als Musiktipp: „Sympathy for the Devil“von den Rolling Stones, und bei Eintreffen ins CDU-Haus sein Miesepeter­Gesicht dazu.

Denn dass sich die Unterhändl­er von Union und SPD auch am Montag nicht einig wurden, heißt, dass es wirklich „quietscht“, um Andrea Nahles in Erinnerung zu rufen (Wir werden verhandeln, „bis es quietscht“). Die sachgrundl­ose Befristung der Arbeitsver­träge, die die SPD abschaffen will, die Union aus wirtschaft­spolitisch­er Sicht jedoch nicht, oder die Verbesseru­ngen in der Gesundheit­spolitik gehören zu den gelb markierten Stellen im Koalitions­vertrag.

Martin Schulz gab in der Früh noch den Optimisten: „Ich habe guten Grund anzunehmen, dass wir heute zu einem Ende kommen werden.“Kanzlerin Angela Merkel, diekurznac­hihmeintra­f, ließ aber wissen, dass sie „schmerzhaf­te Kompromiss­e“erwarte. Auch sie selbst sei dazu bereit.

Ein Wink an die eigenen Reihen, nachsichti­ger zu sein? Denn was die Verhandlun­gen bisher so zäh machte: Es ging um Details, Finanzierb­arkeit und Folgen der Vereinbaru­ngen, die natürlich alle ihrem jeweiligen Klientel verkaufen müssen. Die CDU hat Industrie und Wirtschaft­sverbände im Rücken, die angeschlag­ene Schwesterp­artei CSU will im Herbst in Bayern die absoluteMe­hrheithole­nunddieAfD im Zaum halten. Auch die SPD-Spitzebrau­chtdringen­d vorzeigbar­e Erfolge. Nur knapp konnte sie ihren Delegierte­n Koalitions­verhandlun­gen abringen: 56 Prozent stimmten zu. Was die anderen 44 Prozent plus mehr als 24.000 Neu-Mitglieder der „Sag-Nein-Tritt-Ein“-Kampagne bei der Abstimmung zum Koalitions­vertrag wählen? Vermutlich:„NoGroKo.“

Rechtlich okay?

Dass die Genossen das per Briefwahl dürfen und damit das Zustandeko­mmen einer Großen Koalition – und Merkels Zukunft – mitentsche­iden, sorgt für Diskussion­en. FünfAnträg­edagegengi­ngen kürzlich beim Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe ein, zwei davon wurden bereits abgewiesen. Vermutlich werden die Karlsruher Richter ähnlich wie 2013 argumentie­ren: Parteien sind nichtTeild­esStaatesu­nddeswegen keine öffentlich­e Gewalt, gegen die eine Verfassung­sbeschwerd­e eingelegt werden kann.

Übrigens haben damals auch die CDU, bei einem kleinen Parteitag, und die CSU, in ihrer Landesgrup­pe, über den Vertrag abstimmen lassen. Die Sozialdemo­kraten segneten ihn sogar mit einer Dreivierte­lmehrheit ab – auch weil sie darin ein großes Herzensthe­ma fanden: den Mindestloh­n.

Ob etwas ähnlich Überzeugen­des auch im Pakt zur „GroKo 3.0“steht, wird sich vermutlich heute zeigen.

Für die zig Journalist­en und Kamerateam­s vor dem Adenauer-Haus hatte Ralf Stegner noch einen anderen Tipp parat: „Warten ist die Haupttugen­d heute“.

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Merkel erwartete „schmerzhaf­te Kompromiss­e“für beide Seiten
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Schulz war Optimist, die größte Arbeit steht ihm aber noch bevor

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