Noch schnell einmal die SPD retten
Juso-Chef. KevinKühnerttrommeltlandesweitgegendieGroßeKoalition– derKURIERwarbeiseinemAuftaktdabei
Wieschnellesgehenkann. Dafür braucht es keine gegnerischePartei, auchkeinenrevoltierenden Nachwuchs: Es reichenzweiMännermitgroßem Ego, die sich um das Außenamt streiten, als wäre es ein Teddybär. Martin will es, Sigmar auch, der eine nimmt es dem anderen weg, Sigmar schreit, Martinrenntweg– seine Schwester kommt und sagt (in Interviews): alle sind gemein zu meinem Bruder.
Diese Posse rund um Schulz’RückzuglässtdieSPD erodieren. Und das just zum Tourstart von Kevin Kühnert. Seit Monaten trommelt der Chef der Jungsozialisten gegen die Große Koalition. Bevor die Mitglieder abstimmen, will er sie überzeugen.
WieFreitagabendinLeipzig. Die Sesselreihen in der Galerie sind voll. Wer keinen Platz bekommt, schaut beim Fenster rein. Umringt von Fotografen und Kameraleuten läuft der 28-Jährige federnden Schrittes die Tribüne hinunter. Den Rucksack ins Eck bugsiert. Einmal durchschnaufen, los geht’s.
Werjetztglaubt, derjunge Politiker in Schlabberjeans teilt gleich kräftig gegen die ParteispitzeinBerlinaus, irrt. Er erwähnt nicht einmal ihren Namen. In Tagen wie diesen erscheint Kühnert wie die einzige Stimme der Vernunft einer Partei, die dabei ist, sich öffentlich zu zerlegen. Er weiß das und bringt es gleich an: „Mit welcher Ruhe und Sachlichkeit wir bei den Jusos in den vergangenen Monaten diskutiert haben, da können sich die anderen eine gehörige Scheibedavonabschneiden.“
Das größere Drama
Das größere Drama, so Kühnert, seien doch die verlorenen Mitglieder, die SPD habe sich halbiert. Damit spricht er aus, was viele hier sorgt. Wie etwa Jürgen Horn: „Endlich einer, der den Mund aufmacht. Vor vier Jahren waren die Jusos zu leise, da wollte auch keiner die Koalition.“Sie sichere nur Merkels Macht und stärke die rechten Ränder, sagt der Geschäftsmann. Was passiert, sähe man in Österreich: „Ihr habt die FPÖ in der Regierung.“
Apropos. Die AfD hat in Sachsen stark zugelegt, daher wollteerzuBeginnseinerTour hier herkommen, erklärt Kühnert. DieSPDmüssewiedererkennbar sein, „um hier einen Fuß auf den Boden zu bekommen“. Kopfnicken.
Katja Pähle kann da nur schwer mithalten. Die Fraktionsführerin der SPD Sach- sen-Anhalt muss den Koalitionsvertrag verteidigen. Darin habe die SPD Schlimmeres verhindert, wie etwa bei der Flüchtlingspolitik, „sonst hätte sich die CSU durchgesetzt“. Pähle gesteht zwar, dass sie selbst nicht zufrieden ist, „aber es war das Maximum, was wir mit der Union rausholen konnten“.
Kühnerthilftihr. ImPapier seien auch gute Punkte, wie die Erhöhung der Studienförderung. Aber jene Punkte, wo die SPD „wortbrüchig“gewesen sei, tauchten in „neuem Gewand“auf: „Solidarrente heißt jetzt Grundrente und steht den Menschen erst nach Bedarfsprüfung zu.“Das tue sich niemand an, weil es beschäme. „Das hat die Union miteinberechnet.“Kräftiger Applaus, einige johlen.
Nur einen überzeugt er heute sicher nicht. Manfred Werske, seit 53 Jahren SPDMitglied, braucht kein Mikro, lautgenugruftder73-Jährige:„Dagabesmaleinen, der war wie Du – Gerhard Schröder. Er hat auch geglaubt, es gehtnurso.“Werskehabemit ihm bei den Jusos gegen Helmut Schmidt revoltiert, es ging um die NATO-Doppelbeschlüsse. Wenn ihr den stürzt, kommen die Schwarzen, hießes. Erwollteesnicht glauben. Was folgte waren 16 Jahre Kohl. Sein Rat: „Ihr müsst die Koalition machen, die Kanzlerin ist schwach.“Sonst sei die SPD weg, und „wenn sie wieder kommt, dann bist du in Rente, Kevin.“
Dieser wirkt kurz erstaunt, seziert dann sachlich die letzten Koalitionen. Sein Fazit: Die Gemeinsamkeiten mit der Union seien aufgebraucht. Es brauche einen Neuanfang. Wiesollderaussehen, will ein Genosse wissen.
Zukunft: Rot-Rot-Grün
Angstszenarien wie Neuwahlen hält Kühnert für Quatsch. Er ist für eine Minderheitsregierung mit Tolerierung. Es gebe viel, wo man sich mit CDU/CSU einig sei, bei den Kontrapunkten behalte die SPD ihr Profil. Für die Zukunft sieht er aber Rot-RotGrün. Das funktioniere in Berlin gut. Es gebe bei der Linken offene Köpfe – Oskar Lafontaine, den „linken Spalter“, zähle er nicht dazu.
Kühnerts Idee findet Anklang. Doch dazu müsse manerstdasVotumgegendie Große Koalition gewinnen. Kühnert freut sich über die tausenden neuen Mitglieder, die mitentscheiden. Aber, egal, wohin man tendiere, wichtig sei, bei der Partei zu bleiben – „damit von dem Laden noch was bleibt“. Es gehe nicht um Personen, sondern um Inhalte, referiert er weiter. Da platzt es aus einer Frau heraus: „Ja, ihr freut euch, aber wie viele bleiben denn?“, schreit sie zornig. Kühnert erklärt: Beim Mitglieder-Entscheid 2013 seien 6000 bis 7000 in die Partei eingetreten, davon seien noch 90 Prozent dabei. „Okay“, sagt sie. Alle lachen. „So liebe ich politische Diskussion“, ruft er und formt mit den Fingern ein Herz.
Ganz entkommt er dem Personalchaos in der SPD aber nicht. Im KURIER-Gespräch sagt er, es sei nicht schön gelaufen. „Wir haben ein anderes Verfahren vereinbart, es sollte um Inhalte und nicht um Personal gehen.“Nach Schulz’ Rückzug sehe er die Chance, dass sich das ändert. Voraussetzung: „Dass alle anderen an der Parteispitze verstehen, ihr persönliches Ego zurückzustellen.“