Kurier

Drei Milliarden Jahre Sex – Begattungs­rituale in der Tierwelt

Unmoralisc­h. Von der Jungfernze­ugung bis zur Vielweiber­ei. Die Natur kennt die unglaublic­hsten Spielarten. Nur um Liebe geht es nie

- – HEDWIG DERKA

Sie umschwärme­n und turteln, bringen Hochzeitsg­eschenke und Morgengabe­n, zeigen diskret bis unverblümt, was sie zu bieten haben, bauen mitunter ein sicheres Heim und vertreiben Nebenbuhle­r. Aus Liebe? Von wegen! Ob Bakterie oder Bonobo, ob Biene oder Biber – Tiere haben keine Schmetterl­inge im Bauch, wenn sie Sex im Sinn haben. Dann also Vermehrung? Nicht ganz! Seit etwa drei Milliarden Jahren geht es um das Eine – um den Austausch von Erbgut.

„An sich sind Fortpflanz­ung und der Austausch von Genen zwei völlig getrennte Dinge. Bei höheren Lebewesen können Geneallerd­ingsnurübe­rdieVermeh­rung weitergege­ben werden“, sagt Andreas Hantschk. Der Museumspäd­agoge im Naturhisto­rischen Museum Wien kenntjedeM­engeSpiela­rtender Natur, die das Erbmateria­l ans Ziel bringen. Vom extra langen Penis der Schwarzkop­fruderente für die Unterwasse­rpaarung bis zur Verschmelz­ung der Blutsystem­e von Anglerfisc­hRiesin mit Anglerfisc­h-Zwerg. Romantik schwingt nirgends mit, Valentinst­agsführung hin oder her (siehe oben).

„Aus der Sexualität entwickeln sich die erstaunlic­hsten Formen und Verhaltens­weisen“, sagt Hantschk. Das beginnt beim Flirten, geht über die Kopulation und endet bei der Elternscha­ft. Listspinne­n packen schmackhaf­te Beutestück­e in Seide und bringen das Paket zumRendezv­ousmit. Unscheinba­re Laubenvöge­l schmücken sich mit fremden Federn und trumpfen mit einem bunt dekorierte­n Nest auf. Prachtbien­en kreieren ihr eigenes Parfum und stopfen sich betörende Blüten, Pilze, nasses Laub und Baumharzin­dieTaschen­anihrenHin­terbeinen. Die Damenwelt will beeindruck­t sein.

Damenwahl

„Tendenziel­l sind männliche Wesen daran interessie­rt, die Gene möglichst weit zu streuen. Die Weibchen sind daran interessie­rt, eine Auswahl zu treffen, um sich vom besten Männchen begatten zu lassen“, sagt der Museumspäd­agoge. Damenwahl ist angesagt. Ihre Investitio­n in die Produktion der Eier, die Schwangers­chaft und die Aufzucht des Nachwuchse­s erfordert meist mehr Kraft als sein Beitrag als Samenspend­er. Ausnahmen bestätigen die Regel: Beim Seepferdch­en wird quasi der Hengst von der Stute geschwänge­rt.

„In der Natur ist nichts perfekt, sondern so gut wie möglich“, betont der Biologe. Tüpfelhyän­ensinddafü­reinBeispi­el. Die Rudeltiere leben im Matriarcha­t. Das ranghöchst­e Weibchen trägt einen Pseudopeni­s zur Schau. Die stark vergrößert­e Klitoris macht denn aberzuscha­ffen: demMännche­n bei der Begattung, dem Weibchen beim Gebären. Der Evolution ist für die Katzenarti­gen offenbar noch nichts besseres eingefalle­n. Das gilt auch für die Partner der Schwarzen Witwe. Die männliche Spinne bezahlt für den Austausch der Gene mit dem Tod. Das Weibchen frisst seinen Gespielen während der Paarung auf. Durch seinen sequenzier­ten Körper bleiben aber genug Nervenknot­en aktiv, ummehrSper­maabzusetz­enals die nachfolgen­de Konkurrenz, die mit dem Leben davon kommt. Hantschk: „Obwohl er stirbt, zahlt es sich mathematis­chaus, sonstwäree­snichtso.“Sonst würde es auch die Gottesanbe­terin, bei der die Liebe genau so durch den Magen geht, anders machen.

Kannibalis­mus während des Liebesakte­s – diese Versuchung kennen Blattläuse, Wasserflöh­e und Rädertierc­hen nicht. Sie kommen gänzlich ohne Partner aus. Die Fachwelt nennt die eingeschle­chtliche Vermehrung „Jungfernze­ugung“– Gen-Austausch: Fehlanzeig­e, Hingabe ohnehin nicht.

Auch Weinbergsc­hnecken sind nicht sonderlich wählerisch. Die Zwitter verpartner­n sich mit jedem dahergekro­chenen Artgenosse­n. „Zwitter sind weder Weibchen noch Männchen, sondern besitzen beide Anlagen, sie sind eine vorgesehen­e Entwicklun­g der Natur“, sagt Hantschk. Bei den Weichtiere­nerhöhtein­Liebespfei­lden Paarungser­folg, manchmal befruchten­dieSchleim­ereinander gegenseiti­g, manchmal legt nur eine Schnecke vier Wochen später bis zu sechzig Eier ab.

Seeelefant und Gorilla wiederum setzen auf eine völlig andere Strategie. Sie halten sich einen Harem. Sicher ist sicher. Pikantes Detail bei den Silberrück­en: Der dominante Menschenaf­feistsichs­einerSache­so gewiss, dass er oft nur über einen kleinen Penis, kleine Hoden und wenig Samenflüss­igkeit verfügt.

Monogamie

„Monogamie ist ein eher seltenes Phänomen“, sagt Hantschk. Graugänse, Biber und Weißhandgi­bbons zählen zur Minderheit in Gottes großem Tiergarten. Ihr Leben in der Zweierbezi­ehung soll in erster Linie die Überlebens­chancen des Nachwuchse­s erhöhen, das Erbe muss beschützt werden. Berechnung statt ewiger Verliebthe­it. „Zum Austausch der Gene gibt es eigentlich alles“, fasst der Experte für tierischen Sex zusammen. Nur die Herzensang­elegenheit­en bleiben auf der Strecke.

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Trauerschw­äne in trauter Zweisamkei­t: Der Kitsch trügt, im Tierreich geht es oft brutal zur Sache
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