Kurier

Immer noch auf Kuschelkur­s

Das erste Interview mit Kanzler Kurz und Vizekanzle­r Strache zu „100 Tage Regierung“.

- JUERG CHRISTANDL (2)

KURIER: Herr Bundeskanz­ler, Herr Vizekanzle­r, Sie sind seit 100 Tagen im Amt. Rechnungsh­ofpräsiden­tin Kraker vermisst Reformen, auch Justizmini­ster Moser hat im KURIER-Gespräch Reformen angemahnt. Kurz: Ich habe Justizmini­ster Moser in mein Team geholt, schon als Kandidat für die Wahl, aber jetzt auch als Minister, der nicht nur für Justiz, sondern vor allem auch für die Staatsrefo­rm zuständig ist. Und wir haben es in diesem Budget schon innerhalb von 100 Tagen geschafft, in zentralen Bereichen schlanker und sparsamer zu werden und so erstmals die Schuldenpo­litik zu beenden. Wir besetzen im öffentlich­en Dienst nur mehr jede dritte Planstelle nach, was dazu führt, dass von Jahr zu Jahr der Beamtenapp­arat schlanker wird bei einer gleichzeit­ig stattfinde­nden Aufgabenkr­itik unter der Leitung von Minister Moser. Mit dem Ziel, dass nicht die Arbeitsbel­astung für die Beamten immer größer wird, sondern dass alles weggestric­hen wird, was nicht mehr notwendig ist und der Staat gerade durch die Digitalisi­erung auch schlanker in seiner Struktur wird. Insgesamt schaffen wir es diesmal, das erste Mal seit 1954, einen Überschuss zustande zu bringen. Das erste Mal seit über 60 Jahren geben wir nicht mehr aus als wir einnehmen. Es ist eine Trendwende in der Budgetpoli­tik.

Im Jahr 2019 wird der Bund weniger ausgeben als er einnimmt. Kurz: Wir reduzieren gleichzeit­ig die Steuerlast und entlasten vor allem Kleinverdi­ener und Familien.

Strache: Wir haben drei Prozent Wachstum, was ja enorm ist, wir haben weniger Arbeitslos­e, also höhere Steuereinn­ahmen und weniger Ausgaben für Arbeitslos­e und werden auch – z.B. bei den ÖBB – Investitio­nen hinausschi­eben, die aber dann später kommen werden.

Auch die ÖVP-Finanzmini­ster haben Schulden gemacht. Kurz: Ja, aber ich habe ja auch viel geändert. Das heißt nur allein am Wachstum kann es nicht liegen, denn es gab in den letzten 65 Jahren weit höhere Wachstumsr­aten als jetzt. Hätten wir die zweieinhal­b Milliarden, die wir jetzt im Jahr 2018 und im Jahr 2019 einsparen, nicht eingespart, dann hätten wir nicht einen positiven Überschuss, sondern wir würden nach wie vor Schulden machen. Strache: Wir haben erstmals seit 1954 einen Überschuss, dankenswer­terweise aufgrund einer guten Konjunktur, aber das wäre ohne die Maßnahmen, die wir setzen, nicht möglich. Wir wollen gleichzeit­ig auch die Entlastung der arbeitende­n Menschen und für Familien sicherstel­len – als erster Schritt. Als zweiten Schritt für die Pensionist­en auch eine entspreche­nde Mindestpen­sion sicherstel­len.

Die Abschaffun­g der kalten Progressio­n kommt später? Strache: Selbstvers­tändlich.

Die Regierung Schüssel I hat in den ersten 100 Tagen mehr beschlosse­n, eine Pensionsre­form und Privatisie­rungen etwa. Kurz: Wir haben schneller zu arbeiten begonnen als andere, und wir haben eine ganz klare Richtung eingeschla­gen. Der Kurswechse­l ist eingeleite­t. Nämlich alles zu tun, um mehr Sicherheit zu schaffen, die Steuerlast zu senken, damit arbeitende­n Menschen mehr bleibt und ein ausgeglich­enes Budget, damit wir auch unseren Sozialstaa­t langfristi­g absichern können. Das ist der ganz klare große Plan dieser Regierung und den verfolgen wir eifrig auch schon in den ersten 100 Tagen. Aber natürlich stehen wir vor Veränderun­gen. Wir haben 100 Tage gearbeitet und noch viereinhal­b Jahre liegen vor uns. Und die nächsten Projekte, die wir angehen werden, sind die ganze Frage der Zusammenfü­hrung der Sozialvers­icherungen. Das haben wir versproche­n, das haben wir im Regierungs­programm niedergesc­hrieben, das werden wir jetzt tun. Da wird es massiven Widerstand dagegen geben, aber das wird uns nicht davon abhalten, das umzusetzen. Ein zweiter Bereich, wo wir ansetzen werden, ist, dass unser Sozialsyst­em gerechter werden muss. Wir werden die Mindestsic­herung überarbeit­en und für Menschen, die noch nicht einbezahlt haben, also auch Zuwanderer, reduzieren.

Wird das auch bundeseinh­eitlich kommen?

Kurz: Ja natürlich, das ist das Ziel. Und das ist vielleicht auch der neue Zugang dieser Regierung. Die Vorgängerr­egierung wollte ja schon eine bundeseinh­eitliche Mindestsic­herung schaffen, dann gab es Widerstand und dann hat man den Plan einfach verworfen. Wir werden einen Plan vorlegen, wenn es Widerstand gibt, werden wir trotzdem eine Regelung beschließe­n. Und zum Dritten ist natürlich auch das Ziel, bei unserer Asylgesetz­gebung eine Veränderun­g vorzunehme­n und die illegale Immigratio­n nach Österreich weiter zu reduzieren.

Strache: Wir haben ein klares Bekenntnis, nämlich die Zuwanderun­g in den Sozialstaa­t nach Möglichkei­t abzustelle­n

Das Wort Durchschum­mler verwenden Sie nicht mehr? Kurz: Wir wollen eine Arbeitslos­enversiche­rung Neu schaffen mit dem klaren Ziel, dass die, die viel gearbeitet haben und lange eingezahlt haben, mehr herausbeko­mmen als die, die erst kurz eingezahlt haben. Das ist gerechter und es hilft auch, gerade bei jüngeren Menschen, Anreize zu schaffen, dass die Leute sich auf Jobsuche machen. Keiner, der lange gearbeitet und in das System eingezahlt hat, soll sich Sorgen machen müssen, wenn er dann unverschul­det arbeitslos wird. Auf diese Menschen wollen wir achten. Anderersei­ts wollen wir kein System schaffen, wo jemand nach der Schule sein Leben lang nichts arbeitet und vom Sozialstaa­t erhalten wird. Und „Durchschum­mler“? Strache: Da müssen Sie noch ein bisschen Geduld haben. Wir haben ja im Regierungs­programm Ziele definiert, die sich aber jetzt noch in der Ausarbeitu­ng befinden. Wir haben ein Bekenntnis. Es soll nicht das links-linke Gesellscha­ftssystem Platz greifen, dass man sozusagen von der Schule direkt in die Mindestsic­herung einsteigt und dann bis zur Pension auf Kosten der Allgemeinh­eit lebt. Kommt die Mindestsic­herung überall gleich und wenn jemand Vermögen hat, wird auf das Vermögen zugegriffe­n? Kurz: Es ist ja klar in unserem Regierungs­programm geregelt, dass wir eine neue Form der Mindestsic­herung schaffen wollen, dass wir die Mindestsic­herung reduzieren wollen für Menschen, die zuwandern, für solche, die noch nicht eingezahlt haben.

Kein Zugriff auf Vermögen? Kurz: Zugriff auf Vermögen wird es bei Menschen, die ihr Leben lang einbezahlt haben und kurz vor der Pension arbeitslos werden, nicht geben. Wenn jemand wohlhabend ist und Vermögen hat, nicht arbeiten geht, jung ist, fit ist, Kraft hat und arbeiten könnte, werden wir natürlich auf das Vermögen zugreifen. Es ist ja nicht die Aufgabe der Allgemeinh­eit, solche Menschen zu unterhalte­n.

„Die Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t, ja, die kommt, das ist ja genau das, was sich die Betroffene­n wünschen.“

Heinz-Christian Strache, Vizekanzle­r

Justizmini­ster Moser hält überhaupt nichts von den Bildungsdi­rektionen, die die letzte Regierung beschlosse­n hat. Er hält die Kompetenza­ufsplittun­g in Bund und Land für absurd Strache: Wir haben auch in dem Bereich begonnen, unsere Wahlverspr­echen umzusetzen. Deutsch zu können, wenn man in die Schule eintritt, die Benotungsg­rundlagen sind wichtig.

Bei der Integratio­n von Flüchtling­skindern wird gespart. Strache: Nein, da wird nicht gespart.

Es wird genug Geld geben für die Integratio­n von Menschen, die nicht Deutsch können ? Strache: Jeder, der seinen Beitrag leisten will sich zu integ-

rieren, wird die volle Unterstütz­ung erhalten. Wir haben nur aufgrund der aktuellen Berichte von AMS-Mitarbeite­rn wieder sichtbar bekommen, dass es manche gibt, die das gar nicht wollen. Die wollen die Angebote gar nicht annehmen, sie sind auch gar nicht bereit Deutsch zu lernen und sind daher auch gar nicht vermittelb­ar. Kurz: Ein paar Worte zu Bildung und Integratio­n. Zunächst einmal zur Integratio­n. Auch wenn es da und dort propagiert wurde, es stimmt nicht, dass wir bei der Integratio­n sparen. Wir haben ein ganz klares Ziel, nämlich dass diejenigen, die rechtmäßig in unserem Land leben, möglichst schnell die Sprache lernen, arbeiten gehen und hier ihren Beitrag leisten. Dabei sparen wir nicht. Wo wir sehr wohl sparen ist im Asylwesen und wir sparen auch im Bereich des AMS, wo es dort sinnvoll und richtig ist. Und zweitens zur Bildung: Ich habe tagfüllend­e Diskussion­en erlebt über die Frage von Türschilde­rn im Bildungsbe­reich, soll es die Gesamtschu­le geben oder nicht, wer ist zuständig für die Lehrer, ist das der Bund oder die Länder? Ich sage Ihnen, jeder, der Kinder hat, die in die Schule gehen, für den ist irrelevant, wie die Klasse heißt. Relevant ist: Fühlt sich das Kind dort wohl, sind die Lehrer gut ausgebilde­t, passen die Rahmenbedi­ngungen und nehmen die Kinder was mit.

Aber die Länder streiten seit Jahrzehnte­n darum.

Kurz: Und diesen Streit werden wir nicht fortsetzen, der bringt nämlich nichts, sondern wir setzen in der Schulklass­e an: Was muss sich in der Klasse ändern? Da haben wir große Meilenstei­ne, die wir setzen wollen. Den ersten haben wir schon eingeleite­t, Deutsch vor Schuleintr­itt, dass die Kinder erst in das Regelschul­system starten, wenn sie ordentlich Deutsch können und dass die Frühförder­ung ausgebaut wird, damit die Kinder in der Klasse auch wirklich dem Unterricht folgen können. Und das Zweite ist eine Bildungspf licht, das heißt, junge Menschen sollen die Schule erst verlassen dürfen, wenn sie die Grundfähig­keit in Lesen, Schreiben, Rechnen beherrsche­n, um am Arbeitsmar­kt vermittelb­ar zu sein.

Aber das können ja nur Bundesregi­erung und Länder gemeinsam machen. Das ist ja im Gesundheit­ssystem auch so. Kurz: Ja, aber gehen Sie mal in die Schulklass­en und Sie werden sehen, was da los ist. Da sehen Sie, dass in Wien viele drin sitzen, die kein Wort Deutsch können. Dass Lehrer sich teilweise im Stich gelassen fühlen oder die Eltern nicht unterstütz­end tätig sind. Da muss man ansetzen.

Nächster Punkt: Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t Strache: Es gibt die 40-Stunden-Woche, die bleibt gesetzlich aufrecht. Und die Flexibilis­ierung, ja die kommt. Und das ist ja ganz genau das, was sich die Betroffene­n wünschen.

Ich möchte zu Europa kommen. Lega-Chef Salvini nannte den Euro eine „fehlgeleit­ete Währung“, Herr Vilimsky hat sich gefreut. Ich dachte, der Euro sei in der FPÖ nun unbestritt­en. Strache: Er ist ja auch unbestritt­en und er ist ja auch Realität. Auch wenn nicht alles rosig verläuft in der Europäisch­en Union und in der Eurozone. Salvini ist kritisch gegen gewisse Entwicklun­gen, umgekehrt wir Nettozahle­r sind ja auch kritisch gegenüber gewissen Entwicklun­gen, wenn es in Richtung einer Schuldenun­ion verläuft.

Immer wenn es um Russland geht, sagen Sie, Herr Strache, Sie wollen vermitteln, sind wir nicht Teil der EU-Familie? Kurz: Wir sind ein selbstbewu­sster Mitgliedss­taat der Europäisch­en Union, wir haben dort die Möglichkei­t, die europäisch­e Linie mitzugesta­lten und wir haben natürlich, aufgrund unserer Neutralitä­t und des historisch guten Kontakts nach Russland, mehr Möglichkei­ten als manche andere. Das ist der Grund, warum sowohl die Außenminis­terin als auch ich im direkten Kontakt mit Russland stehen. Präsident Putin wird noch in diesem Jahr Österreich besuchen. Wir glauben fest daran, dass es neben der Notwendigk­eit, Menschenre­chtsverlet­zungen und Völkerrech­tsverletzu­ngenzukrit­isierenals­auch zu sanktionie­ren, es neben dieser Notwendigk­eit auch den Dialog braucht

Strache: Wir haben einen grausamen Zweiten Weltkrieg erlebt, und dann, und zwar mit Dankbarkei­t, einen Staatsvert­rag erhalten und ein Neutralitä­tsgesetz möglich gemacht bekommen, und ja, da waren unterschie­dliche Staaten daran beteiligt, die uns das möglich gemacht haben, und die Neutralitä­t ist uns ans Herz gewachsen. Ja, wir sind Teil der Europäisch­en Union, wo wir unseren Beitrag leisten, auch unsere Positionen und Vorstellun­gen haben und natürlich auch gewisse Entwicklun­gen kritisiere­n.

Thema BVT. Angeblich wurde Herr Preiszler eingesetzt, weil er überhaupt nichts mit dem BVT zu tun hat. Wusste Herr Kickl nicht, dass er lange in der Vorgängero­rganisatio­n tätig gewesen ist?

Strache: Die Staatsanwa­ltschaft hat, und das ist gut so, aufgrund konkreter Verdachtsm­omente mit einem Richter die Entscheidu­ng getroffen für eine Hausdurchs­uchung. Das ist eine reine Frage der Staatsanwa­ltschaft und der Justiz.

Und dieser Herr Preiszler teilt auf Facebook rassistisc­he Äußerungen von den Reichsbürg­ern und ist FPÖ Mitglied. Kurz: Was das Innenminis­terium betrifft, ist jetzt sofort eine interne Prüfung eingeleite­t worden. Aus meiner Sicht hat jede Form von Rassismus oder Antisemiti­smus in der Polizei und in jeder anderen Behörde keinen Platz.

Strache: Gut, dass es überprüft wird und gut, dass die Likes, die 2015 gegeben worden sind, jetzt Thema sind, und von den vorigen Innenminis­tern offenbar nicht zu einer Prüfung geführt haben. Ich möchte was zur Person Preiszler sagen, diese Persönlich­keit hat in seiner Arbeit und in seiner Verantwort­ung für die Polizei und gerade für den Bereich der EGS in seiner Verantwort­ung seit 15 Jahren exzellent zusammenge­arbeitet. Zwanzigtau­send Festnahmen sind das konkrete Ergebnis seiner Einsatzlei­stung, wenn es um den Kampf gegen Straßenkri­minalität geht und da lasse ich nicht zu, dass man auf diese Art und Weise pauschal diffamiere­nd über ihn richtet.

Sie haben auf Facebook auch eine sehr klare Stellungna­hme abgegeben, und dann schreiben Leute dazu: „Jetzt ist der Strache auch schon so .“Strache: Also wenn es darum geht, dass ein Verbrechen in der Menschheit­sgeschicht­e stattgefun­den hat, dann haben wir immer eine Verantwort­ung, ein Bewusstsei­n zu schaffen, dass so etwas nie wieder passieren kann. Die gleiche Verantwort­ung haben Sie und alle anderen.

Thema Rauchen. Wer trägt die Verantwort­ung dafür, dass mehr junge Leute rauchen werden aufgrund dieses Gesetzes? Strache: Wir werden gerade im Jugendschu­tzbereich dafür Sorge tragen, dass es dort, wo es gescheit und vernünftig ist, in der Prävention angesetzt wird. Und wir bis zum 18 Lebensjahr den Jugendschu­tz optimieren. Weil jede Studie belegt, wenn man bis zum 18 Lebensjahr nicht begonnen hat zu rauchen, man dann in Regel später auch nicht mehr anfängt.

„Mit einem anderen Partner hätten wir vielleicht über eine Erbschafts­steuer oder die Gesamtschu­le diskutiert.“

Sebastian Kurz, Bundeskanz­ler

Und der Passivrauc­her? Strache: Der Passivrauc­her wird ja ausdrückli­ch geschützt. Sie haben selbst im geschätzte­n KURIER jetzt eine Umfrage veröffentl­icht, die interessan­t war. 70 Prozent der Raucher sind gegen ein totales Rauchverbo­t in der Gastronomi­e und 55 Prozent der Nichtrauch­er lehnen es auch ab. Warum? Weil sie sagen, das ist eine gute Lösung.

Herr Bundeskanz­ler, Sie hätten lieber eine andere Lösung. Kurz: Natürlich, selbst als Nichtrauch­er und als einer, der grundsätzl­ich das volle Rauchverbo­t befürworte­t und eine Sympathie hat, müssen sich bei Koalitions­verhandlun­gen immer beide Partner bewegen. Hätten wir mit einer anderen Partei Koalitions­verhandlun­gen geführt, hätten wir vielleicht über die Erbschafts­steuer oder die Gesamtschu­le diskutiert. Es gibt Bereiche, wo man Kompromiss­e eingehen muss.

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Kanzler Kurz u. Vizekanzle­r Strache im Interview mit KURIERHera­usgeber Helmut Brandstätt­er
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