Chaos in Berlin
Regierung im Asylstreit. Innenminister Seehofer bot Rücktritt an, Merkel bleibt – vorerst. Tiefer Riss zwischen CSU und CDU
Viel wurde über Horst See hofers ominösen M aster plan berichtet, doch zu lesen, bekam ihn bisher keiner der Koalitionspartner. Vielleicht auch, weil Seehofer schon einen anderen Plan hatte.
Bis in den Abend ließ sich der CSU-Chef gestern Zeit, um seine Entscheidung in puncto Asylstreit kundzutun. Da lagen die Nerven bei CDU und CSU bereits blank, der Ton war zuletzt immer schärfer geworden. Seehofer bezeichnete die Brüsseler Ergebnisse gestern als „nicht wirkungsgleich“, sprach von einem enttäuschenden Gespräch mit der Kanzlerin.
Dann, kurz vor 23 Uhr, ließ er wissen, was viele bis zuletzt spekuliert haben: Er bietet seinen Rücktritt an, will sich von allen Ämtern zurückziehen. Seehofer gibt jetzt also den Märtyrer, so die Lesart seines Angebots. Davon wollten ihn nun ges- tern einige Mitstreiter, allen voran Alexander Dobrindt, abhalten. Unklar blieb bis zuletzt, ob die CSU-Führung den Rücktritt annimmt.
Persönlicher Streit
Daran könnte in Folge die Große Koalition zerbrechen, angeführt von jener Frau, mit der Seehofer ein politischer wie auch persönlicher Streit verbindet. Dafür bedarf es eines Rückblicks ins Jahr 2004. Da war Merkel noch Oppositionsführerin und stritt mit Seehofer, damals Vizefraktionsvorsitzender der Union, um einen Kompromiss in der Gesundheitsreform – sie setzte sich durch. Ein Jahr später beerbte sie Helmut Kohl und wollte Seehofer nicht in ihrem Kabinett haben. Dennoch reklamierte er sich als Landwirtschaftsminister rein. Der Dissens setzte sich fort: Sie lehnte seine Maut für Ausländer ab, er ihre Flüchtlingspolitik. 2015 forderte er erstmals eine „Obergrenze“. Womit wir wieder in der Gegenwart wären.
Als Innenminister wollte Horst Seehofer ähnliches in seinen „Masterplan Migration“verpacken, allerdings zum Unmut der Kanzlerin. Sie lehnte den Punkt ab, wonach er bestimmte Flüchtlinge an der deutschen Grenze abweisen wollte. Wobei es ihr weniger um Humanitäres geht, als um den Zusammenhalt in Europa, erklärt sie gestern im ZDF-Interview. Auch in der EU-Gipfelerklärung sei davor gewarnt worden, dass bei nationalen Alleingängen der Schengen-Raum gefährdet sei. „Deshalb ist das einheitliche Handeln von Europa mir so wichtig.“Für ihre Positionen bekam sie gestern volle Rückendeckung, die CDU stünde geschlossen hinter ihr, hieß es.
Dass sich Seehofer bis zuletzt auf diesen Punkt verbissen hat, hat vor allem mit der Wahl in Bayern zu tun. Denn aus München bekam der 68Jährige zuletzt viel Druck. Dort werkt Markus Söder als Ministerpräsident und gibt im Kampf gegen die AfD den Ton vor: Bayern first. Seehofer, der entmachtet in Berlin saß, musste seinen Beitrag dazu liefern.
Merkel mitreißen?
Das hat er auch gestern versucht, sich im Machtkampf seinen Prinzipien verteidigend geopfert, so würde er es wohl gerne in den Geschichtsbüchern lesen. Ob dort auch vom Ende der Kanzlerin steht? Nicht wenige unterstellten Seehofer, er wolle sie mit seinem Rücktritt mitreißen, also nicht im Alleingang abtreten. Es könnte nun jedenfalls zum Bruch der Fraktion und Koalition führen, außer die Union entschließt sich weiterzumachen, ihn zu ersetzen. Ein unsicheres Szenario, angesichts der Stimmungslage. Was Seehofer, sollte er zurücktreten, dennoch nicht erspart bleibt: Er müsste Merkel aus juristischen Gründen um seine Entlassung bitten.