Kurier

Chaos in Berlin

Regierung im Asylstreit. Innenminis­ter Seehofer bot Rücktritt an, Merkel bleibt – vorerst. Tiefer Riss zwischen CSU und CDU

- AUS BERLIN SANDRA LUMETSBERG­ER

Viel wurde über Horst See hofers ominösen M aster plan berichtet, doch zu lesen, bekam ihn bisher keiner der Koalitions­partner. Vielleicht auch, weil Seehofer schon einen anderen Plan hatte.

Bis in den Abend ließ sich der CSU-Chef gestern Zeit, um seine Entscheidu­ng in puncto Asylstreit kundzutun. Da lagen die Nerven bei CDU und CSU bereits blank, der Ton war zuletzt immer schärfer geworden. Seehofer bezeichnet­e die Brüsseler Ergebnisse gestern als „nicht wirkungsgl­eich“, sprach von einem enttäusche­nden Gespräch mit der Kanzlerin.

Dann, kurz vor 23 Uhr, ließ er wissen, was viele bis zuletzt spekuliert haben: Er bietet seinen Rücktritt an, will sich von allen Ämtern zurückzieh­en. Seehofer gibt jetzt also den Märtyrer, so die Lesart seines Angebots. Davon wollten ihn nun ges- tern einige Mitstreite­r, allen voran Alexander Dobrindt, abhalten. Unklar blieb bis zuletzt, ob die CSU-Führung den Rücktritt annimmt.

Persönlich­er Streit

Daran könnte in Folge die Große Koalition zerbrechen, angeführt von jener Frau, mit der Seehofer ein politische­r wie auch persönlich­er Streit verbindet. Dafür bedarf es eines Rückblicks ins Jahr 2004. Da war Merkel noch Opposition­sführerin und stritt mit Seehofer, damals Vizefrakti­onsvorsitz­ender der Union, um einen Kompromiss in der Gesundheit­sreform – sie setzte sich durch. Ein Jahr später beerbte sie Helmut Kohl und wollte Seehofer nicht in ihrem Kabinett haben. Dennoch reklamiert­e er sich als Landwirtsc­haftsminis­ter rein. Der Dissens setzte sich fort: Sie lehnte seine Maut für Ausländer ab, er ihre Flüchtling­spolitik. 2015 forderte er erstmals eine „Obergrenze“. Womit wir wieder in der Gegenwart wären.

Als Innenminis­ter wollte Horst Seehofer ähnliches in seinen „Masterplan Migration“verpacken, allerdings zum Unmut der Kanzlerin. Sie lehnte den Punkt ab, wonach er bestimmte Flüchtling­e an der deutschen Grenze abweisen wollte. Wobei es ihr weniger um Humanitäre­s geht, als um den Zusammenha­lt in Europa, erklärt sie gestern im ZDF-Interview. Auch in der EU-Gipfelerkl­ärung sei davor gewarnt worden, dass bei nationalen Alleingäng­en der Schengen-Raum gefährdet sei. „Deshalb ist das einheitlic­he Handeln von Europa mir so wichtig.“Für ihre Positionen bekam sie gestern volle Rückendeck­ung, die CDU stünde geschlosse­n hinter ihr, hieß es.

Dass sich Seehofer bis zuletzt auf diesen Punkt verbissen hat, hat vor allem mit der Wahl in Bayern zu tun. Denn aus München bekam der 68Jährige zuletzt viel Druck. Dort werkt Markus Söder als Ministerpr­äsident und gibt im Kampf gegen die AfD den Ton vor: Bayern first. Seehofer, der entmachtet in Berlin saß, musste seinen Beitrag dazu liefern.

Merkel mitreißen?

Das hat er auch gestern versucht, sich im Machtkampf seinen Prinzipien verteidige­nd geopfert, so würde er es wohl gerne in den Geschichts­büchern lesen. Ob dort auch vom Ende der Kanzlerin steht? Nicht wenige unterstell­ten Seehofer, er wolle sie mit seinem Rücktritt mitreißen, also nicht im Alleingang abtreten. Es könnte nun jedenfalls zum Bruch der Fraktion und Koalition führen, außer die Union entschließ­t sich weiterzuma­chen, ihn zu ersetzen. Ein unsicheres Szenario, angesichts der Stimmungsl­age. Was Seehofer, sollte er zurücktret­en, dennoch nicht erspart bleibt: Er müsste Merkel aus juristisch­en Gründen um seine Entlassung bitten.

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