Kurier

May will weichen Brexit

Die Forderung stößt jedoch in der EU auf Skepsis

- VON ARMIN ARBEITER UND IRMGARD KISCHKO

Gezeichnet, doch sichtlich erleichter­t, trat die britische Premiermin­isterin Theresa May in der Nacht auf Samstag vor die Presse – ihr war etwas gelungen, was seit dem Brexit-Votum vor mehr als zwei Jahren nicht gelungen war: Ihr Kabinett auf eine gemeinsame Linie zu bringen.

Nach einer Marathonsi­tzung am Landsitz Chequers – eine Fahrstunde von London entfernt – schwor May ihre Minister darauf ein, für eine Freihandel­szone für Waren und landwirtsc­haftliche Güter zwischen Großbritan­nien und der EU zu plädieren.

Großbritan­nien will bei Waren und landwirtsc­haftlichen Erzeugniss­en auch nach dem Austritt aus der EU weiterhin eng an den europäisch­en Binnenmark­t gebunden bleiben. Mithilfe der gewünschte­n Freihandel­szone soll verhindert werden, dass der grenzübers­chreitende Handel und Lieferkett­en zwischen Großbritan­nien und dem Kontinent beeinträch­tigt werden. Sichergest­ellt werden soll das durch ein „gemeinsame­s Regelbuch“, in dem London Vorschrift­en und Produktsta­ndards der EU übernimmt. Dieses „Weißbuch“soll kommende Woche präsentier­t werden.

London will die europäisch­e Zollunion zwar verlassen, auf Produkte, die für die EU bestimmt sind, will die Regierung jedoch EU-Zölle erheben. Durch diese würden die EU und Großbritan­nien „wie ein gemeinsame­s Zollgebiet“behandelt. Reibungen an der Grenze würden vermieden und Kontrollen zwischen der britischen Provinz Nordirland und Irland überflüssi­g, auch für die britische Industrie wäre das ein Vorteil.

Druck der Industrie

Dass Großbritan­nien eine industriel­le Großmacht war, ist lange her. Der Anteil der Industriep­roduktion an der Wirtschaft­sleistung des Landes liegt bei nur noch 14 Prozent und droht bei einem harten Brexit weiter zu schrumpfen. Zum Vergleich: Der Industriea­nteil in Österreich beträgt 22 Prozent, ähnlich hoch ist er in Deutschlan­d.

Da die Briten so gut wie keine Endfertigu­ng von Produkten haben, müssen Unternehme­n viele Teile importiere­n und wieder exportiere­n. Würde das jedes Mal mit Zöllen belegt, würden die Produkte unleistbar teuer. Eine Abwanderun­g von Betrieben wäre die logische Folge.

Jaguar-Chef Ralf Speth, hatte erst kürzlich gesagt, dass Jaguar Land Rover damit 1,2 Milliarden Pfund (1,36 Milliarden Euro) an Gewinn entgehen würden. Oder: BMW muss zur Fertigstel­lung des „Mini“vier Mal Waren über den Ärmelkanal liefern. „Die Briten würden bei einem harten Brexit vor allem Zuliefer-Unternehme­n in der Autobranch­e verlieren. Sie würden nach Kontinenta­leuropa ziehen“, ist Peter Brezinsche­k, Chefanalys­t der Raiffeisen Bank Internatio­nal überzeugt.

Für die Finanzwirt­schaft ändert der Brexit-Vorschlag von May allerdings nichts. Einige große Investment­banken wie JPMorgan haben ihren Abzug aus London bereits begonnen und übersiedel­n nach Paris. Sie werden nicht die einzigen bleiben. „Noch ist London die Zentrale der Finanzdien­stleister für Europa. Sie wird nicht ganz verschwind­en, aber Wachstum wird es nicht mehr geben“, ist Klaus Umek, Chef der Investment­gesellscha­ft Petrus Advisers sicher. Auch er hat schon mit der Übersiedlu­ng einiger Mitarbeite­r von London nach Frankfurt begonnen.

Gegenwind für May

Mays Forderunge­n dürften jedoch nach wie vor in den eigenen Reihen auf Widerstand stoßen. Dass die Premiermin­isterin selbst mit Revolten gerechnet hatte, zeigen ihre Maßnahmen im Vorfeld der Sitzung: Laut britischen Medien herrschte striktes Handyverbo­t, sodass niemand Informatio­nen an Medien weitergebe­n konnte. Außerdem habe May gedroht, Außenminis­ter Boris Johnson zu feuern, würde er versuchen, „den Friedensve­rtrag zu untergrabe­n“.

Pro- wie Anti-EU-Vertreter in Großbritan­nien zeigten sich in ersten Reaktionen unglücklic­h über die Vorschläge. Der Vorsitzend­e der Gruppe „Leave Means Leave“, John Longworth, warf May vor, die Brexit-Befürworte­r zu täuschen: Die Vorschläge liefen auf einen „Fake Brexit“hinaus.

Dagegen erklärte der proeuropäi­sche Labour-Abgeordnet­e Chuka Umunna, die Vereinbaru­ng sei „eine neue Flickschus­terei hinter verschloss­enen Türen, mit der wir alle schlechter dastehen würden“.

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Premiermin­isterin May schwor ihr Kabinett auf eine gemeinsame Brexit-Linie ein

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