Niessls Tabubruch bringt rot-blaue Koalition
SPÖ und FPÖ Burgenland wollen „überall“Konsens erzielen – Regierungsverhandlungen auch am Feiertag.
September 1986: Jörg Haider übernimmt bei einem turbulenten Parteitag die Obmannschaft in der FPÖ. Nur zwei Tage später beendet SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky die seit drei Jahren bestehende Koalition mit der FPÖ – und er gibt jene Doktrin vor, die heute noch Gültigkeit hat bei den Sozialdemokraten. Erst am vergangenen SPÖ-Bundesparteitag wurde diese Doktrin erneuert. Sie lautet: keine Koalition mit der FPÖ.
Juni 2015: Die Vranitzky-Doktrin ist Geschichte. Denn der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl, SPÖ, gibt am Tag vor Fronleichnam bekannt, dass seine Partei in Koalitionsverhandlungen mit der burgenländischen FPÖ eintreten werde. Während die Bundesparteizentrale der SPÖ die Entscheidung ihrer burgenländischen Filiale abnickt, kommen aus den Tiefen der Partei durchaus Widerstände. Wiens Landesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler, der im Herbst Gemeinderatswahlen zu schlagen hat, tat via Twitter kund, dass er die sich anbahnende rotblaue Zusammenarbeit im Burgenland für einen „schweren Fehler“halte. Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Österreich, die aus dem Burgenland stammende Julia Herr. Die FPÖ agiere mit fremdenfeindlicher Angstmache und sei in der schwarzblauen Koalition maßgeblich am anti-gewerkschaftlichen Kurs und dem Sozialabbau der Ära Schüssel beteiligt gewesen, hieß es in einer Pressemitteilung Herrs. „Wenn man die FPÖ, so wie es die ÖVP seit Schüssel getan hat, salonfähig macht, dann nimmt das nicht Wind aus den Segeln, sondern bläst die Segel der Hetze nur zusätzlich auf“, sagte die Juso-Chefin.
Die möglichen künftigen Koalitionäre im Burgenland ließen sich dadurch nicht beirren. Mittwochabend fanden die ersten Gespräche zwischen SPÖ und ÖVP statt. Am Donnerstagnachmittag schmiedeten Rot und Blau weiter an ihrem Koalitionspakt. Die beiden Parteichefs Hans Niessl, SPÖ, und Johann Tschürtz, FPÖ, sind von ihren Par- teigremien für die Verhandlungen mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet worden. „Ich gehe davon aus, dass wir überall Konsens finden“, sagte Niessl vor Beginn der gestrigen Verhandlungsrunde.
Bisher wurde das Burgenland aus einer Koalition von SPÖ und ÖVP regiert. Bei den Landtagswahlen am Sonntag verlor die SPÖ gegenüber 2010 6,34 Prozentpunkte und hält jetzt bei 41,92 Prozent – ein Wert, von dem die SPÖ sonst nur noch träumen kann. Die ÖVP büßte 5,54 Prozentpunkte ein und hat nun 29,08 Prozent. Die FPÖ gewann 6,06 Prozentpunkte dazu auf 15,04 Prozent.
Die ÖVP Burgenland hat sich nach der Wahlniederlage neu aufgestellt. Franz Steindl hat am Donnerstagabend seine Funktion als ÖVP-Landesparteiobmann niedergelegt, ab sofort neuer geschäftsführender Landesparteiobmann ist der Eisenstädter Bürgermeister Thomas Steiner. „Ich werde nicht Klubobmann, sondern Bürgermeister bleiben“, sagte Steiner. Er wolle jedoch ein Landtagsmandat annehmen.