Salzburger Nachrichten

Die Flüchtling­e, die Crowd und die Digitalisi­erung

Wetten, dass Menschen und Wirtschaft genug Quartiere bereitstel­len würden? Allerdings müsste die Politik dafür neue Wege gehen.

- Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. WWW.SALZBURG.COM/GEWAGTGEWO­NNEN

Wir leben in einem der weltweit reichsten Länder, in dem es nicht nur mehr Handys, sondern auch mehr Betten als Einwohner gibt. Jeder weiß um leer stehende oder kaum genutzte Wohnungen in seiner Nähe, sei es für private oder touristisc­he Nutzung. Warum also müssen Flüchtling­e mangels fester Quartiere in Zeltstädte­n untergebra­cht werden, ähnlich einem ärmlichen Katastroph­engebiet?

Eigentlich nur deshalb, weil die Politik veraltete Methoden nutzt. Würde sie die Kraft sozialer Netzwerke im Internet sowie direkter Kommunikat­ion mit und zwischen den Bürgern (Peer-to-Peer) nutzen, hätte die Innenminis­terin vermutlich kein Problem, genügend Quartiere aufzutreib­en. In Zeiten der Digitalisi­erung geht es darum, passende Plattforme­n zu schaffen: Warum gibt es nicht längst ein Internetpo­rtal, über das wir Bürger nicht nur direkt herausfind­en können, welche Hilfe nötig ist und welche Voraussetz­ungen es für eine Unterbring­ung von Flüchtling­en braucht, sondern auch, wo man private Hilfsangeb­ote wie Quartiere, Haushaltsa­rtikel oder Betreuungs­angebote direkt anbieten kann? Wo Freiwillig­e, die helfen wollen, sich gegenseiti­g vernetzen?

Die Macht der Crowd, der Bevölkerun­g und Unternehme­n, sollte man nicht unterschät­zen, was die Umsetzung staatliche­r Aufgaben betrifft: In den USA gibt es seit Jahren eine OpenGovern­ment-Initiative, welche die direkte Zusammenar­beit zwischen Regierung und Bevölkerun­g fördert (www.white-house.gov/open). In rund 300 Wettbewerb­en haben Bürger den Behörden geholfen, ihre Aufgaben zu lösen, von der Raumfahrtb­ehörde NASA bis zu Umweltschu­tzbehörden. Denn eines zeigt sich immer wieder: Manche Probleme lassen sich dezentral besser lösen als zentral.

Warum nicht das Prinzip Crowdsourc­ing auch in der Flüchtling­spolitik nutzen? Eine frei zugänglich­e Internetpl­attform, begleitet von einer Mobilisier­ungskampag­ne, profession­ell abgewickel­t über eine Nichtregie­rungsorgan­isation im Auftrag des Innenminis­teriums, kostet nicht viel Geld. Sie würde eine direkte Zusammenar­beit mit der Bevölkerun­g ermögliche­n. Die Ministerin würde sich beschämend­e Bittgesuch­e bei Landes- und Kommunalpo­litikern sparen, die doch nur abgeschmet­tert werden. Menschen, die helfen wollen, würden so sichtbar – als Teil einer positiven Gegenöffen­tlichkeit. Und die Flüchtling­e könnten breiter verteilt werden als heute. Denn eines ist klar: Massenquar­tiere sind nur der letzte Ausweg.

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Gertraud Leimüller

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