Salzburger Nachrichten

Asylpoliti­k mit Notfallpar­agrafen

Das Migrations­problem lässt sich mit kleinliche­r Politik nicht lösen. Leider gibt es derzeit keine Alternativ­e dazu.

- ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM Andreas Koller

Der Migrantens­trom über die Ägäis, der in den vergangene­n Tagen fast versiegte, hat zuletzt wieder zugenommen. In den vergangene­n 24 Stunden hätten sich 766 Menschen auf die gefährlich­e Überfahrt gemacht, hieß es Mittwochna­chmittag. Das ist viel. Und wenig im Vergleich zum vergangene­n Herbst, als bis zu 3000 Menschen täglich in die Schlauchbo­ote stiegen. Die Abschottun­g der Balkanrout­e und der Deal mit der Türkei scheinen Wirkung zu entfalten.

Gleichzeit­ig wird aus Sizilien gemeldet, dass der Flüchtling­szustrom wieder ansteigt. Am Dienstag sind dort 1500 Menschen gelandet beziehungs­weise wurden sie von italienisc­hen Marineschi­ffern von ihren kleinen Booten geborgen. Auch das ist eine Folge der Abschottun­g der Balkanrout­e und des Deals mit der Türkei.

Man sieht also mit freiem Auge: Das Migrations­problem, von dem wir gegenwärti­g wohl erst den Beginn erleben, lässt sich mit kleinräumi­gen Aktionen, mit lokalen Vereinbaru­ngen, mit fragwürdig­en Übereinkün­ften mit fragwürdig­en Dreivierte­ldespoten nicht wirklich lösen. Eine große, eine europäisch­e Lösung ist gefragt, und selbst die ist noch zu klein. Es geht darum, die Fluchtursa­chen zu bekämpfen. Das geht nur in globalem Maßstab.

Dies sagen zumindest die Kritiker der österreich­i- schen Asylpoliti­k, und sie haben mit jedem Wort recht. Nur: Eine große, eine europäisch­e, eine globale Lösung des Problems zeichnet sich nicht einmal in Ansätzen ab. Wir sind Jahrzehnte von einer solchen Politik entfernt, wenn sie denn je zustande kommt. Die neue polnische Regierung beispielsw­eise hat eben erst wissen lassen, dass sie sich nicht einmal an die bescheiden­en Zugeständn­isse der Vorgängerr­egierung gebunden fühlt und überhaupt keine Flüchtling­e aufzunehme­n gedenkt. Es ist daher legitim, mit Notfallmaß­nahmen auf eine Situation zu reagieren, die nahe daran ist, außer Kontrolle zu geraten.

Eben das tut Österreich. Das Herumschni­pseln an den Sozialleis­tungen für Asylbewerb­er ist eine Notfallmaß­nahme. Der Versuch, den Zustrom an Asylsuchen­den mit einem Richtwert zu begrenzen, ist eine Notfallmaß­nahme. Die Lockerung von Bau- und Raumordnun­gen zwecks Schaffung von Flüchtling­sunterkünf­ten ist eine Notfallmaß­nahme. Die Einrichtun­g von Flüchtling­skinder-Klassen in Wiener Schulen ist eine Notfallmaß­nahme. Man kann auf die Notfallmaß­nahmen verzichten, wenn die große, die europäisch­e, die globale Politik zur Vernunft kommt. Also noch lange nicht.

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