Asylpolitik mit Notfallparagrafen
Das Migrationsproblem lässt sich mit kleinlicher Politik nicht lösen. Leider gibt es derzeit keine Alternative dazu.
Der Migrantenstrom über die Ägäis, der in den vergangenen Tagen fast versiegte, hat zuletzt wieder zugenommen. In den vergangenen 24 Stunden hätten sich 766 Menschen auf die gefährliche Überfahrt gemacht, hieß es Mittwochnachmittag. Das ist viel. Und wenig im Vergleich zum vergangenen Herbst, als bis zu 3000 Menschen täglich in die Schlauchboote stiegen. Die Abschottung der Balkanroute und der Deal mit der Türkei scheinen Wirkung zu entfalten.
Gleichzeitig wird aus Sizilien gemeldet, dass der Flüchtlingszustrom wieder ansteigt. Am Dienstag sind dort 1500 Menschen gelandet beziehungsweise wurden sie von italienischen Marineschiffern von ihren kleinen Booten geborgen. Auch das ist eine Folge der Abschottung der Balkanroute und des Deals mit der Türkei.
Man sieht also mit freiem Auge: Das Migrationsproblem, von dem wir gegenwärtig wohl erst den Beginn erleben, lässt sich mit kleinräumigen Aktionen, mit lokalen Vereinbarungen, mit fragwürdigen Übereinkünften mit fragwürdigen Dreivierteldespoten nicht wirklich lösen. Eine große, eine europäische Lösung ist gefragt, und selbst die ist noch zu klein. Es geht darum, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das geht nur in globalem Maßstab.
Dies sagen zumindest die Kritiker der österreichi- schen Asylpolitik, und sie haben mit jedem Wort recht. Nur: Eine große, eine europäische, eine globale Lösung des Problems zeichnet sich nicht einmal in Ansätzen ab. Wir sind Jahrzehnte von einer solchen Politik entfernt, wenn sie denn je zustande kommt. Die neue polnische Regierung beispielsweise hat eben erst wissen lassen, dass sie sich nicht einmal an die bescheidenen Zugeständnisse der Vorgängerregierung gebunden fühlt und überhaupt keine Flüchtlinge aufzunehmen gedenkt. Es ist daher legitim, mit Notfallmaßnahmen auf eine Situation zu reagieren, die nahe daran ist, außer Kontrolle zu geraten.
Eben das tut Österreich. Das Herumschnipseln an den Sozialleistungen für Asylbewerber ist eine Notfallmaßnahme. Der Versuch, den Zustrom an Asylsuchenden mit einem Richtwert zu begrenzen, ist eine Notfallmaßnahme. Die Lockerung von Bau- und Raumordnungen zwecks Schaffung von Flüchtlingsunterkünften ist eine Notfallmaßnahme. Die Einrichtung von Flüchtlingskinder-Klassen in Wiener Schulen ist eine Notfallmaßnahme. Man kann auf die Notfallmaßnahmen verzichten, wenn die große, die europäische, die globale Politik zur Vernunft kommt. Also noch lange nicht.